Bei einer Wanderung um den Ort Pobershau bei Marienberg fiel uns eine große Schautafel vor einem kleineren, einstöckigen Eckgebäude auf. Es lud dazu ein, die im Gebäude befindliche Galerie „Die Hütte“ zu besuchen. Die Informationen auf der Tafel und ein Blick in den Werbeflyer waren interessant und machten neugierig:
Am 2. Advent fuhren wir also nach Pobershau. Da die Galerie erst 13 Uhr öffnet, konnten wir noch ein Stück um den malerisch gelegenen Ort laufen und uns auf dem kleinen Weihnachtsmarkt stärken. In der nahen „Hütte“ erfuhren wir, dass die Ausstellung das Lebenswerk des einheimischen Ausnahmeschnitzers Gottfried Reichel ist. Zum besseren Verständnis der Ausstellung konnten wir uns zuerst eine kurze Dokumentation anschauen, die über den Lebensweg des Schnitzers und darüber, wie es zu dieser Ausstellung kam, informierte.
Gottfried Reichel wurde 1925 in Pobershau geboren und erlebte als Kind und Jugendlicher die politische Entwicklung in Deutschland, die zum 2. Weltkrieg führte. 18-jährig wurde er noch als Funker ausgebildet und verbrachte die letzten Kriegsmonate an der Front. Als amerikanischer Kriegsgefangener lebte er von 1946 bis 1948 in England. Durch Kontakte mit der dortigen Bevölkerung lernte er erst das Ausmaß und die Schrecken des Krieges richtig kennen.
Zurück in Pobershau arbeitete er als Buchhalter und wirkte nun aktiv in der Kirchgemeinde seines Heimatortes mit. In seiner Freizeit entdeckte er seine Begabung für das Schnitzen. Die ersten Arbeiten waren die typisch erzgebirgischen Figuren. 1952 entstand die ausgestellte Weihnachtskrippe.
Durch das intensive Studium der Bibel und eines Bildbandes über das Warschauer Ghetto entstanden im Laufe der Jahre mehr als 300 Skulpturen, die das im alten Testament dargestellte Schicksal der jüdischen Bevölkerung zeigen. Zum besseren Verständnis erläutern kurze Bibeltexte die entsprechenden Figurengruppen.
Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist die große Skulpturengruppe über die Menschen und deren Schicksale im Warschauer Ghetto, für die der Untertitel der Ausstellung „Wider das Vergessen“ steht. Hier arbeitete Gottfried Reichel mit Fotos aus dem Bildband als Vorlage für seine Figuren. Das Egebnis ist beeindruckend und sollte besonders in der jetzigen Zeit eine Mahnung sein! Kopien aus dem Bildband liegen zum Vergleich als Ansichtsexemplar dabei.
Die Skulpturen in Lindenholz sind äußerst ausdrucksstark. Die schlichten Skulpturen mit den lebendigen Gesichtern erinnern an sein Vorbild Ernst Barlach. Und man darf diese Figuren anfassen, die Oberfläche des Holzes und den Ausdruck der Gesichter spüren. Das ist eindeutig so gewünscht, damit auch sehbehinderte Besucher die Figuren erfassen können.
Aber warum gab Gottfried Reichel der 1997 eröffneten Ausstellung, die er bis zu seinem Tod 2015 begleitete, den Namen „Die Hütte“? Das Haus sollte an ein kleineres Haus, in dem man sich trifft, wohlfühlt und miteinander spricht, z. B. eine Wanderhütte, die früheren kleinen Häuschen seiner Heimat oder an die Erz- und Köhlerhütten erinnern.
Dieser Besuch hat sich wirklich gelohnt. Auch ich als Atheist empfand einige der Bibelzitate als sehr aktuell, z. B. die Szene zum Tanz um das goldene Kalb. Passt das nicht in unsere Gegenwart und vielleicht sogar zu den mitunter weihnachtlichen Geschenkeorgien?
Öffnungszeiten und weitere Informationen: Galerie Die Hütte
Tipp für die Feriengestaltung:
In mehreren Orten werden auch Ferienschnitzkurse angeboten, z. B. in Seiffen. Vielleicht werden da noch Talente entdeckt.