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Pressemitteilung vom 28.02.2000

Von Löchern in der Zeit und wie man sie stopft

Von Löchern in der Zeit und wie man sie stopft
Warum das Jahr 2000 ein Schaltjahr ist

Gehören Sie auch zu jenen immerhin 55.000 Deutschen, die morgen Geburtstag haben? Dann gratulieren wir Ihnen herzlich! Ein solches Glück haben Sie schließlich nicht jedes Jahr. Was es mit den Schalttagen auf sich hat, woher sie kommen und wozu sie nötig sind, darüber spricht der Mathematiker Prof. Eberhard Lanckau pünktlich zum 29. Februar in der Chemnitzer Uni. Und auch sonst gibt es eine Menge interessantes zum Thema zu sagen.

Ist das nicht ungerecht? Nur alle vier Jahre Geburtstag feiern zu können, bloß weil man am 29. Februar geboren ist? Wenn man dem Informatik-Studenten Sven Bruns aus Kiel glauben will, wird dadurch sogar seine Menschenwürde verletzt. Sven nämlich ist an einem 29. 2. ge-boren, im Jahre 1976 - und konnte daher bisher erst fünf Geburtstage feiern. Den sechsten bereitet er gerade vor: Zum Glück ist dieses Jahr ein Schaltjahr. Und wer ist schuld an Svens Unglück? Die Papisten natürlich. Ohne dass er je etwa Böses getan habe, sei er von der ka-tholischen Kirche zu einem Menschen vierter Klasse gestempelt worden.

Doch Sven wehrt sich gegen solche Benachteiligungen: Damit endlich Schluss damit ist, hat er mit zwei gleichgesinnten Freunden eine Homepage im Internet geschaltet. Unter http://www.geocities.com/TimesSquare/Corner/2858/petition.html fordert er alle Surfer auf, eine Petition an die UNO zu unterzeichnen - "zur dauerhaften Einführung des 29. Februar". Und auch beim Vatikan soll man sich beschweren, die E-Mail-Adresse steht gleich dabei: postmaster@vatican.va.

Damit freilich tut Sven Bruns Kirche und Papst bitter unrecht: Nicht sie waren es, die ihm die ganze Chose eingebrockt haben, sondern Julius Caesar. Der nämlich hat im Jahre 46 vor Christus den Schalttag erfunden, der Sven soviel Verdruss bereitet - Papst Gregor XIII. hat lediglich seine Berechnung verfeinert.

Immerhin steht der Student mit seinem Schicksal aber nicht allein: Er teilt es mit rund 55.000 anderen Deutschen und mit Millionen Menschen weltweit, genug Mitstreiter für seine gerechte Sache also. Selbst Prominente bleiben von dem Übel nicht verschont: Der italienische Komponist Giocchino Rossini ist ebenso an einem 29. Februar geboren wie die französische Schauspielerin Michèle Morgan. Die ist freilich auch ein Beispiel dafür, wir nahe oft Glück und Unglück beieinander liegen: Sie feiert morgen ihren 20. Geburtstag. Auch in Chemnitz zum Beispiel sind 197 Bürger betroffen, die sich zum ersten Mal seit vier Jahren auf ihren Geburtstag freuen können.

Nicht nur bei Geburtstagskindern ist der eingeschobene Tag unbeliebt: Heiratswillige etwa meiden ihn als Termin für ihr Ja-Wort - welches Paar hat schon Lust, nur alle vier Jahre seinen Hochzeitstag zu feiern? Und den ganz gewöhnlichen Angestellten ärgert, dass er in Schaltjahren einen ganzen Tag länger arbeiten muss - für lau. Einzig der britischen Königin Elisabeth bringt der Schalttag ein wenig Ruhe. Denn normalerweise schreibt die Monarchin ihren 100-Jährigen Untertanen höchstpersönlich eine Geburtstagsbotschaft. Da es keinen 29. 2. 1900 gab, hat sie diesmal einen freien Tag.

Warum das Jahr 2000 - anders als 1900 - ein Schaltjahr ist und wozu Schaltjahre überhaupt gut sind, darüber spricht der Chemnitzer Mathematiker Prof. Eberhard Lanckau am Diens-tag, dem 29. Februar 2000, im Hauptgebäude der Chemnitzer Uni, Straße der Nationen 62, Hörsaal 316. Der Vortrag ist Teil des Seniorenkollegs der Uni.

Dass dieses Jahr 366 Tage hat, verdanken wir, wie gesagt, Papst Gregor XIII. Der sorgte nämlich durch eine doppelte Ausnahmeregel dafür. Die Schalttage gehen ursprünglich auf den römischen Herrscher Julius Caesar zurück. Gemeinhin verstehen wir unter einem Jahr die Zeit, die die Erde braucht, um einmal die Sonne zu umrunden - genau 365,242199 Tage. Diese "krumme" Zahl war in ihren Grundzügen übrigens schon den alten Ägyptern bekannt. Doch für einen Kalender ist es reichlich unpraktisch, wenn nach 0,242199 Tagen ein neues Jahr anfängt. Um diese Zeit auszugleichen kam Caesar - der sich von dem ägyptischen Gelehrten Sosigenes aus Alexandria beraten ließ - auf die Idee, alle vier Jahre das Jahr um einen Tag zu verlängern. Damit war der julianische Kalender geboren. Die Umstellung war dennoch nicht einfach, denn gegenüber dem zuvor benutzten altrömischen Kalender hatte sich eine Lücke von 80 Tagen aufgetan. Die Lösung: Caesar verlängerte das Jahr 46 vor Christus einfach per Verordnung auf 445 Tage.

Der Schalttag fiel damals übrigens nicht auf den 29. Februar, sondern wurde zwischen den 24. und 25 Februar eingeschoben. In vier Jahren kommen so exakt 1461 Tage zusammen, auf das Jahr umgerechnet also 365,25 Tage. Und das entspricht schon recht genau der Jahreslänge. Der Unterschied macht nur noch 0,0078 Tage oder 11 Minuten und 14 Sekunden aus - um diesen Betrag ist das Julianische Kalenderjahr zu lang.

Doch auch diese paar Minuten summieren sich im Lauf der Zeit zu Stunden und schließlich Tagen. Zuerst fiel dies den Astronomen auf: Der Frühling begann nicht mehr am 21. März. Im 16. Jahrhundert betrug der Unterschied schon volle zehn Tage. Daran störte sich besonders die katholische Kirche. Das höchste kirchliche Fest, Ostern, richtete sich nämlich nach dem Frühlingsanfang, es fiel immer genau auf den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond. Also beschloss Papst Gregor XIII. 1582 eine Kalenderreform - der Gregorianische Kalender war geboren. Und an noch etwas dachten die Päpste: Sie bescherten der katholischen Kirche sogar einen eigenen Heiligen für den 29. Februar: St. Oswald, Bischof von Worcester und Erzbischof von York. Diese Ehre verdankt er seinem Todestag - er starb am 29. Februar 992.

Auch Gregor kam bei seiner Reform freilich nicht ohne Wissenschaftler aus - als eigentliche Erfinder des neuen Kalenders gelten der italienische Astronom Luigi Lilio (latinisiert Aloysius Lilius) und der in Bamberg geborene Mathematiker Christophorus Clavius. Um mit dem Geschehen am Himmel wieder ins Reine zu kommen, verfielen die beiden auf den Trick mit der doppelten Ausnahme. Ausnahme Nr. 1, die Ausnahme vom Julianischen Kalender: Die Schalttage fielen in allen Jahren weg, die durch hundert teilbar waren. Ausnahme Nr. 2, die Ausnahme von der Ausnahme: Ist die Jahreszahl auch durch vierhundert teilbar, wird wieder ein Schalttag eingeschoben. 1700, 1800, 1900 waren mithin keine Schaltjahre, das Jahr 2000 hingegen ist eines, wie auch schon das Jahr 1600 eines war.

Im Schnitt hat das Gregorianische Jahr also 365,2425 Tage, und das sind nur noch 0,000301 Tage oder etwa 26 Sekunden mehr als die tatsächliche Jahresdauer. Es gibt also immer noch einen Kalenderfehler, doch der wächst nur noch sehr langsam - erst im Jahr 4915 müssen sich unsere Nachkommen darüber Gedanken machen, ob sie den 29. Februar 4916 (ein Schaltjahr, da durch vier teilbar) ausfallen lassen sollen.

Doch damit waren die Probleme nicht gelöst - was sollte man mit den überschüssigen zehn Tagen machen? Auch da wusste Gregor Rat: er ließ sie per Dekret einfach ausfallen. Auf den 4. Oktober 1582 folgte gleich der 15. Oktober 1582. Übrigens nicht gerade zum Vergnügen seiner größtenteils noch recht ungebildeten Schäfchen - die nämlich verstanden den Wegfall nicht, glaubten sich um die fehlende Zeit betrogen und litten an einer ganz und gar unchristlichen Heidenangst.

Aber halt: 11 Minuten und 14 Sekunden war der Julianische Kalender zu lang - und das sind in den 1628 Jahren von 46 v. Chr. bis 1582 n. Chr. ziemlich genau 12,7 Tage. Doch Gregor fügte 1582 nur zehn Tage ein. Genau diese fehlenden 2,7 Tage sind Teil der Argumentation des Autors Herbert Illig. Der nämlich behauptet in seinem vor zwei Jahren erschienen Buch "Das erfundene Mittelalter", dass wir uns eigentlich erst im Jahr 1703 nach Christus befinden - die dreihundert Jahre Geschichte von etwa 600 bis 900 seien komplett gefälscht worden. Päpste, Kaiser, Könige dieser Zeit, sogar Karl der Große - sie haben nie gelebt, sind komplett erstunken und erlogen. Illig erliegt aber offensichtlich einem simplen Fehlschluss: Nicht die Einführung des Julianischen Kalenders ist der Fixpunkt für die Kalenderreform Gregors, son-dern das Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. Chr. Erst damals nämlich wurden Frühlingsanfang und Osterdatum festgelegt.

Doch der Schalttag könnte uns auch reale Probleme bescheren - bei unseren Funkuhren näm-lich und den von ihnen gesteuerten Computern. Zwar hat sich das Jahr-2000-Problem im Nachhinein als "Ente erweisen, die von der Computerindustrie in die Welt gesetzt wurde", so der tschechische Premier Milos Zeman. Doch diesmal könnte es ernst werden. Alle Funkuhren werden von dem Zeitsender DCF 77 bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig gesteuert, und zwar sekundengenau. Das Problem liegt in den Uhren selbst: Nicht alle älteren Zeitmesser können die Signale auch korrekt auswerten, sie sind auf das Schaltjahr nicht eingerichtet. Dazu kommt, dass die meisten Uhren das DCF-Signal nicht dauernd empfangen, sondern nur zu jeder vollen Stunde oder (bei Armbanduhren) gar nur einmal am Tag. Die übrige Zeit wird von einem normalen Quarzuhrwerk überbrückt. Dieses gerät durcheinander, wenn beide Zeitwerte zu sehr voneinander abweichen. Vor allem Uhren, die vor 1993 gebaut wurden, sollen betroffen sein.

Solche Uhren könnten womöglich stehen bleiben oder verrückt spielen, wenn ihnen signalisiert wird, dass es Dienstag, der 29. Februar ist, wo sie doch genau zu wissen glauben, dass dieser Dienstag auf einen 1. März fallen muss. Und das könnte in Firmen Liefertermine durcheinander bringen oder Maschinen abschalten. Probleme kann es auch zu Hause geben, etwa bei der Programmierung älterer Videorecorder. Teure mechanische Uhren - solche in der Preisklasse ab 20.000 Mark - haben diese Schwierigkeiten übrigens nicht: Sie besitzen häufig einen "ewigen Kalender", ein kleines Wunderwerk aus mehr als hundert Teilen, das den 29. Februar 2000 spielend meistert.

Den Ärger hätten sich die Entwickler der Funkuhren sparen können: Sie hätten sich nur an die Vorschriften halten müssen. Schließlich sind wir in Deutschland, und da ist alles bis ins Kleinste geregelt - für die Zeit ist zum Beispiel die Deutsche Norm DIN EN 28601 zuständig. Immerhin, so versichert uns etwa die Firma Junghans: "Unsere Funkarmbanduhren kennen den 29. 2."

Klar, dass zu einem solchen Termin auch die Geschäftemacher unterwegs sind. Einer ließ sich sogar die Internetadresse http://www.schaltjahr.de eintragen, bevor ihn offensichtlich der Mut verlor: Die Seite ist leer. Wenig jucken wird der 29. Februar wohl all jene, die sich nach anderen Kalendern richten. Zwar haben mittlerweile fast alle Nationen den Gregorianischen Kalender übernommen, doch schon das dauerte Jahrhunderte. Vorreiter waren naturgemäß die katholischen Länder. Doch auch andere Staaten erkannten schließlich seine Vorteile. In den protestantischen Ländern Deutschlands gilt der Gregorianische Kalender seit 1700, in England seit 1752, in Schweden seit 1753, in Japan seit 1873, in Russland seit 1918 und in der Türkei seit 1927. Einige Länder haben jedoch zwei getrennte Zeitmeßsysteme - davon eines oft für den religiösen Bereich.

(Autor: Hubert J. Gieß)

Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Fakultät für Mathematik, Reichenhainer Str. 41, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Eberhard Lanckau, Tel. 03 71 / 725 44 21, E-Mail: e.lanckau@gmx.de