Chemnitzer Politikwissenschafts-Expertise ist in Berlin gefragt
Vom Bundeswahlgesetz zur Bundespolizei: Prof. Dr. Gerd Strohmeier ist Anfang September zweimal als Sachverständiger im Innenausschuss des Deutschen Bundestages zu Gast
"Für mich als Politikwissenschaftler gehört das schon zum Höchsten der Gefühle", sagt Prof. Dr. Gerd Strohmeier. Der Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der TU Chemnitz meint die beiden Einladungen als Sachverständiger in den Innenausschuss des Deutschen Bundestages, die ihn vor kurzem erreicht haben. Am 5. September war er bei einer öffentlichen Anhörung zugegen, bei der vier "Entwürfe eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes" diskutiert wurden. "Die Gesetzentwürfe enthalten Vorschläge zur - mittlerweile überfälligen - Behebung des Effekts des `inversen Erfolgswerts´ beziehungsweise des `negativen Stimmgewichts´ sowie zur Lösung des Problems der Berliner Zweitstimmen. In beiden Fällen haben alle Fraktionen Reformvorschläge unterbreitet und es besteht ein dringender politischer Handlungsbedarf", so Strohmeier. Es geht bei dem im Mittelpunkt stehenden Effekt des inversen Erfolgswerts um ein Phänomen bei Wahlen, durch das Stimmen eine andere Wirkung erzielen, als von den Wählern gewünscht.
Unter den acht geladenen Sachverständigen war Strohmeier der einzige Politikwissenschaftler. "Das ist einerseits etwas schade für meine Zunft, andererseits macht es gerade den Reiz an der Sache aus, dass beispielsweise ein Staatsrechtler oder ein Mathematiker die Thematik völlig anders angeht", so Strohmeier, der bei seinem Statement im Innenausschuss frei nach Winston Churchill erklärte: "Der Entwurf der Regierungsparteien ist der schlechteste mit Ausnahme aller anderen." Er favorisiert also den Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, allerdings nur mit Überarbeitungen. Für die drei anderen Gesetzentwürfe - von der SPD, von den Linken sowie von Bündnis 90/Die Grünen - vergab der Politikwissenschaftler Einschätzungen zwischen "nicht zu empfehlen" und "unter keinen Umständen zu empfehlen". "Der Entwurf der SPD würde die Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen. Die Entwürfe der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen unterscheiden sich nur in einem kleinen Detail. Sie führen zwar zur Verfassungskonformität, würden aber das Wahlsystem massiv verändern und negative Nebenwirkungen haben", so Strohmeier. Auf Grundlage der vor dem Innenausschuss vorgetragenen Stellungnahmen werden die Parteien ihre Entwürfe nun überdenken und gegebenenfalls nachbessern, bevor innerhalb der nächsten Wochen der Bundestag entscheidet, wie das Bundeswahlgesetz geändert wird.
Am 8. September ist Strohmeier ein zweites Mal in kurzer Folge in Berlin zu Gast - dann geht es um die Situation der Bundespolizei. Strohmeier ist in den Innenausschuss geladen, um seine Studie "Klartext 2010" vorzustellen, in der er im Auftrag der Gewerkschaft der Polizei (GdP) - Bezirk Bundespolizei die Berufszufriedenheit in der Bundespolizei untersuchte. "Die Ergebnisse haben nach der Veröffentlichung im April 2011 recht hohe Wellen geschlagen", sagt Strohmeier. "In der gesamten Bundespolizei ist die Zufriedenheit sehr niedrig und die Belastung sehr hoch. Folglich lässt sich - umgangssprachlich - nicht von einigen Baustellen innerhalb der Bundespolizei, sondern von der Großbaustelle Bundespolizei sprechen", fasst der Chemnitzer Politikwissenschaftler die Ergebnisse zusammen. Seine Präsentation in Berlin dient der Information des Bundestages und kann langfristig die Politik beeinflussen. "Bei solchen Aufgaben wie den beiden Terminen in Berlin kann man als Politikwissenschaftler sehr konkret etwas bewirken. Das macht schon richtig Spaß, auch wenn ich mich bei der Anfertigung der Stellungnahme zum Bundeswahlgesetz aufgrund des Zeitdrucks an die Endphase meiner Dissertation erinnert gefühlt habe", so Strohmeier.
Der Bundestag informiert über die Anhörung zum Bundeswahlgesetz unter http://www.bundestag.de/presse/hib/2011_09/2011_337/01.html
Katharina Thehos
06.09.2011