Es soll Menschen geben, die im Erzgebirge mit dem Fahrrad unterwegs sind. Zugegeben, das ist in der hügeligen Landschaft meistens eine anstrengende Angelegenheit. Tatsächlich gibt es sogar zahlreiche mehr oder weniger sportlich orientierte Radtouren und -rennen. Aber kaum ein normaler Radfahrer würde von sich aus auf die Idee kommen, an einem Tag zehn der höchsten Erzgebirgsgipfel erklimmen zu wollen. Genau das muss man aber beim Stoneman Miriquidi.
Beim Stoneman Miriquidi handelt es sich nicht um eine termingebundene Sportverantaltung. Vielmehr ist es eine 162 Kilometer lange Moutainbike-Strecke im deutschen und tschechischen Westerzgebirge, die jeder individuell in der Zeit von Mai bis November fahren kann. Auf offiziell neun Gipfeln befinden sich dazu Kontrollstellen, an denen man die beim Start an einem beliebigen Partnerhotel ausgegebene Karte locht. Diese legt man am Ende der Runde dort wieder vor. Schafft man die 4400 Höhenmeter tatsächlich an einem Tag, erhält man eine Trophäe mit einem goldenen Stein. Lässt man sich zwei oder drei Tage Zeit, gibt es den Stein in Silber oder Bronze. Steht weniger die sportliche Herausforderung im Vordergrund, kann man auch länger unterwegs sein und dabei einige der zahlreichen an der Strecke gelegenen Sehenswürdigkeiten besuchen.
Die Trophäe, die Landkarte, den Eintrag in die Finisher-Liste, die Pannenhilfe im Notfall usw. gibt es natürlich nicht kostenlos. Klar kann man auf all das verzichten und sich auf eigene Faust auf den Weg machen. Aber eine derartig gut beschilderte Strecke findet man nur ganz selten. Und wenn man die Herausforderung gemeistert hat, darf man das ruhig auch zeigen.
Nach dem heißen Sommer waren im September die Bedingungen optimal, um die Strecke in Angriff zu nehmen. Da wir die Silbervariante fahren und in Oberwiesenthal übernachten wollten, bot sich der Sportpark Rabenberg als Startort an. Parkplätze gibt es dort genügend, und auch Räder kann man ausleihen, falls nötig. An der Rezeption warteten die Startpakete schon auf uns. Schnell das Unwichtige aussortieren, denn das Gepäck für die nächsten zwei Tage auf dem Rücken soll so leicht wie möglich bleiben. Es ist noch etwas kühl am Morgen, aber obwohl es zum Start bergab geht, kommt man gleich ins Schwitzen: Die Strecke führt durch den Trailpark Rabenberg über eine schwierige Abfahrt.
Doch schon nach wenigen Minuten geht es wieder bergauf Richtung Auersberg (1019 m), vorbei an der Klinik Erlabrunn, in der viele der erzgebirgischen Wintersporthelden geboren wurden. Der Anstieg liegt größtenteils im Wald – wie übrigens der überwiegende Teil der Strecke auch. Da passt der Name Miriquidi (so wurde der Urwald genannt, der einst das Erzgebirge bedeckte) sehr gut. Auf dem Gipfel ist die erste Kontrollstelle erreicht. Also schnell die Karte lochen, kurz verschnaufen und dann erst mal den Blick vom Aussichtsturm genießen. In rasender Fahrt geht es danach abwärts. Aber nur kurz, denn das Hochmoor rund um den Kleinen Kranichsee ist zu durchqueren, bevor es in Johanngeorgenstadt nach Passieren einiger Zeugen der Bergbaugeschichte wie z. B. dem Besucherbergwerk Frisch Glück über die tschechische Grenze geht. Der Trubel am Grenzübergang ist ein krasser Kontrast zur bisherigen Ruhe.
Nun geht es zunächst im Schwarzwassertal leicht bergan, bevor es auf steilem Waldweg die letzten Meter zum Plattenberg (1043 m) hinauf geht. Auch hier gibt es einen Aussichtsturm. Inzwischen ist es Zeit für eine Mittagspause, in der man sich am Kiosk mit tschechischen Spezialitäten stärken kann. Ein paar hundert Meter vom Weg entfernt befindet sich die Eishöhle, eine begehbare Felsspalte, in der sich auch im Spätsommer noch Schneereste befinden.
Es geht wieder bergab und später über einen Feldweg direkt auf den Pleßberg (1028 m) zu, der zwar nicht so hoch erscheint, aber durch die breiten Schneisen der Skipisten immerhin ziemlich gewaltig wirkt. Nach Durchqueren von Abertham beginnt auch schon der steile Anstieg hinauf auf den Gipfel. Auch hier könnte man etwas essen. Ein weiterer Service für Stoneman-Teilnehmer ist es, dass man nach rechtzeitigem Anruf in einigen Restaurants ein Essen vorbereitet bekommt, so dass man durch die Pause nicht zu viel Zeit verliert.
Die folgende Abfahrt führt zuerst direkt über eine steile und steinige Skipiste und dann, nach kurzem Zwischenanstieg mit beeindruckendem Blick auf den Keilberg, vorbei am Skigebiet Naprava hinunter bis in den Kurort Joachimsthal (672 m). Der Keilberg war vom Pleßberg schon zum Greifen nah. Jetzt ist er wieder einige Kilometer und v. a. rund 600 Höhenmeter entfernt. Hier beginnt die längste Steigung der ganzen Runde, zuerst bis zur Talstation des Sessellifts zum Keilberg noch auf asphaltierter Straße. Am Sessellift ist reges Treiben zu beobachten, denn die Nutzer des Trailparks Keilberg können von hier mit ihren Rädern wieder nach oben fahren. Die Stoneman-Strecke führt allerdings weiter auf der neuen Skipiste zur Talstation der Lifte des Skigebiets Neklid und quert dann nach steilem Anstieg durch den Wald noch einmal weiter oben die Lifttrassen. Nun ist der höchste Punkt der Strecke (1244 m) nur noch einen steinigen Weg und ein Stück Straße entfernt. Dieses Loch in der Kontrollkarte tut in Verbindung mit einem kühlen Getränk besonders gut.
Zum Fichtelberg ist es nun wirklich nicht mehr weit. Nach einem Abstecher durch Gottesgab überquert man die Grenze und fährt an der Sachsenbaude vorbei auf Sachsens höchsten Gipfel (1215 m) – den fünften und letzten Tausender der Strecke. Der Sonnenuntergang naht, doch oben sind noch viele Touristen und Radfahrer anzutreffen. Nun geht es am ersten Tag nur noch bergab. Man folgt der alten Bobbahn und quert den Skilift an der Himmelsleiter. Ein echter Höhepunkt zum Abschluss. In Oberwiesenthal angekommen, dürfen die Räder sogar im Gepäckraum abgestellt werden. Eine Dusche und ein üppiges Büffet sind jetzt wirklich sehr wohltuend.
Nach einer erholsamen Nacht und einem guten Frühstück geht es am zweiten Tag bei einstelliger Temperatur aus der Stadt heraus vorbei an der Stinglhütte und dem Weißflog-Hotel zurück auf die Strecke. Tendenziell geht es in Richtung Bärenstein zwar bergab, aber immer wieder sind kleine Anstiege zu bewältigen. Man quert die Fichtelbergbahn, und auch eine ausgeschilderte Umleitung aufgrund von Forstarbeiten gibt es hier. Um diese Zeit trifft man am Sonntag kaum Menschen. Nach Passieren der Talsperre Cranzahl geht es nun auch endlich wieder steil bergauf auf den ersten Gipfel des Tages, den Bärenstein (898 m). Keiner der Berge des zweiten Tages ist tausend Meter hoch, doch spätestens hier merkt man, dass es nicht wirklich leichter wird. Vom Aussichtspunkt ist der Blick auf die Talsperre Cranzahl und Weipert beeindruckend. Natürlich sieht man auch, was man alles schon hinter sich, aber auch noch vor sich hat.
Der Pöhlberg wäre wirklich nicht weit. Aber es geht zunächst steil bergab, die Skipiste querend und über Kühberg und Königswalde nach Geyersdorf, von wo aus man den Anstieg zum Pöhlberg (834 m) in Angriff nimmt. Der ist länger und steiler als man es gerne hätte. Unterwegs passiert man ein weiteres Besucherbergwerk, bevor man zuletzt die alte Bobbahn hinauffährt. Oben entschädigt der traumhafte Blick über Annaberg-Buchholz. In der Abfahrt, die dem Hügel der alten Sprungschanze folgt, passiert man die Butterfässer. Über Feldwege geht es nun nach Cunersdorf, Sehma und Crottendorf. Plötzlich wird man an einem Gartenzaun per Informationstafel willkommen geheißen. Es gibt kühle Cola und einen Gartenschlauch mit Wasser. Ein Kind bessert damit sein Taschengeld auf – bezahlen kann man in Euro und Kronen. Wie schön für den erschöpften Radler!
Die Freude währt nur kurz, denn auch der Anstieg zum Scheibenberg ist unendlich lang. Zu allem Überfluss führt er auch noch über einen Weg voller Baumwurzeln. Aber irgendwann ist auch dieser Gipfel (807 m) erreicht. Oben gibt es ein wunderbares Mittagessen und einen Aussichtsturm mit schönem Blick. Nun fehlt noch ein Loch in der Karte. Und bis zu diesem sind es noch ganze 36 Kilometer. Die ersten davon sind sehr angenehm, weil es bergab geht. Nicht lange dauert es somit bis zum Unterbecken des Pumpspeicherwerks Markersbach.
Umso länger dauert der folgende Anstieg durch den Wald zum Oberbecken. Eine Kontrollstelle gibt hier nicht. Der ehemalige Hundsmarter-Gipfel ist quasi eine Zugabe. Aber der Ausblick ist wieder schön, wenn man sich die Mühe macht und ganz zum Beckenrand (848 m) hinauf steigt. Noch schöner ist die folgende Abfahrt – kilometerlang auf breiten Waldwegen bis nach Pöhla – und dann wieder steil bergauf, dem Kalbenbach folgend. Oben angekommen geht es gleich wieder hinunter nach Rittersgrün. Erneut findet man hier einen nett gestalteten Garten zum Rasten.
Im Prinzip beginnt jetzt schon der Schlussanstieg – der längste des Tages. Es geht allerdings nicht auf direktem Weg zum Rabenberg (913 m) hinauf, sondern in weitem Bogen noch einmal bis an die tschechische Grenze. Und wenn man dann Schilder sieht, auf denen es noch 2 Kilometer bis zum Rabenberg sind, biegt die Strecke noch einmal ab, und es geht in wildem Auf und Ab durch den Trailpark. Das ist anstrengend, aber es macht auch Spaß. Und plötzlich erreicht man dann doch noch den Sportpark, wo sich der letzte Kontrollpunkt befindet. Die Rezeption wäre bis Mitternacht besetzt gewesen, aber es ist noch hell, als wir das Auto erreichen. Wir legen kurz unsere Sachen ab und schreiten dann zur Übergabe der Trophäe mit dem silbernen Stein. Diese ist zwar eher unspektakulär, aber Freude und Erleichterung sind riesig. Am größten ist aber die Freude auf die Heimfahrt und das eigene Bett.
Die zwei Tage waren anstrengend (um nicht zu sagen qualvoll), aber auch voller neuer Eindrücke. So hat man das Erzgebirge tatsächlich noch nicht gesehen. Man trifft unterwegs auch viele nette Menschen, hauptsächlich Biker aus ganz Deutschland, die eine ähnliche Routenplanung haben. Und das Ziel für 2019 steht auch schon fest: der Stoneman Miriquidi Road – die Rennradstrecke im Osterzgebirge.