Von der Hauptschuld zur kollektiven Verantwortung
Australischer Historiker Christopher Clark unternimmt in "Die Schlafwandler" Neuinterpretation der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs - Buchvorstellung am 7. November 2013 an der TU Chemnitz
In der deutschen Geschichtswissenschaft wurde seit der "Fischer-Kontroverse" in den 1960er-Jahren die These vertreten, dass das deutsche Kaiserreich die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trage. Der in Cambridge lehrende Christopher Clark legt nun eine Neuinterpretation der Vorgeschichte des "Großen Krieges" vor, die diese These in Frage stellt. Sein Buch "Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" ist in kürzester Zeit zum Bestseller avanciert. Am 7. November 2013 um 18 Uhr stellt Clark sein Werk an der Technischen Universität Chemnitz zur Diskussion. Die Veranstaltung findet statt im Hörsaalgebäude an der Reichenhainer Straße 90, Raum N112.
Clark beschreibt "minutiös die Interessen und Motivationen der wichtigsten politischen Akteure in den europäischen Metropolen und zeichnet das Bild einer komplexen Welt, in der gegenseitiges Misstrauen, Fehleinschätzungen, Überheblichkeit, Expansionspläne und nationalistische Bestrebungen zu einer Situation führten, in der ein Funke genügte, den Krieg auszulösen, dessen verheerende Folgen kaum jemand abzuschätzen vermochte" - so formuliert es die Deutsche Verlags-Anstalt, in der das Buch erschienen ist. Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Inhaber der Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, schließt sich Clarks Auffassung an: "Sein Werk steht für einen aktuellen Trend in der Geschichtswissenschaft, der das deutsche Kaiserreich im Kontext gesamteuropäischer Vergleichsmaßstäbe nicht mehr allein als rückwärtsgewandten Obrigkeitsstaat sieht, der gleichsam zwangsläufig auf die NS-Diktatur hinauslaufen musste." Und er ergänzt: "Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, einen so renommierten Autor kurzfristig nach Chemnitz zu holen."
Christopher Clark, geboren 1960, unterrichtet als Professor für Neuere Europäische Geschichte an der University of Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens - die Kontakte zu Kroll entstanden denn auch über dessen Amt als Vorsitzender der Preußischen Historischen Kommission. Clark ist Autor einer Biographie über den letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. Für sein Buch "Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947" erhielt er 2007 den renommierten Wolfson Prize sowie 2010 - als erster nicht-deutschsprachiger Historiker - den Preis des Historischen Kollegs. In diesem Jahr wurde ihm der Braunschweiger Geschichtspreis verliehen.
Clarks Auftritt bildet zugleich den Auftakt zu einer Reihe von Vortragsveranstaltungen, die von Krolls Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts im Rahmen des Projektes "Erinnerndes Gedenken" zur Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Sachsen angeboten werden. Das Projekt wird in Kooperation mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Sachsen e.V. und dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz durchgeführt. Für das kommende Sommersemester ist unter anderem eine Ringvorlesung zur Geschichte des Ersten Weltkriegs geplant, die von international renommierten Historikern bestückt wird.
Weitere Informationen erteilt Dr. Hendrik Thoß, Telefon 0371 531-32615, E-Mail hendrik.thoss@phil.tu-chemnitz.de.
(Autor: Martin Munke)
Katharina Thehos
04.11.2013