Pressemitteilung vom 20.9.1997
Von Walkmännern, Stereogürteln und Ikon-Kameras
Das Patentgesetz wird 120 - Seine Wiege stand in Chemnitz
Stolz rückten die Japaner zur Photokina in Köln an. Dort, auf der alle zwei Jahre stattfindenden größten Fotoausstellung der Welt, wollten sie ihr neuestes Kameramodell vorstellen. Doch daraus wurde nichts. Unverrichteter Dinge mußten sie ihr Ausstellungsstück wieder einpacken: Der japanische Apparat erwies sich als genaue Kopie einer Contax, des Spitzenmodells der deutschen Firma Zeiss-Ikon, und die erwirkte sofort eine einstweilige Verfügung. Sogar den Namen, so will ein Insider wissen, kupferten die Kopisten von den Deutschen ab - sie setzen einfach vor das "Ikon" ein N für Nippon, den japanischen Namen für Japan. Es war die Geburtsstunde der Nikon.
Das ist lange her, und die Firma Nikon hat sich längst mit erstklassigen Kameras, Mikroskopen und Ferngläsern einen eigenen Namen erarbeitet. Dennoch macht das Beispiel deutlich, wie wichtig es ist, wenn Produkte durch Patente geschützt sind. Genau 120 Jahre ist es her, seit der Reichstag das erste deutsche Patentgesetz erließ. Anlaß genug für die Chemnitzer Uni, am Donnerstag, dem 9. und am Freitag, dem 10. Oktober eine wissenschaftliche Tagung zum Thema "Patentschutz und Innovation in Geschichte und Gegenwart" zu veranstalten.
Was nämlich kaum jemand weiß: Die Wiege des deutschen Patentgesetzes stand in Chemnitz. Damals gründete sich auf Anregung des Industriellen Werner von Siemens und des Chemnitzer Oberbürgermeisters Dr. Wilhelm André der Patentschutzverein. Der Jurist André wurde beauftragt, einen Entwurf für das Patentgesetz auszuarbeiten. Der wurde dann ausgiebig diskutiert und nach kleinen Änderungen für gut befunden. Die Reichsregierung interessierte das zunächst nicht. Erst als Siemens sich an Kanzler Bismarck persönlich wandte, kam Schwung in die Sache. Dabei versäumte er nicht, darauf hinzuweisen, daß deutsche Produkte in aller Welt als "billig und schlecht" galten. Ein Patentgesetz diente in Siemens` Augen auch dazu, die deutsche Industrie zu stärken und ihr mehr Ansehen zu verschaffen. Am 25. Mai 1877 war es endlich soweit: Das Patentgesetz trat in Kraft, der André-Entwurf war von den Abgeordneten nur leicht modifiziert worden. Seine Grundzüge gelten trotz einiger Änderungen - sie betreffen im wesentlichen die Dauer des Patenschutzes und die Arbeitnehmererfindungen - noch immer: Eine Erfindung ist dann patentfähig, wenn sie neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist. Zudem muß ein nennenswerter Unterschied gegenüber dem Stand Technik gegeben sein. Einfach eine kleine Schraube durch eine große zu ersetzen, reicht also nicht.
Die Beteiligung von André - Chemnitzer OB von 1874 bis 1896 - war kein Zufall: Chemnitz war damals eine Industriestadt von Weltrang, zahlreiche Erfindungen wurden hier gemacht. Die konnten freilich nur unzureichend gegen Nachahmer geschützt werden. So erfand etwa Adolf Ferdinand Weinhold, damals Physikprofessor an der Vorläuferin der heutigen Chemnitzer Uni, kurz nach 1870 die Thermosflasche - in den Lexika wird meist der Brite James Dewar als Urheber genannt, doch das ist falsch. Immerhin, Dewar war kein Kopist, er erfand das Gefäß unabhängig von Weinhold; beide kannten einander nicht. Wie bedeutend das Patentgesetz gerade für Chemnitz war, erkennt man daran, daß schon 1891, nur 14 Jahre nach dem Inkrafttreten, die meisten Patentanmeldungen aus Chemnitz kamen - sechsmal mehr als im Reichsdurchschnitt.
Das ist heute nicht mehr so, doch Sachsen ist dank der "InnovationsWerkStadt" Chemnitz (offizieller Marketingslogan) und seiner einmaligen Mischung aus Uni, Technologiezentren und zahlreicher pfiffiger, anpassungsfähiger, kleiner Unternehmen dabei, wieder nach oben zu klettern: Mittlerweile vergeht kaum eine Woche, in der nicht die FAZ, Focus oder die Wirtschaftswoche über eine neue, bahnbrechende Entwicklung berichten - "Silicon Valley im Plattenbau", wie "Die Welt" im vergangenen November titelte.
Und auch Deutschland täte eine Patentoffensive gut: Seit Jahren stagniert die Zahl der Anmeldungen von Inländern bei rund 35.000. Damit liegt die Bundesrepublik zwar international noch immer auf Platz 3 hinter den USA (105.000) und Japan (320.000 Anmeldungen im Jahr). Bezogen auf die Einwohnerzahl ist das nicht einmal so schlecht, mehr jedenfalls als in Amerika. Die japanischen Zahlen wiederum erklären sich auch durch ein anderes Patentgesetz - es begünstigt die Patentstückelung, die Aufspaltung einer Idee in eine Reihe von Teilideen, die jeweils einzeln gezählt werden. Ein Grund zum Zurücklehnen ist das allerdings nicht: Das Patentaufkommen hat sich in Japan in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht, in den USA ist es immerhin um rund 70 Prozent gestiegen - und es sind diese Steigerungsraten, auf die es ankommt.
Und noch etwas anderes hat man in Deutschland nie so recht verstanden: Es genügt nicht, eine gute Idee zu haben, man muß sie auch richtig vermarkten. Ob Computer, Faxgeräte oder Tonbänder - erfunden wurden sie in Deutschland, nämlich von Konrad Zuse, Rudolf Hell und einer Arbeitsgruppe der BASF. Doch die entsprechenden Produkte kommen heute fast alle aus dem fernen Osten. Hier haben die Wirtschaft und offensichtlich auch der Staat in der Vergangenheit versagt. Und auch die Gilde der Kopisten ist möglicherweise noch nicht ganz ausgestorben. Bestes Beispiel: Der Unterhaltungselektronik- Renner der letzten 20 Jahre, der Walkman der Firma Sony. Weit über hundert Millionen Mal wurde er seit seiner Markteinführung verkauft. Doch wer die goldene Idee hatte, ist zumindest strittig: Bereits 1977 meldete der Deutsche Andreas Pavel eine "Elektroakustische Anlage für die hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen" zum Patent an, die er auf den Namen "Stereobelt" (deutsch: -gürtel) taufte - sie weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem japanischen Produkt auf.
Deshalb ist die Chemnitzer Tagung in erster Linie für kleine und mittlere Unternehmen gedacht, aber auch der Einzelerfinder oder der einfach nur Interessierte sind willkommen. Die Liste der Referenten kann sich sehen lassen. So wird Prof. Erich Häusser, der frühere Präsident des Deutschen Patentamtes, über "Die wirtschaftliche Bedeutung zukunftsorientierter Technik" sprechen. Der wohl kompetenteste Kenner der deutschen Patentgeschichte, der Niederländer Prof. Kees Gispen (er lehrt an der Universität von Mississippi in den USA) wird über die Patentgesetzgebung in der Nazizeit und den Anfangsjahren der Bundesrepublik referieren, und Arno Körber von der Siemens-Patentabteilung über den Patentschutz bei Großunternehmen. Wozu ein Patentanwalt gut ist, erläutert Gerd Wystemp, Vorstandsmitglied des Vereins der sächsischen Patentanwälte, während Günter Reiner, Ministerialrat im Bundesforschungsministerium, erzählt, wie seine Dienststelle den Erfindern helfen kann. Neben weiteren hochkarätigen Referenten fehlt natürlich auch die Chemnitzer Uni nicht: Sie ist durch die Professoren Friedrich Naumann, Gerhard Dohrn-van Rossum und Rudolf Boch vertreten (der die Veranstaltung auch organisiert hat). Die drei werden mit interessanten Einzelheiten aus der der Patentgeschichte aufwarten.
Beginnen wird die Veranstaltung am 9. 10. um 19 Uhr mit Kurzvorträgen im Sitzungssaal des Chemnitzer Rathauses. Die eigentliche wissenschaftliche Tagung findet ab am Freitag, dem 10. 10. 97, ab 9 Uhr im Salon Agricola des Hotels "Chemnitzer Hof", Theaterplatz 4, (schräg gegenüber vom Hauptgebäude der Uni) statt. Gebühren werden für die Veranstaltung übrigens nicht erhoben - dringende erforderlich ist allerdings eine Anmeldung bis spätestens zum 1. Oktober.
Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Reichenhainer Str. 39, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Rudolf Boch, Tel. 0371/531-3921, Fax 0371/531-4065, e-mail: rudolf.boch@phil.tu-chemnitz.de
(Autor: Hubert J. Gieß)
Hinweis für die Medien: Zu diesem Beitrag können Sie ein Foto in der Pressestelle anfordern. Es zeigt die Ur-Thermosflasche des Chemnitzer Physikers Adolf Ferdinand Weinhold.
Bildunterschrift: Die Ur-Thermosflasche von Adolf Ferdinand Weinhold, erfunden an der "Königlichen Höheren Gewerbschule", der Vorläuferin der heutigen Chemnitzer Uni. Weinhold war dort Physikprofessor. Er selbst bezeichnete die Flasche als "Vakuummantelgefäß" und benutzte sie nachweislich schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, um verflüssigte Gase aufzubewahren. 1881 beschrieb er sie in seinem Buch "Physikalische Demonstrationen". Es handelt sich um das erste doppelwandige Gefäß mit luftleer gepumptem Zwischenraum. Solche Gefäße zeigen einen äußerst geringen Wärmeaustausch mit der Umgebung. Auch eingebrachte Flüssigkeiten oder Speisen halten darin längere Zeit ihre Temperatur. 1890 erfand der englische Physiker Sir James Dewar die Weinholdsche Flasche zum zweiten Mal. Gleichzeitig verbesserte er sie, indem er zusätzlich eine Innenverspiegelung anbrachte, um auch noch die Wärmestrahlung zurückzuhalten. Rechts zum Vergleich eine heutige Thermosflasche. Foto: Gieß, TU Chemnitz