Der Grenzlandradweg.

Sonntag, 20. Juli 1997: Chemnitz

Regen. Immer noch Regen. Wenn der Regen aufh�rte, nieselte es. Ich hatte mich immer gefragt, ob ich irgendwann einmal das Beispiel der 'e'-lastigen Wortgruppe aus F�hmanns Sprachspielbuch anwenden k�nnte. Auf diesen Tag pa�te sie einfach gro�artig: "Regelrecht ekelerregendes Regenwetter!" Wir rafften uns zu einer Fahrt in den Garten auf, um unsere Eltern beim Aufr�umen der Reste unserer Vortags-Gartenfete nicht v�llig allein zu lassen. Auf dem R�ckweg konnten wir die Chemnitzbr�cke schon nicht mehr passieren, weil das technische Hilfswerk mit schwerer Technik gro�e Haufen angeschwemmter �ste beseitigte, um die Br�cke vor dem Hochwasser zu sch�tzen. Fr�her machten das ein paar mit langen Stangen ausger�stete M�nner der Zivilverteidigung. Und wir wollten am n�chsten Tag in den Urlaub fahren ...
(0 km)

Montag, 21. Juli 1997: Regensburg

Langsam erwachten wir, geweckt durch das charakteristischen Rauschen von Autoreifen auf nassem Asphalt. Gegen die B�ume hoben sich Regenschn�re ab. Der d�stere Himmel lockte uns nicht aus dem Bett. Irgendwann sa�en wir dann doch am Fr�hst�ckstisch. Was machen wir nun? Scheinaktivit�ten entfaltend, studierten wir die Wetterberichte verschiedener Stationen im Internet. Strahlender Sonnenschein in Skandinavien, der Rest Europas zeigte Regenwolken. Das versprach nasse Stra�en, sumpfige Campingpl�tze, mi�gelaunte Gastwirte ... Aber wir sind doch ge�bte Reiseradler, vertraut mit allen Witterungsunbilden! Gegen Mittag fiel die Entscheidung: Wir fahren trotzdem! Bis Passau w�rde uns der Zug allerdings heute nicht mehr bringen - so w�hlten wir als Tagesziel Regensburg. 13.00 Uhr hatte ich eine Liste Regensburger Hotels im Netz aufgest�bert. Kurz vor 15.00 Uhr fuhr unser Zug. Binnen zwei Stunden hatten wir telefonisch ein Zimmer reserviert, Schlafs�cke, Zelt, W�sche, Werkzeug, Kocher und Karten in den Packtaschen verstaut und die Wohnung in einen Zustand gebracht, in dem man sie ungestraft zwei Wochen allein lassen konnte. Unsere Initiative wurde umgehend belohnt - der Regen h�rte auf.

Wir fuhren - nun doch leicht gehetzt - zum Bahnhof. "Zwei Fahrkarten mit Bahncard nach Regensburg, und zwei Fahrradkarten dazu bitte!" rief ich der Fahrkartenverk�uferin entgegen.
"Ich kann Ihnen aber keine Reservierung mehr geben!"
"Wenn Sie keine Reservierung geben k�nnen, lassen Sie es eben," entgegnete ich leicht gereizt, denn die Abfahrtszeit des Zuges war nicht mehr fern.
"Nat�rlich kann ich reservieren, aber nicht so kurz vor der Abfahrt," rechtfertigte sie sich. Das �berraschte mich nicht sonderlich. Aber es erstaunte mich sehr, da� sie uns auch keine Fahrradkarten ausstellen wollte, weil sie nicht garantieren k�nne, da� uns der Interregio auch mitnehmen w�rde. Ich konterte mit dem Hinweis, da� wir wohl kaum unsere R�der auf dem Bahnsteig zur�cklassen w�rden und sie uns daher auch keine Fahrkarten verkaufen d�rfe. Das brachte mir die Bemerkung ein, da� ich die Fahrkarte ja dann zur�ckgeben k�nne. Mit meiner R�ckfrage, ob man die Fahrradkarten nicht zur�ckgeben kann, gerieten wir in eine Pattsituation, die Hildegard mit dem konstruktiven Argument, da� wir eben im Notfall mit dem n�chsten Regionalexpre� fahren w�rden, aufl�ste. Das brachte den Sieg. Die widerspenstige Verk�uferin gab sich geschlagen und war sogar bereit, die Fahrradkarten gleich bis Passau auszustellen, wo wir am n�chsten Tag unsere Tour beginnen wollten. Um die Urlaubskasse zu schonen, zahlte ich mit Karte und erhielt zun�chst einen Beleg �ber 18.00 DM. Das kosten heutzutage zwei Fahrradkarten f�r eine Strecke �ber 100 km mit Bahncard. Wo aber blieb die Rechnung �ber die Fahrkarten? Ich schaute fragend zu der jungen Frau hin�ber, die prompt giftete: "Sie haben doch jetzt alles, was wollen Sie denn noch?" Das war eindeutig - wir eilten zum Bahnsteig, wo kurz darauf ein Interregio mit gro�em Packwagen einfuhr. Der freundliche Schaffner freute sich, da� wenigstens zwei R�der den reichlich vorhandenen Platz nutzten und meinte zu unseren Schwierigkeiten: "Da kommen Sie eben das n�chste Mal gleich zu mir, ich verkaufe Ihnen die Fahrradkarten gern." Entspannt genossen wir die Fahrt nach Regensburg als willkommenes Geschenk der Bundesbahn an treue Kunden.
(8 km)

Dienstag, 22. Juli 1997: Neustift

In Regensburg schliefen wir im "Spitalgarten", einer preiswerten, einfachen, aber uns sehr zusagenden Unterkunft gleich am Ufer der gut gef�llten Donau. Nicht nasse Autoreifen, sondern das helle Klirren der gewaschenen Flaschen in der Abf�llanlage der "Spitalbrauerei" weckte uns. Ich fand es sehr angemessen, die erste Nacht des Urlaubs �ber einer Brauerei zu verbringen, und das wohlschmeckende Bier war mir noch vom Vorabend in angenehmer Erinnerung.

F�r Regensburg nahmen wir uns kaum Zeit, doch besteht der feste Vorsatz, der Stadt irgendwann einmal mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Gleich nach dem Fr�hst�ck fuhren wir per Bahn weiter nach Passau, der "Drei-Fl�sse-Stadt". Den Ablick der H�user und Tore genie�end, kauften wir noch ein paar Kleinigkeiten ein und stiegen dann auf unsere R�der. Am Zusammenflu� von Donau, Inn und Ilz war man noch beim Beseitigen des vom Hochwasser herangetragenen Schlammes.

Auf dem Donauradweg reisten wir nach �sterreich ein, gemeinsam mit vielen anderen Radfahrern. Das Hochwasser der Donau hatte den Weg nicht �bersp�lt. Die Sch�den, die wir sahen, stammten von nun wieder unscheinbaren B�chen, die normalerweise in Rohren die Stra�e unterqueren. Einige hatten in dem gro�en Regen der letzten Tage ihre gro�e Chance gesehen, sich ein neues Bett zu suchen und verliefen nun quer �ber Weiden, Wiesen und Wege. Gro�e Bagger waren dabei, sie wieder in ihren alten Lauf zu zwingen. Einige Felder waren von Steinbrocken �bers�ht - Zeugen der gewaltigen Energien, die hier noch vor wenigen Tagen umgesetzt wurden. Hier und da sah man Bauern angestrengt arbeiten, ihre Fl�chen wieder von diesen Brocken zu ber�umen. Trotz der verbleibenden Aufr�umungsarbeiten war der Donauradweg schon wieder einwandfrei befahrbar. �sterreich braucht seine Rad-Touristen und k�mmert sich um sie und ihre Wege.

Donaublick bei Kramesau In Kramesau - dem ersten Ort nach der Grenze - wollten wir das Donautal verlassen. Unser eigentliches Ziel war der Grenzlandradweg, der entlang der �sterreichisch-deutschen und sp�ter der �sterreichisch-tschechischen Grenze verl�uft. Das Donautal ist hier recht eng. Das bedeutet, da� zu beiden Seiten nicht viel Platz bleibt. Es bedeutet aber auch, da� die H�nge recht steil sind. und dieser Aspekt kam f�r uns doch recht unerwartet, trotz der vorbereitenden Warnung in unserem Reisef�hrer. Wir mu�ten 300 H�henmeter klettern, und auch die Erinnerung an die norwegischen P�sse des vergangenen Jahres machte das nicht leichter. Vielleicht war es auch der Stre� der letzten Tage, der unsere Leistungsf�higkeit senkte. Selbstverst�ndlich wurden wir mit einem herrlichen Blick �ber die Donau f�r die M�hen entsch�digt.

Vorher aber st�rkten wir uns an der Touristeninformation in Kramesau. Neben uns l�ffelten ein sehniger, bezopfter Reiseradler mit einer etwas �lteren Gef�hrtin seinen Joghurt. Nahezu pausenlos zogen Paare, Familien oder Gruppen von Radfahrern vorbei, meist flu�abw�rts. "Da hoch f�hrt fast nie jemand" meinte die Frau an der Information, und auch unser Reisef�hrer spricht von "Ruhe, ja sogar Einsamkeit in den H�geln." Wie es uns prophezeit wurde, blieben wir nun ziemlich allein auf dem Rad. Die "Radlerdemo" auf dem Donauradweg hatten wir hinter uns gelassen. Schade eigentlich, denn das M�hlviertel zeigte sich wundersch�n, aber verlangte uns auch einiges ab. Wir lernten schnell, da� es praktisch kein ebenes St�ck Stra�e gibt, und die Anstiege k�nnen, wenn auch auf kurzen St�cken, beachtlich steil werden. Man kann die Tour nicht als entspanntes Radeln bezeichnen, eher als st�ndigen Wechsel von Anstrengung und Entpannung. Als regelrecht heimt�ckisch empfand ich es zuweilen, da� nach den kurzen, viel zu steilen Abfahrten oft eine Kreuzung, eine Kurve oder ein Dorf kommt, so da� es uns nicht einmal verg�nnt war, den Schwung zum n�chsten Anstieg mitzunehmen.

Die �blichen Tageskilometerleistungen w�rden wir in diesem Gel�nde also reduzieren m�ssen, wenn wir unsere Tage als Urlaub und nicht als Training erleben wollten. Doch zun�chst mu�ten wir uns mit Schillingen versorgen. Normalerweise kein Problem, nur waren die D�rfer, die wir auf dem m�andrierenden Weg durchquerten, so klein, da� es weder Post noch Bank gab. Der Tag neigte sich schon bedenklich zur Neige, und �sterreichische Post�mter schlie�en ihre Kassen um 17.00 Uhr! Endlich erreichten wir Neustift. Wir fanden zwar ein Hinweisschild zur Post, nicht aber die Post selbst. Als ich nach zweihundert bergab f�hrenden Metern wieder vor dem Waldrand stand, kehrte ich um und erreichte ratlos erneut den Hinweis zur Post. Ein kleiner Junge kam des Wegs und wies auf meine Frage hin, deutliche Zweifel an meiner Intelligenz im Gesicht, zun�chst auch auf das inzwischen sattsam bekannte Hinweisschild. Ich demonstrierte meine Hilflosigkeit sehr �berzeugend, da f�hrte er uns zum Ziel: Die Post - etwa 50 m weiter - wurde rekonstruiert, und das gesamte Geb�ude verbarg sich hinter einem Bauger�st. Wenige Minuten vor Kassenschlu� hielten wir unsere Schillinge in den H�nden.

Hildegard erlebte inzwischen die Fragen mehrerer freundlicher Einwohner, wo wir denn herk�men. "Von der Donau? Da haben Sie wohl viel schieben m�ssen?" Die Verneinung quittierte man mit Verst�ndnis f�r unseren abgeschlafften Eindruck. Es verirren sich selten Touristen nach Neustift.

Obwohl der Kilometerz�hler keine bemerkenswerte Zahl zeigte, wollten wir doch allm�hlich zur Ruhe kommen. Der einzige Campinghinweis f�hrte auf einen Platz, den wir vor mindestens einer Stunde passiert hatten. So kam es uns ganz gelegen, eine Jugendherberge in Neustift vorzufinden. Ohne Umst�nde erhielten wir ein Doppelzimmer mit Dusche und eine Einladung zu einem sehr preiswerten Drei-G�nge-Abendessen. F�r 60 Schillinge gab es Frittatensuppe, Gulasch mit Eierteigmuscheln und Kompott. Mit sieben G�sten war die 100-Betten-Herberge deutlich unterbelegt, daf�r a�en wir gleich in der angeschlossenen Gastst�tte, was auch gem�tlicher war. �brigens stammten die anderen f�nf G�ste aus Aue, also praktisch aus unserer Heimat.

An diesem Abend behob ich auch den einzigen Defekt, der w�hrend unserer Tour an unseren R�der auftrat, indem ich eine verlorengegangene Schraube am Gep�cktr�ger von Hildegards Rad aus dem Ersatzteilfundus ersetzte.
(44 km)

Mittwoch, 23. Juli 1997: Klaffer

Nach einem guten Fr�hst�ck verabschiedeten wir uns von der gastfreundlichen Herberge und folgten den Wegweisern des Grenzlandweges weiter durch das M�hlviertel. Seinen Namen verdankt das Gebiet der Gro�en und der Kleinen M�hl. Obwohl an diesen Fl�ssen nat�rlich auch M�hlen errichtet wurden, nahmen wir davon nicht sehr viel wahr und h�tten den Namen ohne Erkl�rung merkw�rdig gefunden.

Auf diesem Teil der Fahrt nutzen wir den Reisef�hrer "�sterreich per Rad" von J�rgen Rieck und Uwe Sch�fer aus dem Verlag Wolfgang Kettler und die "Radtourenkarte �sterreich", Blatt 3 von Esterbauer und Weinfurter. Die vorgeschlagenen Routen des Reisef�hrers decken sich nicht immer mit den ausgeschilderten Wegen, werden aber in den allermeisten F�llen so pr�zise beschrieben, da� man sich nicht verf�hrt. Wir fuhren diesmal immer in der vorgeschlagenen Richtung und k�nnen deshalb schlecht einsch�tzen, ob sich die Beschreibung in Gegenrichtung auch nutzen l��t. Der Reisef�hrer meidet gar zu extreme Wegstrecken des Grenzlandweges. Wir wurden also keine steilen Schotterpisten emporgef�hrt, falls es solche auf dem Grenzlandweg geben sollte, und auch allzu weite Schleifen, die der Tagestourist mit Freude genie�t, erspart man dem Reiseradler. Nach unseren guten Erfahrungen mit der Ausgabe "Norwegen per Rad", k�nnen wir der �sterreich-Ausgabe nun also auch ihre Brauchbarkeit bescheinigen. Einige kleinere Berichtigungen und Erg�nzungen werden wir dem Verlag noch mitteilen.

Irgendwie wollte es nicht so recht vorangehen. Auch der gute Kuchen des Konditors in Kollerschlag baute die Kr�fte nicht auf. Der Weg f�hrte nun in unmittelbare Grenzn�he und streifte einige alte Schmuggelpfade. Der Name "Ochsentrieb" deutet heute noch daraufhin, da� seinerzeit die Tiere - je nach Preisgef�lle - in nebligen N�chten von �sterreich nach Bayern oder umgekehrt getrieben wurden. Wir n�herten uns dem Dreil�ndereck. In allen D�rfern warben gro�e Plakate: "Einkaufen, wo mal lebt!" An den Schaufenstern erkl�rten Aush�nge, was bei Eink�ufen im nahen Tschechien f�r Probleme auftreten. Oft erfuhren wir, wieviel Betriebe mit wieviel Arbeitspl�tzen es in den D�rfern gibt. Der Zusammenhang wurde vielf�ltig, aber durchaus sehr eing�ngig dargestellt: Wer zum Einkaufen �ber die Grenze und ein paar Schillinge spart, macht �ber kurz oder lang den Besitzer des Ladens nebenan arbeitslos.

An einem Waldrand mit weitem Ausblick auf das h�gelige Land rasteten wir. Bis in gro�e Fernen sahen wir die hellen H�user, die sich mal zu D�rfern sammelten, mal einsam in der Landschaft standen. Vor dem dunklen Gr�n des Waldes hob sich der hellere Ton der Wiesen und das Gelb der Felder ab. Kein Motorenl�rm st�rte die Pause. Nur einmal kam ein Traktor auf der schmalen Stra�e vor�ber, auf dem sich neben dem Bauern noch zwei Kinder auf den Schutzblechen tummelten. Kaum einer der Traktoren, die uns begegneten, trug nur den Fahrer. Die meisten hatten noch eine Baggerschaufel oder ein Schiebeschild, und fast immer sa�en darinnen ein oder zwei Kinder, offenbar die Enkel, die die Ferien auf dem Lande genossen. Zuweilen irritierte es etwas, wenn aus der gewaltigen Schaufel eines dieser Fahrzeuge pl�tzlich ein wuscheliger Kopf auftauchte und interessiert die beiden schwei�triefenden Radler musterte.

Nach der sp�ten Mittagsrast ging es wieder einmal bergab, und wieder einmal widersprachen sich im Moment des sch�nsten Rollens Karte und Ausschilderung, weswegen wir den Reisef�hrer zu Rate zogen. Zwei Radfahrer kamen uns entgegen, seit langer Zeit die ersten. Die Frau fuhr ein Mountainbike, der Mann einen Rollstuhl mit Fahrradvorderteil und f�r Handbetrieb umgebauter Kurbel mit Kettenschaltung. W�re er uns im Ort begegnet - wir h�tten nie geglaubt, da� der f�llige, gedrungene Mensch jemals in seinem Gef�hrt dort herausk�me. Uns kam er den Berg hinauf entgegen - welche Kraft mu� in seinen Armen stecken! Die Gelegenheit zu einer Pause nutzend, bot er seine Hilfe an und erkl�rte schwei�triefend ausf�hrlich den g�nstigsten Weg. Ich gebe ja nach etwa einer Minute komprimierter Wegbeschreibung meist auf und versuche, mir nur noch das wesentlichste zu merken. Das f�hrt dazu, da� ich mit verbalen Beschreibungen nur m��igen Erfolg habe. Hildegard kann sich deutlich mehr Details einpr�gen und bald diskutierten die beiden �ber Wege, die ich vermutlich nie sehen werde. Interessant empfand ich das Auftauchen eines Campingplatzes in dieser Diskussion, und ich sah es als sehr gl�ckliche F�gung an, da� der g�nstigste Weg auch am Campingplatz vorbeif�hren sollte. Wir verabschiedeten uns voneinander, der Mann kurbelte sich mit kr�ftigen Armen weiter den Berg hoch, wir rollten ins n�chste Dorf. Meine Fragmente aus der ersten Minute Wegbeschreibung mit Hildegards Erkenntnissen zusammenf�gend, fanden wir den richtigen Weg, �berquerten bald darauf die versprochene "Hulzbrucken" und kamen an einem Hinweis zum Campingplatz an. Eigentlich war es viel zu fr�h, und weit gefahren waren wir auch noch nicht ...

Kurz darauf rollten wir auf den Campingplatz von Klaffer, der neben ein oder zwei �sterreichischen Familien voller Niederl�nder war. Wir fanden heraus, da� er vom niederl�ndischen Campingf�hrer empfohlen wurde - zu recht, wie wir ebenfalls bald zugeben mu�ten. Ein kleiner See lud zum Schwimmen ein, auf dem Spielplatz tobten die Kinder und eine kleine Kneipe bot ein paar warme Gerichte an. Nachdem das Zelt stand, schwamm Hildegard eine Runde �ber den See. Die Einladung zu einer kleinen Rundtour ohne Gep�ck lehnte ich m�de ab und holte nach einer kurzen Schwimmrunde ausgiebig den Mittagsschlaf nach. Hildegard weckte mich knapp zwei Stunden sp�ter, hatte inzwischen 15 km mehr auf dem Z�hler und Ulrichsberg angesehen. Die Lebensmittelgesch�fte hatten alle am Mittwochnachmittag geschlossen, so brachte sie nur ein paar Mozartkugeln aus einer Drogerie mit. Den Weg zum Moldaublick - man soll von dort den Lipnostausee sch�n liegen sehen - hatte sie sich nicht erlaubt, es h�tte zu lange gedauert. So bleibt uns dieser Weg als Ziel f�r k�nftige Besuche.

Wir kochten uns ein Abendessen auf unserem Benzinkocher und rundeten es nach Suppe und Nudeln mit je einer Mozartkugel ab.
(45 km)

Donnerstag, 24. Juli 1997: Bad Leonfelden

Warm wurde es, sehr warm. Die Sonne beeilte sich nach Kr�ften, unser Zelt zu trocknen und scheuchte uns damit aus den Schlafs�cken. Trotzdem dauerte es eine geraume Weile, bis wir gefr�hst�ckt hatten und samt unserem Gep�ck wieder unterwegs waren. Zun�chst ging es nach Ulrichsberg auf Strecken, die der Hildegard nun schon wohlvertraut waren. Ein Unfall zwischen einem PKW und einem Lieferwagen, der kurz zuvor passiert sein mu�te, belebte die Szenerie etwas. Gl�cklicherweise schien trotz einer Menge zerbeulten Blechs und gesplitterter Gl�ser keinem Menschen ernsthaft etwas zugesto�en zu sein. Es war ein typischer Unfall, wie er passiert, wenn Leute nach der "Hier-kommt-doch-nie-einer-Methode" fahren, und diesmal war aus der schwer einsehbaren kleinen Stra�e eben doch jemand gekommen.

Das M�hlviertel Wir folgten jetzt dem Reisef�hrer und folgten einer nicht als Radroute ausgeschilderten Stra�e durch die H�gel, Der Grenzlandweg selbst windet sich sehr stark und wurde wahrscheinlich mit Blick auf ortsfeste Urlauber konzipiert, die Tagesausfl�ge unternehmen wollen. Die Ausschilderung erfolgt in beide Richtungen mit gr�nen Tafeln, auf denen der wei�e Richtungspfeil aber so klein ist, da� man erst im letzten Moment, wenn ein guter Teil des Schwunges schon in die Bremsen gewandert ist, wei�, wo es langgeht. Das �nderte sich dann im Waldviertel, wo z.T. schon ein neues Layout mit gr��eren Pfeilen verwendet wird. Die Schilder stehen nicht sehr dicht, aber an durchdachten Stellen. Man sparte nicht an der falschen Stelle und stellte meist separate Pfosten auf. Wer mal einem Weg folgte, dessen Hinweisschilder an B�umen, H�usern, Z�unen, Werbetafeln oder anderen Gegenst�nden befestigt waren, wei�, was ich meine. Nur selten fehlt ein Hinweis, aber wenn er fehlt, findet man die richtige Route ohne Karte kaum wieder. Das Streckenprofil suggeriert das Mountainbike als ideales Transportmittel, doch die Oberfl�chenqualit�t �berzeugte uns schnell, da� sich ein Reiserad mindestens genausogut, wenn nicht noch besser eignet. Bergtauglichkeit ist das wichtigste Kriterium, also ein weit reichender �bersetzungsbereich und eine zuverl�ssige Schaltung. Das gilt um so mehr, wenn man wie wir mit Gep�ck reist. Die Radtourenkarte mit ihrem Ma�stab von 1:200000 half uns sehr bei der Orientierung, w�rde als alleiniges Hilfsmittel jedoch versagen, weil die Route h�ufig �ber nicht eingezeichnete Wirtschaftswege gef�hrt wird. Teilweise weichen die Angaben in der Karte auch von den tats�chlich ausgeschilderten Wegen ab, so da� wir im Extremfall aus drei Varianten w�hlten: Der des Reisef�hrers, der Karte oder der Ausschilderung. Leider waren in den Gesch�ften nur Wander- und Radkarten im f�r Reiseradler zu feinen Ma�stab 1:50000 zu bekommen. Erst gegen Ende unserer Tour fanden wir in gr��eren Buchhandlungen passenderes Material. Mit dem dort existierenden Kartenangebot kann praktisch jeder Wunsch erf�llt werden - wenn man es bekommt.

Auf dieser Etappe war die Divergenz zwischen unseren Materialien und der Ausschilderung zum ersten und einzigen Mal st�rend, weil wir wegen eines fehlenden oder nicht ausgeschilderten Abzweiges mindestens Einhundert H�henmeter verloren, die wir dann auf einer Fernverkehrsstra�e wieder zur�ckgewinnen mu�ten. Diese Hundert H�henmeter waren aber nur der Anfang eines langen und anstrengenden Berges, dessen Bezwingung wir vor einem kleinen Gesch�ft mit einer Flasche Almdudler (einer Art Ingwerlimonade) feierten. Beinahe w�re uns bei der anschlie�enden Abfahrt noch ein Unfall passiert, weil ein Opa, der gerade eine Gruppe von sich bergan k�mpfenden Radfahrern vor�berlie�, sich offenbar nicht vorstellen konnte, da� R�der auch schnell sein k�nnen und �berraschend mit seinem Enkel auf die Stra�e trat. Wir konnten die Geschwindigkeit unserer schwer bepackten Reiser�der nur durch eine heftige Notbremsung so weit vermindern, da� ein Ausweichen m�glich wurde.

Am Grenz�bergang Guglwald kamen bei uns beiden Erinnerungen auf. Wie viele Jahre sind vergangen, seit wir im B�hmerwald wanderten, jeweils mit unseren Familien? Damals war �sterreich sehr fern, und schon die Wanderer in Grenzn�he wurden mi�trauisch be�ugt. Keine vier Kilometer sind diese Wanderwege von Guglwald entfernt - diesmal auf der anderen Seite der Grenze.

Nach einigen Kilometern erreichten wir auf einer Fernverkehrsstra�e Bad Leonfelden, wo wir eine Jugendherberge mit 44 Betten erwarteten. Schnell gefunden hatte sie nur einen Nachteil: Sie war belegt durch eine Ferienlagergruppe aus drei Tiroler D�rfern. Allerdings wies ein Zettel auf die Telefonnummer der Herbergseltern hin, bei denen wir um die Erlaubnis bitten wollten, im Garten zu zelten. Ihre Eltern kauften gerade ein, teilte uns die Tochter mit. Wir griffen die Idee auf: Ich ging einkaufen, Hildegard wartete auf die R�ckkehr der Herbergsverwalter. Die schickten uns dann doch ihre Tochter: Zelten im Herbergsgarten bereitet keine Probleme, wir sollen uns nur mit den regul�ren G�sten einigen und ansonsten Kindertarif bezahlen. Das erschien uns als faires Angebot. Sie nahm unser Geld entgegen und brauste auf ihrem Motorrad wieder davon. Bald darauf stand unser Zelt, neugierig be�ugt von den Ferienkindern. Wir a�en im Gasthof "Zur Post" Abendbrot und fanden bei der R�ckehr eine fast leere Herberge vor. Die Kinder tobten gerade durch den nahen Wald - ein p�dagogisch geschickter Trick, wenn man nachts Ruhe haben will. Der Warnung ihrer Betreuer, es w�rde sp�ter gewittern, und wir sollen doch unsere Isomatten in der Herberge auslegen, schenkte ich keinen Glauben. Regen ja, aber f�r ein Gewitter hatte es sich schon zu stark abgek�hlt. So krochen wir ins Zelt und waren eingeschlafen, bevor die Kinder wieder zur�ckkehrten.
(54 km)

Freitag, 25. Juli 1997: Sandl

Tats�chlich regnete es nachts ein wenig, und unter dem leisen Getr�pfel auf dem Zelt schliefen wir fest und gut. Gem�chlich begannen am Morgen die �blichen Verrichtungen. W�hrend Hildegard gerade duschte, lie� mich ein Blick gen Himmel die Stirn runzeln: Das sah ja aus, als ob wir unser sch�nes trockenes Zelt bald na� einpacken m��ten. Flugs schaffte ich alle Taschen, Pullover, Lebensmittel und was sich sonst noch in und um das Zelt ausgebreitet hatte, in die Herberge. In Windeseile schlug ich das Zelt zusammen und hatte es notd�rftig verstaut, als die ersten Tropfen fielen. Hildegard kam aus der Dusche und blickte erstaunt auf das Chaos im Herbergsvorraum, war aber nach einem Blick vor die T�r ganz dankbar, trockene Kleidung anziehen zu d�rfen.

Nach dem Fr�hst�ck warfen wir unsere Capes �ber, verabschiedeten uns und fuhren los, zun�chst mal nur bis auf den Marktplatz. In meiner Radlerhose klaffte seit dem Vortag ein langer Ri�. Eigentlich war es ein kleines Wunder, da� der Stoff �berhaupt so lange hielt, an den beanspruchten Stellen konnte man praktisch schon hindurchsehen. Bad Leonfelden besitzt ein Sportgesch�ft, und da die auf unserer Tour nicht sehr zahlreich waren, nutzten wir die Chance. Leicht widerwillig - ich gab meine vertraute Hose ungern preis - begann ich die Angebote zu sondieren. Ein Teil fiel gleich weg, weil eine Naht durch den entscheidenden Bereich zwischen den Beinen f�hrte. Hildegard gab aber nicht auf und f�rderte weitere Hosen zutage. Schlie�lich blieben noch ein paar Modelle �brig und gegen eines lie� sich objektiv nichts einwenden, so da� ich den Kauf akzeptierte. An der Kasse erfuhren wir, da� uns der Sommerschlu�verkauf 20 % Rabatt bringt, und so fand ich auch den Preis angemessen. Die Bezahlerei ging etwas schwerf�llig vonstatten, denn im Radio liefen gerade Nachrichten. W�hrend ich aufmerksam verfolgte, ob die Deiche im Oderbruch noch gerettet werden k�nnen, wollte die Verk�uferin die neuesten Informationen zu einem Ungl�ck h�ren, welches zwei Tage zuvor eine �sterreichische Reisegruppe getroffen hatte und nun das ganze Land besch�ftigte. Ein mit 10 Personen besetzter Kleinbus wurde in Griechenland von der Stra�e abgedr�ngt und st�rzte eine B�schung hinunter. F�nf Insassen starben sogleich, f�nf weitere erlitten schwere Verletzungen, und mit einer der Betroffenen war unsere Verk�uferin in die Schule gegangen. So waren wir beide mit den Gedanken weit weg, und als wir uns wieder dem aktuellen Geschehen zuwandten, beschlossen wir, die Bezahlerei einfach noch mal von vorn zu beginnen. Diesmal konnten wir die Scheine korrekt zuordnen und als wir unsere Regencapes �berzogen und mi�mutig in den Himmel starrten, tr�stete uns die Verk�uferin noch mit dem Hinweis, da� das freitags hier immer so w�re.

Eine Differenz zwischen Ausschilderung und Karte f�hrte uns auf einen sch�nen, wenn auch falschen Weg, wo wir auf zwei andere, gut ausger�stete Reiseradler stie�en, die ebenfalls ihre Karten konsultierten. Wir gaben die lokalen Wetterinformationen weiter und versuchten eine gemeinsame Standortbestimmung, die jedoch nur ungef�hr gelang. Erst drei Kilometer weiter konnten wir anhand eines Wegweisers unseren Irrtum erkennen, fuhren nun wieder planm��ig weiter und gerieten bald auf schmale, einsame Wege in unmittelbarer Grenzn�he. Hier und da zeigten sich noch vereinzelte Geh�fte, ein S�gewerk bereitete den Ertrag des Waldes auf. Kaum einmal sahen wir Menschen. Am Anfang eines kleinen Dorfes bot sich eine trockene Bank unter einem Baum zur Rast an. Den Blick �ber das Land gleiten lassend, genossen wir das Brot der Reichenthaler B�ckerei, die damit in einem europ�ischen Wettbewerb einen ersten Preis errungen hat. Man schmeckte den Grund f�r die Entscheidung der Jury.

In der Gegend von Leopoldschlag reicht �sterreich ein wenig nach Tschechien hinein. Der Weg folgte dieser Ausbuchtung, kreuzte eine alte Pferdebahntrasse und am Grenz�bergang Wullowitz die Fernverkehrsstra�e. Wir erholten uns, denn hier fanden wir seit drei Tagen die ersten ebenen Kilometer Stra�e. Trotzdem sollte es noch einmal anstrengend werden, denn bei Windhaag mu�ten wir auf 700 m klettern. Die Karte versprach eine landschaftlich sch�ne Strecke, und sie behielt recht. Inzwischen hatten wir auch die Regencapes wieder verstauen k�nnen, und der frisch gewaschene Wald mit seiner sauerstoffreichen Luft erquickte uns trotz der Anstrengung. Seitlich des Weges lagerten Holzstapel. Man nutzte die Angebote der Natur und schichtete die meterlangen Kn�ppel jeweils zwischen zwei B�umen auf, so da� sich lange, mehrfach gekr�mmte Mauern aus meterlangen H�lzern ergaben. Das ganze wirkte wie der Versuch einer altert�mlichen Befestigungsanlage, strahlte aber zugleich etwas Spielerisches aus. In der Einsamkeit des dampfenden Waldes verst�rkte sich der Eindruck, etwas aus einer falschen Zeit zu sehen, noch.

Auf geschottertem Waldweg ging es schlie�lich wieder bergab. Leider verschwieg uns unser sonst so pr�ziser Reisef�hrer den nach einer scharfen Rechtskurve folgenden Anstieg. Alle H�nde mit Schalten, Bremsen und Lenken besch�ftigt, mu�te ich auch noch einem entgegenkommenden Moped ausweichen, nickte aber dem Fahrer noch einen kurzen Gru� zu, um etwaigen Unwillen �ber meine Fahrweise auf der Wegesmitte zu d�mpfen.

Sandl erreichten wir mit dem Wunsch nach einer Pause. Von diesem Etappenziel kannten wir bislang nur die Adresse eines einzigen Hotels, welches zugleich Touristeninformation war. Hildegard erhielt dort die recht barsche Auskunft, alle Betten seien nat�rlich wegen des morgigen Dorffestes belegt, wir k�nnten es h�chstens im Gasthof Bauer versuchen. Zweihundert Meter weiter wartete ich vor dem Haus, w�hrend Hildegard sich nach einem Zimmer erkundigte. Drinnen erkl�rte die Oma, da� wegen des Festes Zimmer knapp seien, aber wenn es nur um eine Nacht gehe, h�tten sie wohl noch ein Zweibettzimmer. Die Inhaberin hatte mich inzwischen bei einem kurzen Blick aus dem Fenster entdeckt und rief der Oma zu: "Kein Zweibettzimmer, ein Doppelzimmer brauchen die!" Mit neuem Wissen um eine weitere sprachliche Feinheit bezogen wir unser einfaches, aber brauchbares Zimmer f�r 190 Schilling pro Person und Nacht. Die Gemeinschaftsdusche st�rte uns nicht, und die R�der fanden ihren Platz im Lagerraum. ("Sie brauchen nicht wieder au�enrum zu laufen, gehen sie nur gleich durch die K�che nach vorn!")

Frisch geduscht und umgezogen a�en wir ausgezeichnet Abendbrot. Wir wollten die Gaststube gerade verlassen, da rief uns einer der drei Stammtischler zu, ob wir mit den Radln da w�ren. Auf unsere bejahende Antwort erfolgte eine umgehende Einladung, und eilig brachte der Wirt drei Stamperln Himbeergeist. Es stellte sich heraus, das uns just jener Mopedfahrer gegen�bersa�, dem auszuweichen ich kurz zuvor solche M�he hatte. "Wir freuen uns �ber jeden Touristen, der unsere W�lder noch riecht!" prostete er uns zu. Auch die weiteren S�tze lie�en auf eine innige Verbundenheit des in Arbeitskluft gekleideten, stoppelb�rtigen Mannes mit seiner Heimat und vor allem ihrer Natur schlie�en. "Jeder, der herkommt, nimmt auch was mit, im Herzen, auch wenn er es gar nicht merkt!" Auch diese Bemerkung verdiente einen Schluck, und bald wurde zur Freude des Wirtes die zweite Serie geordert. Bald kamen wir auf die Biobauern zu sprechen, deren Anteil in �sterreich rapide w�chst. Der biologischen Bewirtschaftung verdankt die �sterreichische Landwirtschaft mit ihren kleinen Feldern vermutlich ihr �berleben. "Ich kaufe das Fleisch, wenn es noch auf der Weide steht, und sonst frage ich meine Mutter: 'Kannst Du damit was anfangen?' Wenn sie 'Ja' sagt, kaufe ich es. Die sieht genau, wo es herstammt!" Bei der dritten Runde gelang es uns, halbe Portionen durchzusetzen. Das Thema Kohl und Politik umschifften wir vorsichtig, woraufhin unser Gastgeber erkl�rte, da� er seinen Politikern sofort auf den Kopf zusagt, wenn ihm was nicht pa�t. Damit war offenbar unser schweigsamer Nachbar zur Rechten, ein f�lliger Herr mit Abzeichen gemeint, der s�uerlich l�chelte. Ein weiterer Gast gesellte sich herzu, der Scherenschleifer des Ortes, der bei passender Witterung zugleich Skilehrer ist. Im Bewu�tsein, 100 g Himbeergeist - �brigens ein wirklich ausgezeichneter Schnaps - in uns zu haben, pochten wir dann auf unser Recht, schlafen gehen zu d�rfen und verabschiedeten uns herzlich von den gastfreundlichen Sandlern.
(57 km)

Sonnabend, 26. Juli 1997: Gm�nd

Das Wochenende begann, und damit auch eine l�ngere Zeit geschlossener Gesch�fte. Also suchten wir gleich nach dem Fr�hst�ck zun�chst einen Geldautomaten und anschlie�end ein Lebensmittelgesch�ft auf, wo wir prompt unseren heimatverbundenen Mopedfahrer wiedertrafen. Die einheimischen Kunden wunderten sich �ber die herzliche Begr��ung zwischen zwei fremden Fahrradtouristen und ihrem Nachbarn.

Das n�chste St�ck der Tour f�hrte �ber eine schwach befahrene Fernverkehrsstra�e. Wir waren dar�ber nicht b�se, sollten wir doch ein paar Hundert H�henmeter verlieren, und auf einer gut asphaltierten, in sanften B�gen durch den Wald abfallenden Stra�e bereitet das sagenhaftes Vergn�gen. Wir erreichten auf diesem Teilst�ck die h�chste Durchschnittsgeschwindigkeit unserer Reise und stie�en schon nach kurzer Zeit bei Oberlainsitz auf die Schmalspurbahn nach Gm�nd. Ein h�bscher Bahnhof zog meine Aufmerksamkeit auf sich, und ein auf Rollb�cken wartender, vierachsiger offener G�terwagen lie� das Herz des Eisenbahnfreundes h�her schlagen. Wir wollten aber nicht zu lange verweilen und rollten auf einer kleinen Stra�e neben der Bahnlinie weiter. Endlich h�rten wir das Pfeifen eines herannahenden Zuges. Ich wollte gern fotographieren, aber Hildegard rief mir zu, da� das nicht zu schaffen w�re, der Zug k�me zu schnell. Auf den schmalen Gleisen? Das glaubte ich nicht. Ich preschte vor, fand nach Hundert Metern schon eine sch�ne Position und ri� den Apparat aus der Lenkertasche, da raste auch schon der Triebwagen um die Ecke. Die Zeit reichte nur f�r einen v�llig �berhasteten Schnappschu�. Wenn derartige Reisegeschwindigkeiten gefahren werden, bleibt die Bahn nat�rlich gut im Gesch�ft. Ich empfand Hochachtung vor Gleisbauern und Waggonkonstrukteuren.

Bald darauf erreichten wir Weitra, weithin erkennbar durch seine um 1200 entstandene Burg. Ber�hmt f�r seine alten H�user lockte die Stadt auch uns von der Fernverkehrstra�e. Nach einer Pause auf dem Marktplatz kletterten wir hinauf zu Burg, wo sich seit gar nicht langer Zeit eine Bierausstellung befinden sollte. Dank einer Hochzeit war das in Privatbesitz befindliche Geb�ude sogar ge�ffnet. Zun�chst wurden wir durch eine Ausstellung einer tschechischen Restauratorenschule geleitet, und die gut dokumentierte Ver�nderung einiger Exponate vom Zustand des Auffindens bis zur Ausstellung lie� meine Hochachtung vor diesem Handwerk gewaltig wachsen. Dann tauchten wir ab in den Keller, wo uns die Geheimnisse des Braugewerbes n�hergebracht werden sollten. Weitra geno� lange Zeit den k�niglichen Schutz: Innerhalb einer Meile um die Stadt durfte nur Weitraer Bier ausgeschenkt werden, was der Stadt zu wirtschaftlicher Bl�te verhalf. Um 1645 besa�en 33 B�rger die Braugerechtigkeit. Bier galt (und gilt?) als sehr gesund, was schon allein in der desinfizierenden Wirkung des Brauens begr�ndet liegt. Die Biertrinker im Mittelalter erkrankten einfach seltener, und zu Fastenzeiten konnte man durch Bier die ben�tigten N�hrstoffe ersetzen, was das Interesse der Kl�ster an diesem Getr�nk begr�ndet.

Zum Abschlu� lernten wir noch, das passende Bier zum jeweiligen Glas zu finden. Durchaus nicht jede Tulpe pa�t zu jeder Blume, und der Vielfalt der Sorten steht nicht ohne Grund eine ebenso gro�e Vielfalt der Gl�ser gegen�ber.

Eine Turmbesteigung, vorbei an dem komplizierten R�derwerk der Uhr, setzte den Rundgang fort. Weithin konnten wir den Weg verfolgen, auf dem wir nach Weitra gerollt waren. Doch nun wollten wir weiter, und der Beschreibung folgend rollten wir am Textilmuseum vorbei ins Tal. Leider war unsere Aufnahmef�higkeit ersch�pft, sonst h�tten wir auch dort noch hineingeschaut.

Das M�hlviertel lag hinter uns, nun radelten wir durch das Waldviertel. Die Landschaft hatte sich unmerklich ver�ndert. Noch immer gab es waldige H�gel, Felder, B�che und kleine D�rfer, doch die Wege verliefen weniger steil, f�hrten mitunter auch l�ngere Zeit in einem Tal entlang. Wir kamen weniger m�hevoll voran, genossen den Sonnenschein und die vielf�ltigen Farben der Natur. Wir ignorierten ein paar Verbotsschilder, die Baustellen dahinter waren am Wochenende leer und gut befahrbar. Im M�hlviertel gab es in fast jedem Dorf ein Haus im Rohbau, und an vielen davon wurde flei�ig gearbeitet. Das Waldviertel hingegen zeichnete sich durch Stra�enbaustellen auf, und in dieser Region schien es Mode zu sein, die zentrale Kreuzung des Dorfes umzupfl�gen.

Unmittelbar neben der tschechisch-�sterreichischen Grenze fuhren wir nach Gm�nd hinein, einer geteilten Stadt, deren tschechischer Teil Ceské Velenice hei�t. Nach kurzer Pause auf dem Markt - es hatten sogar noch Gesch�fte ge�ffnet - fuhren wir zum Campingplatz, wobei es eine Weile dauerte, bis ich mich vom Bahnhof wieder trennen konnte. Zu interessant waren das Gewirr von Schmal- und Normalspurgleisen, die Rampen f�r die Rollb�cke und das au�ergew�hnliche Wagenmaterial. Am Zeltplatz empfing uns ein Hinweis auf abendliches Spanferkelessen. Obwohl frei von Dauercampern schienen sich die kleineren Zelte doch alle auf der Wiese au�erhalb des Zaunes zu sammeln, und so stellten wir unser Zelt auch dazu. Neben uns campierten niederl�ndische Harley-Davidson-Fans, die haupts�chlich schliefen, a�en, mal eine halbe Stunde umherfuhren und danach zwei Stunden ihre Maschinen polierten. Auf der anderen Seite versuchten mehrere befreundete Familien, den Ideen ihrer Kinder zu folgen. Immer deutlicher traten die Qualit�ten des Platzes hervor: Ein See mit Badestelle, die f�r die frostigeren Gem�ter noch durch ein beheiztes Becken erg�nzt wird, Spielplatz und Gastst�tte, ein kleiner Kiosk mit breitem Angebot und jeden Tag ein preiswertes, warmes Mittagessen. Obwohl der Plan des gesamten Monats aushing, entdeckten wir keine zwei Tage mit demselben Essen. An Ideen f�r Tagesausfl�ge mangelt es nicht. Die Kleinbahn f�hrt nach Weitra und viele weitere reizvolle St�dte, auf der Normalspur gelangt man in kurzer Zeit nach Budweis oder Wien, und Gm�nd selbst kann den Urlauber auch ein paar Tage besch�ftigen. Wir merkten uns dieses Fleckchen f�r sp�tere Besuche vor.

Unsere Mahlzeit vom Kocher erg�nzten wir mit einer Portion Spanferkel und erhielten ein reichhaltiges, s�ttigendes Abendbrot. Eine abendliche Runde durch die Stadt und ihren Schlo�park wurde durch einen leichten Regenschauer unterbrochen. So fuhren wir zur�ck und gingen bald schlafen.
(62 km)

Sonntag, 27. Juli 1997: Drosendorf

Die Sonne begann, aus dem Zelt eine Sauna zu machen. Unsere Nachbarn schliefen noch, was uns nicht wunderte, denn sie waren gegen Mitternacht in recht alkoholisiertem Zustand heimgekehrt. Die W�rme machte uns tr�ge. Ich �berredete Hildegard, an dem Kiosk nach zwei Eiern und Milch zu fragen. Tats�chlich konnte man hinter der einen Meter langen Theke auch Eier bekommen. Milch gab es viertelliterweise - je nach Bedarf wurde aus Flaschen abgef�llt. Wir vertrugen eine ganze Literflasche. Fr�her verkaufte sich die Milch schlecht, vielleicht ein Liter am Tag. Aber nachdem der Vetrag mit einem Bio-Bauern geschlossen wurde, so erfuhren wir vom Verwalter, stieg der Milchkonsum gewaltig. "Die Leute bringen die ja gar nicht bis ans Zelt - gleich vor der Ladent�r machen sie die Flasche auf und trinken!"

Unser Fr�hst�ck schmeckte ausgezeichnet, doch da� ich danach verga�, die beiden kleinen Metallteile wieder einzupacken, auf denen bei unserem �lteren Barthel-Kocher der Topf abgesetzt wird, �rgert mich sehr. Das Kochen wurde dadurch sehr kompliziert, denn bei dem kleinen Ding sind alle Ma�e sehr genau abgestimmt, auch wenn die robuste Konstruktion das nicht vermuten l��t.

Wir folgten der vorgeschlagenen Route durch das Waldviertel, verlie�en aber nun das Gebiet unserer Radtourenkarte und mu�ten uns nach dem Blatt 1 (Wien, Nieder�sterreich, Ober�sterreich) der "Gro�en Stra�enkarte �sterreichs" von freytag&berndt im Ma�stab 1:250000 richten. Die pr�zisen Eintragungen dieser Karte lernte ich bereits auf fr�heren Reisen sch�tzen, man kann sich mit sehr wenig Papier auf wohltuenden Stra�en durch das gesamte Land finden. D�rfer werden allerdings nur als mehr oder weniger gro�e Punkte dargestellt. Das bereitet praktisch kaum Probleme, weil in den kleinen Siedlungen nur wenige Stra�en m�nden, die meist durch Wegweiser eindeutig ausgeschildert sind. Nur in Hoheneich mu�ten wir etwas suchen, bis wir den von unserem Reisef�hrer beschriebenen Ausweg fanden.

Die in den hellen Farben des Sommers leuchtende Landschaft mit moderaten H�geln und abwechslungsreichen Stra�en zwischen weizenbestandenen Feldern, schattigen W�ldern und sonnt�glich ruhigen D�rfern glitt gem�chlich vorbei. Burg Heidenreichstein, in vielen Prospekten erw�hnt, war nur im Rahmen einer F�hrung zu besichtigen. Wir sahen uns die in der Ortsmitte regelrecht versteckt liegenden Mauern nur von au�en an. Ob es nun am Wetter, am Wochentag oder dem gef�lligeren Profil lag, jedenfalls kamen uns viele Ausfl�gler auf R�dern entgegen, meist mit Tagesgep�ck ausgestattet.

Burgen im Thayatal Wir reisten zwischen Weizen-, Gerste- und Roggenfeldern. Hin und wieder versteckte sich ein Schlag Bohnen zwischen Weideland. Mohnfelder k�ndigten an, da� wir bald schmackhaftes Mohneis kosten w�rden. Hanf und Raps waren uns weniger vertraut, Sonnenblumen konnten wir jedoch schon von weitem erkennen.

Die D�rfer wirkten weniger reich ausgestattet als vor Tagen. Einzelne blau oder gelb angestrichtene H�user setzten farbliche Akzente und lie�en die Erinnerung an Ungarn oder die Slowakei aufleben. Am Nachmittag durchquerten wir das Gebiet der Thaya, wurden, um einzelne Flu�biegungen abzuschneiden auch mal �ber einen steilen H�gel geschickt und stie�en bei Karlstein erneut auf eine imposante Burg. Absperrungen ignorierend fanden wir weitere im Bau befindliche Dorfstra�en. Der n�chste Anstieg erm�dete schon etwas mehr, aber nach einigen talw�rts f�hrenden Serpentinen gelangten wir auf eine wundersch�ne Allee, der wir einige Kilometer �ber die H�gel folgten.

Nach einer steilen Abfahrt ins Thaya-Tal geriet ein kleiner Hund �ber mein Nahen so au�er sich, da� ich uns beide nur durch eine Notbremsung vor Schaden bewahren konnte. Weg war der Schwung, mit dem ich den Anstieg am anderen Ufer nehmen wollte.

Raabs, vorgeschlagenes Etappenziel, zeigte sich als vertr�umte, gut erhaltene Kleinstadt, leider ohne Campingplatz. So a�en wir in einem Gasthaus ein leichtes Abendbrot und schwangen uns erneut auf's Rad. Die 13 km nach Drosendorf waren zwar mit einigen Anstiegen garniert, doch f�hlten wir uns noch frisch genug. Drosendorf selbst liegt zwar sehr nahe am Flu�, jedoch auf einem Berg. Durch die historische Altstadt hindurch mu�ten wir wieder hinunter ans Ufer, wo wir dann auch erleichtert den Campingplatz fanden.

Hinter einem Tor sah es aus wie in einer Kleingartensiedlung, hinter B�schen und Z�unen schienen die Wohnwagen kaum noch durch. In der Mitte des Platzes gab es eine gro�e Wiese und ein baubudenartiges Geb�ude mit Waschr�umen und Kiosk-Gastst�tten-Rezeption. Noch immer erinnere ich mich an den unfreundlichsten Campingplatzverwalter meines Lebens in Kirchheim-Bolanden (nie wieder werde ich in der Gegend zelten), und dieser Platz erinnerte mich - zu Unrecht - an jenen verrufenen. Ich bat Hildegard, die Formalit�ten zu erledigen, und sie kam mit der Auskunft zur�ck: "Die Zelte stehen alle auf der gro�en Wiese." Die Wiese sahen wir, aber wo waren die Zelte? Nun, eine halbe Stunde sp�ter stand wenigstens ein Zelt dort, und wir sa�en bei "Gspritztem" und Saft in der Kneipe.
(93 km)

Montag, 28. Juli 1997: Sch�nberg

Unser Zeltplatz wurde dominiert von Wiener Rentnern, Mindestalter 55 Jahre. Ein paar Kinder langweilten sich zwischen den Rabatten. "Was macht denn deine Mutter?" h�rten wir. "Na, ferngucken, wie alle." lautete die hoffnungslose Anwort. Aber auch hier bekamen wir frische Milch und Eier und konnten damit ein gutes Fr�hst�ck kreieren.

Drosendorfer Schlo� Nun stand der Berg nach Drosendorf bevor, eine trotz des Fr�hst�cks anspruchsvolle Herausforderung. Oben nahmen wir uns erst einmal etwas Zeit f�r die Pests�ule und die Stadt, denn der Name Drosendorf l��t irref�hrenderweise eine viel zu kleine Ansiedlung vermuten. Dann ging es hinab ins n�chste Tal, nur um die verlorene H�he erneut m�hevoll zur�ckzugewinnen. Das lohnte sich diesmal sehr, denn �stlich von Drosendorf erstreckt sich eine Hochebene, die uns wundersch�ne, entspannte Kilometer nach Langau bescherte. Vielleicht kann man dieses Staunen nur auf dem Rad erleben, wenn man angestrengt ein tiefes Flu�tal verlassen hat und sich pl�tzlich leicht wellig Felder und Wiesen bis zum Horizont erstrecken.

F�r Geras mit seinem Pr�monstratenserstift blieb nur wenig Zeit, doch ein Blick in den Klostergarten mit vielf�ltigen Kr�utern und Erkl�rungen ihrer Wirkung war uns doch verg�nnt. Durch kleine, zwischen H�geln versteckte D�rfer rollten wir nach S�den. Vor Horn endet das h�her gelegene Gel�nde, und w�hrend der langen, schnellen Abfahrt durch den Wald sp�rten und sahen wir erneut eindrucksvoll die Topographie dieser Landschaft.

Wir wollten wieder mit frisch gekauften Lebensmitteln Picknick machen. Doch w�hrend es bislang offenbar f�r jede Firma, die etwas auf sich h�lt, zum guten Ton geh�rte, eine Bank zu sponsorn, wies Horn kaum derartige Sitzgelegenheiten auf. Der Park war wie leergefegt, und an den Stra�enb�nken brauste der Verkehr vorbei. Wir zogen uns aus der Stadt zur�ck und fanden ein gem�tliches Pl�tzchen neben einem Denkmal f�r den Piloten, der erstmalig von Wien nach Horn flog.

Ein kleines Mi�verst�ndnis lie� uns die Stadt auf einer gro�en Bundestra�e verlassen, aber bald schon waren wir auf unserer geplanten Route durch das Tal des Kamp. Als schwach befahrene Stra�e prognostiziert, konnten wir das Urteil unseres Reisef�hrers diesmal nicht teilen. Auf Teilst�cken gab es linksseitige Radwege, die teilweise an Bordsteinkanten endeten und unlogisch beschildert waren. Das mehrfache �berqueren der Stra�e erschien uns in den Kurven zu gef�hrlich, so da� wir schlie�lich den Radweg ignorierten.

In Gars bekam ich Appetit auf ein St�ck Torte, und wir folgten der Werbung einer Konditorei in einen als "radfahrerfreundliche Gastst�tte" ausgeschilderten Garten. Kleinigkeiten sind es, die das Pr�dikat plausibel erscheinen lassen, die uns den Aufenthalt aber angenehmer machten. So gab es alle Getr�nke auch in preiswerten Halblitergl�sern, eine Kiste mit Werkzeug stand bereit, und von unseren Pl�tzen aus konnten wir das Gep�ck beaufsichtigen. Gest�rkt mit Eiskaffee, Eisbecher und Torte fuhren wir weiter.

In Krems w�rde es einen Zeltplatz geben, aber eigentlich gefiel uns das Tal, und wir wollten es nicht so schnell verlassen. Als ein Hinweis auf eine radfahrerfreundliche Pension auftauchte, bogen wir daher ab und standen kurz darauf vor dem "Haus Maria" in Sch�nberg.

Gerade verabschiedeten sich zwei Leute vor dem Haus, da rief Hildegard auch schon hin�ber, ob denn noch ein Zimmer frei w�re. "Ja!" Wir begannen, unser Gep�ck von den R�dern zu l�sen. Unten sei eine Garage, erkl�rte man uns. Phantastisch - ein riesiger Raum, zur H�lfte gef�llt mit Fahrr�dern, ein Wandbord mit Werkzeug, Werkbank - wirklich "radfahrerfreundlich". Im Haus verursachte unser �berraschendes Auftauchen inzwischen hektische Aktivit�t. Maria Paur, die Inhaberin, sauste mit Staubsauger und Bettzeug durch die G�nge und entschuldigte sich immer wieder f�r die Wartezeit, w�hrend wir es uns im Foyer gem�tlich machten und die kleine Bibliothek inspizierten. Erleichtert f�hrte sie uns dann in unser Zimmer, ein sehr feines Appartement mit Bad und Balkon, ausgestattet mit den diversen Annehmlichkeiten heutiger Zivilisation. Der Blick vom Balkon zeigte den Garten und das waldige Ufer des Kamp.

Geduscht und umgezogen stand uns der Sinn nach dem schon so oft gepriesenen "Heurigen". Unsere Wirtin hatte auch gleich eine Empfehlung: Der Gasthof Aischinger, gef�hrt von ihrer Schwester, w�re das ideale Ziel f�r uns, und wir sollen doch am besten ihrer Wegbeschreibung folgen, am Ufer des Kamp entlang w�re es k�rzer. So brachen wir gutgelaunt auf und fanden auch bald den schmalen Uferpfad. Links lag das Dorf, und ich hegte die Vermutung, da� uns der beschriebene Weg weit von allen anderen Gasth�fen fernhalten w�rde, damit wir auch sicher bei Aischingers ankommen. Aber der idyllische Pfad hatte auch seine Reize. Wir kamen an einer kleinen Turbine vorbei, die mittels Transmission einen Generator trieb und so den Strom f�r die Dorfsauna lieferte. Den Kamp, die Bahnlinie und die Fernverkehrsstra�e mu�ten wir noch queren, bis wir in die Kellergasse gelangten. Jetzt begriff ich, da� die Weing�ter hier konzentriert lagen und uns der Weg nichts vorenthalten hatte. Lediglich am Weingut Leonberg mu�ten wir noch vorbei. Stimmengewirr, Gl�serklirren, Musikfetzen lie�en auf eine ausgelassene Atmosph�re schlie�en. Doch sicher wu�te man bei Aischingers schon Bescheid, also zogen wir brav weiter und fanden unter Rebenlaub versteckt einige B�nke neben dem Wirtshaus vor. Nur zwei G�ste, auch aus dem "Haus Maria", wie wir bald merkten, lie�en sich von Aischingers bewirten. Aus der vielversprechenden Speisekarte w�hlte Hildegard "Blunzn", das Nationalgericht der Region (Blutwurst von einem Bauern des Ortes), und ich entschied mich f�r Schafsk�se, der im Nachbarort erzeugt wurde. Selten habe ich einen so ausgezeichneten Schafsk�se gegessen wie unter den Weinreben an Aischingers Tischen. Mit dem wirklich guten Heurigen genossen wir ein exzellentes Abendessen. Ob wir mit den R�dern da w�ren, fragte uns der Winzer, und offenbarte damit, da� wir tats�chlich angemeldet waren. Vielleicht hat das aber auch der kleine Junge erz�hlt, dem wir schon im Haus Maria bei unserer Ankunft begegnet waren. Zu den G�sten am Nachbartisch hatte sich inzwischen der alte Weinbauer gesellt, und durch die Reben drangen Geschichten aus j�ngerer und fernerer Vergangenheit zu uns. Die D�mmerung ging in Dunkelheit �ber, im Licht der Kerzen funkelte der Wein, und wir h�rten von Kommunalstrukturreformen und Hochwassern, von Dorfschullehrern und Weinen, von gro�er Politik und kleinem Klatsch. In gel�ster, ruhiger Stimmung brachen wir irgendwann auf und schlenderten unter einem reichen Sternenhimmel nach Hause.
(66 km)

Dienstag, 29. Juli 1997: St. P�lten

Selten schliefen wir so gut, wie in den Betten der Pension Maria. Mag die �bernachtung auch teuerer als anderswo sein und bei Einzeln�chten noch 20 % Aufschlag kosten, es war angemessen. Offenbar finden das auch andere G�ste, denn einige bleiben bis zu acht Wochen dort, versicherte uns unsere Wirtin. Ein Fr�hst�cksbuffet konnte alle unsere W�nsche befriedigen. Auch hier fanden wir wieder den Hinweis auf den biologischen Anbau der K�rnersorten f�r das M�sli. In �sterreich ist das nicht nur ein Schlagwort, sondern wird staatlich kontrolliert. Wir konnten das schmecken, nicht nur bei diesem Fr�hst�ck, sondern auch bei Produkten aus dem Supermarkt. Dort werden unter der neuen Marke "Ja! Nat�rlich" �kologisch erzeugte Produkte vermarktet. Dabei deutete ein Faltblatt an, da� vor allem die Logistik hierf�r besonders ausgefeilt werden mu�te, denn jeder Joghurt, jede Milch tr�gt den Namen des Erzeugerhofes. Geschmacklich hob sich diese neue Reihe deutlich von den Standardlebensmitteln ab, die in �sterreich nicht anders als aus unseren Regalen schmecken. Wir suchten vor allem deshalb gezielt danach in den Regalen. F�r einige Bauern bedeutete dieser neue Verteilungsmechanismus die Chance zum �berleben. Sie hatten ihre Felder schon seit Jahren nach den Kriterien biologischen Anbaus bewirtschaftet, schafften es aber nicht, die Fr�chte ihres Landes auch zu vermarkten. Die Naturkostl�den konnten nicht noch mehr aufnehmen, und in die gro�en Superm�rkte dringt ein einzelner Bauer nicht vor.

Nebenbei erfuhren wir von dem lokalen Dilemma der Weinbauern von Sch�nberg. Drei gro�e G�ter gibt es. Aischinger und ein weiterer Hof �ffnen im 14-t�gigem Wechsel. Nur Leonberg h�lt sich an keine Absprachen. Bislang war das nicht so wichtig, weil der dritte Hof am anderen Flu�ufer liegt und auch ohne Probleme gleichzeitig mit Leonberg �ffnen konnte. Nun hat aber Leonberg seinen Rhythmus ge�ndert, und da er gleich neben Aischinger liegt, dringen nur noch wenige Kunden in letzteren Hof vor. Vor den Touristen sonst verborgen, sprechen aus diesen Berichten die Sorgen um den Erhalt der G�ter.

Unter einem bedeckten Himmel brachen wir erholt und gest�rkt auf und folgten dem Kamptalradwanderweg. Wunderbarerweise f�hrte er von Weinkeller zu Weinkeller, und nur der fr�hen Stunde verdanken wir unser schnelles Vorankommen. �ber kleine Stra�en und verwinkelte Wege erreichten wir Schlo� Grafenegg im Nieselregen. Als wir die Capes endlich auspackten, h�rte er prompt auf. Wir verzichteten auf einen Rundgang durch das Schlo� und bewunderten seine Mauern nur von au�en. Wenige Kilometer weiter erreichten wir den Donauradwanderweg und fuhren an Deichbauern vorbei nach Krems.

St. G�ttweig In Krems stie�en wir auf lebhaftes Treiben. In der Fu�g�ngerzone dr�ngten sich Einheimische und Touristen, wohl jeder Donauradler wird hier einen Abstecher machen. Wir schoben unsere R�der hinauf zur Piaristenkirche. Der Piaristenorden fand in Deutschland keine Verbreitung, genie�t in �sterreich aber einiges Ansehen. Er besch�ftigte sich mit der Bildung f�r Arme, sah sich jedoch durch das staatliche Bildungsmonopol seiner Aufgaben beraubt und engagiert sich heute in der Arbeiterwohlfahrt. In Krems ist er praktisch nur noch durch seine Kirche und Wochenendgottesdienste pr�sent.

Erstaunlich schwierig wurde es, aus der Stadt hinauszufinden. Wir standen pl�tzlich an einer Kreuzung, die rechts und links von Verbotsschildern f�r Radfahrer flankiert wurde. Mit etwas M�he gelangten wir aber doch noch halbwegs legal auf die Donaubr�cke nach Mautern. Im April 1945 zerst�rt, wurde sie bis September 1945 von den sowjetischen Truppen wieder aufgebaut, und so steht sie heute noch.

Unsere Karte lie� nur H�hensch�tzungen zu, und so waren wir ein wenig �berrascht, als sich die wahren Ausma�e des auf unserem Weg nach S�den zu �berquerenden Sattels offenbarten. Wir hatten schon von weithin das auf dem Berg liegende Benediktinerstift G�ttweig gesehen, aber da� wir fast bis in seine H�he vordringen m��ten, erwarteten wir nicht. Unser Ziel hie� Sankt P�lten, und wir w�hlten eine ruhige Nebenstra�e dorthin aus. Am Horizont gr��ten dunkel und hoch aufragend die Berge der Alpen, Felder voller strahlend gelb leuchtender Sonneblumen winkten uns zu, und wir bedauerten es, nicht weiterfahren zu k�nnen. In der W�rme der Abendsonne strahlte die Landschaft einen Reiz aus, der �berhaupt nicht zur Abreise ermunterte.

Sonnenblumen Wir fanden den Bahnhof, konnten aber nicht mehr f�r den Eurocity reservieren. Ich entdeckte ein Faltblatt des "Radtrampers", eines Zuges, der extra f�r die Radwanderer der Donau geschaffen wurde, und der ohne Reservierung genutzt werden kann. So versorgten wir uns mit Fahr- und Fahrradkarten und zogen weiter in die Innenstadt. Dort war schon Ruhe eingekehrt, so da� wir nach einer Besichtigung des Domes zum Zeltplatz aufbrachen. Im Bahnhof hatten wir uns auf einem Stadtplan orientiert, so da� wir - mit einer zus�tzlichen Wegbeschreibung eines freundlichen Einheimischen versorgt - ohne Umwege hingelangten. Wir fanden ein gro�es Sportzentrum mit Hotel, Gastst�tte und Campingwiese vor. "Mega-Fun" stand �ber dem Eingang, und der Versuch, mega zu sein, wirkte irgendwie unbeholfen. St. P�lten ist seit kurzer Zeit Hauptstadt von Nieder�sterreich, man hat diese Funktion aus Wien ausgelagert. Nun schien man viel zu wollen, aber noch nicht alles zu k�nnen, und in dem Sportzentrum wurde es besonders offensichtlich. Nebenbei war dieser sportliche Campingplatz auch der autofreundlichste unserer Tour, und das nicht nur, weil der Stellplatz f�r das Fahrzeug nichts kostete. Es prangten auch prompt die ADAC-Empfehlungen mehrerer Jahre am Eingang. Mir w�ren saubere Sanit�ranlagen wichtiger gewesen. Die Duschen waren zwar weitaus moderner und schicker als an allen vorangegangenen Pl�tzen, doch schien der Grundsatz, sie so zu verlassen, wie man sie vorfand, bei den hiesigen Campern noch nicht angekommen zu sein. Wir h�tten unserem ersten Eindruck folgen und die Gastst�tte meiden sollen, doch wir hatten Hunger und keine Lust, mit unserem unvollst�ndigen Kocher zu kochen. Hildegards Gericht, ein Spinatstrudel, war ungenie�bar, w�hrend ich mich vorsichtig auf ein Standardessen, Schnitzel mit Pommes Frites, zur�ckgezogen hatte, bei dem man nicht viel falsch machen kann. Frustriert und schlecht gelaunt verlie�en wir das ungastliche Etablissement und krochen in unsere Schlafs�cke.
(73 km)

Mittwoch, 30. Juli 1997: Chemnitz

Das letzte Fr�hst�ck auf unserer Tour nahm der Kocher zum Anla�, seinen Unwillen �ber die fehlenden Teile deutlich zu machen, indem er sich in eine Flammenwolke h�llte. Ich �berredete ihn dann doch noch, unser Teewasser zum Kochen zu bringen, so da� wir mit gef�llten M�gen zusammenpackten, eine Weile einen Papierkorb suchten und endlich aufbrechen konnten.

St. P�lten Eine Stunde blieb uns noch, die einladende Fu�g�ngerzone von St. P�lten zu durchschlendern, Reiseproviant zu kaufen und die letzten Schillinge umzusetzen. Dann strebten wir zum Bahnhof und fanden den Rad-Tramper, bestehen aus drei Reisezugwagen und drei f�r den Fahrradtransport umger�steten, gro�en, blauen G�terwagen. Die R�der wurden sicher und sorgf�ltig befestigt, das Gep�ck mu� allerdings komplett abgenommen werden. Der Zug h�lt in allen gr��eren Orten, meist f�r mehrere Minuten, weil das Verladen der R�der trotz zweier Fahrradschaffner seine Zeit braucht. Wir erfuhren, da� 90 R�der im Zug w�ren, und da� dieser Tag eher einer mit schwacher Auslastung sei. So rollten wir zwar schnell, aber mit Pausen nach Passau, und dort waren aus den drei immerhin f�nf Fahrradwaggons geworden. Die Fahrradkarte kostet nur 30 Schillinge, und so ist der Rad-Tramper das ideale Transportmittel f�r Donauradwanderer, denen das pedalieren zu schwer wird.

Der Regionalexpress nach M�nchen war gerade abgefahren, so warteten wir eine reichliche Stunde und fuhren mit dem n�chsten Zug auf der von der Hinfahrt bekannten Strecke nach Regensburg und mit dem Interregio weiter nach Chemnitz, wo wir kurz vor Mitternacht eintrafen.

Wir haben nur einen kleinen Teil �sterreichs gesehen, wollten eigentlich noch viel weiter fahren. Wieder einmal best�tigte sich, da� �sterreich viele attraktive Touren anzubieten hat, und irgendwann werden wir an die Erlebnisse dieses Jahres ankn�pfen und weiterfahren ...
(14 km)


Ralph Sontag
Sontag@MahJongg.IN-Chemnitz.De