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stürzenden Erdmassen im Querschlag verschüttet und bergfertig geworden. Als Häuer konnte er darum nimmer einfahren. Aber die Grubenherren machten ihn zum Göpelwärter. Seitdem wußte der alte Böhm mit all den Rädern, Zapfen, Balken, Wellen und dem ganzen kunstvollen Triebwerk Bescheid. Er sah täglich die Stangenkünste nach, die aus der Teufe empor den Aufschlag der Wässer in der untersten Grubensohle anzeigten. Er prüfte das Haspeltau, an dem die schweren, alten Erzeimer hochgewunden wurden, oder besserte morsche Zahnräder aus, flickte die Schindeln des lang herunterschweifenden Göpeldaches.

Mochte Böhm so machmal weit über seine Schicht hinaus am Getriebe arbeiten, weil irgend ein Hemmnis behoben werden mußte, kam er trotzdem allzeit fröhlich ins altertümliche Huthaus, das droben auf einer Bergwerkshalde Wache hielt. Dort hauste Oswald mit seinem Ältesten. [...]

Am schönsten war es einstmals vor Weihnachten. Rüstigen Schrittes kam der Göpelböhm herauf ins Huthaus, legte alsbald ausgesuchtes Holz zurecht, wärmte den Leimtopf auf dem Herdfeuer oder rührte Farben ein, um hernach, sobald die Kinder zu Bett gegangen, seine Tüftelei und Weihnachtszauberei aufzustellen. Manchmal schnitzte er bis zur Mitternacht, bis die Flucht nach Ägvpten, auch Hirten und Schäflein, Mohren und Kamele fertig waren. Eine festlich gekleidete Schar bunter Bergleute stand bereit. Stramme Soldaten reihten sich ein.
Ein oder das andere Stück zeigte er den Gästen in der Wirtsstube des Huthauses. Sie lobten seine Kunstfertigkeit und fragten, wohin er die Männlein stellen wolle. Das verriet Oswald zunächst keinem. Aber in einem Winkel der Betstube neben der kleinen Orgel, [...] baute der Göpelmeister ein seltsam hölzern Türmlein auf. Feste Säulen hielten das Gebäude zusammen. Drinnen schwangen sich drei Holzteller waagerecht um einen Stab, der alle drei Stockwerke durchlief und oben ein rundes Dach stützte. War´s nicht dem Göpeldach ähnlich?
Die Schindeln hatte Oswald allerdings in Pappe nachgebildet, um seinen Aufbau nicht unnötig zu belasten. Denn am Stab in der Mitte sollten die runden dünnen Holzscheiben sich leicht und gleichmäßig drehen, jede gerad´ wie ein Göplegang drunten in Oswalds Zechenhaus beschaffen. Voller Mühe und Sorgfalt baute der Alte seine bergmännische Künstelei auf.

Kopfschüttelnd beschauten die Bergleute und Grubenknechte den schlanken Säulenbau. Der Steiger aber brummte wohlgefällig und fragte, wie nun Oswald die Teller drehen wolle. Zuerst war der Göpelmeister verlegen und meinte, alles sei ja nur Spielwerk. Die Kinder müßten halt selber die Scheiben anstoßen. Er dächte auch etliche Pferdchen aus Holz darauf zu setzen, angeschirrt genau wie beim Göpel. Dann gäb´s den Anschein, als zögen die Tierlein die Scheiben samt allem, so darauf Platz fände. [...]

Am Tag vorm heiligen Christabend hatte Oswald hölzerne Männlein und Getier auf die drehbaren Scheiben geleimt: Oben Soldaten, Bergknappen und Farbburschen, in der Mitten eilende Hirten, die zum Stall in Bethlehem wollten, hinterdrein Könige mit morgenländishem Gefolge. Auf der untersten Platte war einzig Maria mit dem Kinde samt ihrem Eselein zu sehen, geführt von Josef. Nur daß noch ein niedliches Pferdegespann nebst Treiber gleichsam zum Ziehen des Werkes angeschirrt war.

Spät abends klopfte der Großvater das Schurzfell ab und holte seinen Sohn samt dem Weibe herein. Auf daß sie alle recht betrachten könnten, entzündete er ringsherum die zahlreichen Öllämpchen, die er an eisernen Haltern zur Erhellung angebracht. Das Hutmannspaar blickte erstaunt drein, wie er ihnen alles zeigte und erklärte. Sie lobten die Schäflein und fragten, ob denn Kamele wirklich so aussähen. [...]

In diesem Augenblick, während sie heiter und beschaulich davor standen, huben die Holzteller sachte an zu drehen. Niemand hatte sie berührt, keiner daran gestoßen. Oswald selber wurde sprachlos vor Erstaunen. Denn all sein Grübeln, wie er am besten das Göpelgetriebe in Gang setze, war noch keineswegs zum Ziele gelangt.

Lange blieben sie still. [...] Das Ehepaar war zuerst unruhig und fragte, wie er´s bloß gemacht hätte. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu. Er aber, Tränen auf den faltigen Wangen, atmete tief und beteuerte, er wisse nicht, welche verborgene Kraft das Triebwerk bewege. Ihm selbst sei´s unfaßbares Geheimnis.

Zur Probe hielt er mit den Händen vorsichtig die Teller an. Sie standen nur ein kurzes Weilchen, dann ging das Umlaufen wieder an, lebhafter schier als zuvor, unbegreiflich, unerklärbar. Wie schade, daß die Kindlein schon schliefen. Ob´s denn morgen abend noch einmal so unermüdlich laufen würde?

Aufgeregt wanderte Oswald Böhm in der Betstube hin und wieder, schaute und wartete, wann der Zauber enden wolle. Die Pferdlein zogen ohn´ Aufhören. Die Soldaten marschierten. Der Kniebügelmarsch der Bergleute, rundherum, immer rundherum, nahm kein Ende. Mählich verlöschten die Öllampen eine um die andre. Und bevor es gänzlich finster war im Raum, hatte auch der Umlauf und die rastlose Flucht nach Ägypten aufgehört. Seufzend, weil er mit solchem Vorgang nichts anzufangen wußte, suchte der Göpelwärter sein Lager auf.

Am heiligen Abend nach der Dämmerung pflegten die Bergleute droben im Huthaus alljährlich ihre Bergmette zu halten. Nach der letzten Schicht vor den Feiertagen traten sie, Bergleuchter und Mettenlichter in den Händen, zu froher Andacht zusammen. Diesmal umstanden sie alle neugierig das kunstreiche Türmlein, und der alte, sonst so bedächtige Böhm erzählte verstört, wie gestern das kleine Göpelspiel von selber in Gang gekommen sei, ohne menschliches Zutun. Inmittelst trat der Schulmeister ein, welcher bei besonderen Anlässen die schmale Orgel zu schlagen pflegte. Aufgeräumt und betulich grüßte er die Knappen mit Glückauf und schob sich behend zwischen die verwundert horchenden und schauenden Männer. Oswalds Schnitzerei und Göpelbau konnte man loben. Gleich sprudelte aber der Kantor: "Ei, was für eine Pyramide hat der Böhm aufgerichtet? Und gar, wenn man´s anstößt, dreht sich alles wie drunten in seinem Pferdegöpel."

"Ja", erwiderte ein junger Knappe, denn die Alten schwiegen vorsichtig, "gestern auf die Nacht soll´s ein Wunder gegeben haben. Von alleine hätte sich´s zu drehen angefangen."

"Wunder?" naserümpfte das kluge, aufgeklärte Männlein. "Glaubt Ihr Bergvolk immer noch an Wunder? Alles geht natürlich zu."

Und sogleich ließ er den Oswald berichten, wie alles gewesen. Unwillig schüttelte er den Kopf und überlegte eine ganze Weile. Endlich verlangte er, die Lämpchen an der Pyramide sollten entzündet werden, damit er alles genau untersuchen könnte. Oswald tat, wie ihm geheißen. Wahrlich, nicht lange, so begannen die Holzscheiben ihre Wanderung wieder. Überrascht stießen sich die Bergleute an. Der kleine Lehrer staunte zuerst auch mit. Aber plötzlich schnalzte er mit den Finger und frohlockte, daß die Vernunft gerettet sei:

"Ich hab´s! Kein Wunder ist´s, ganz selbstverständlich und mit ein wenig Physik leicht zu erklären: Die Wärme steigt empor von deinen vier Lampen und treibt oben die Flügel an. Denn die Pappen deines Daches lassen kleine Lücken, durch welche warme Luft sich durchzwängt und damit den leichtgebauten Göpel in Drehung versetzt. Einfach, höchst einfach! Aber eine wunderhübsche Erfindung."

Überlegen und vergnügt trollte er sich zur Orgelbank. Denn der Steiger war inzwischen eingetreten, und die Mette sollte beginnen. Während die Bergleute ihr Weihnachtslied sangen: "Der Bergfürst ist erschienen", schauten sie verstohlen nach der Pyramide hinüber, die unaufhörlich ihren Umlauf hielt. Keiner glaubte dem Schulmeister, denn das Wunder war zu offenbar.


Text: Siegfried Sieber

TUC-Adventskalender 1998
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Bauer Lindemanns Weisheit des Tages


mit freundlicher Genehmigung des Erzgebirgsvereins e.V., Fotos: M.Ehrig,
Marion Riedel, Die TU-Wichtel im Dezember 1998