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Interreg-Projekt: Kulturelles Erbe des Vogt- und Egerlandes
Niederadel in der Moderne / Nižší šlechta v moderní době
Interreg-Projekt: Kulturelles Erbe des Vogt- und Egerlandes 

Niederadel im 18. bis 20. Jahrhundert / Nižší šlechta v 18. až 20. století

 

Projekt 2: Adlige Lebenswelten im Vogtland in der Moderne (18.-20. Jahrhundert). Gesellschaftliche Dynamik und räumliche Migration im Zusammenspiel mit den Nachbarregionen – Bearbeiterin: Alwine Glanz

 

Gliederung

I.          Einleitung

II.        Inhaltliche Ausführung

III.       Quellen

IV.       Ziele und Produkte

V.         Kooperationspartner und gesellschaftliche Relevanz

VI.       Bibliographie

 

I. Einleitung

Der Adel im Vogtland und seine Lebenswelt in der Moderne (18.-20. Jh.) stehen im Fokus dieses Teilprojektes (2). Vergleichend sollen dabei besonders soziale und wirtschaftliche Beziehungen innerhalb der Region wie auch darüber hinaus analysiert werden. Netzwerke und Migrationsbewegungen spielen eine zentrale Rolle. Das Projekt wird eng mit Museen im Vogtland zusammenarbeiten, nicht nur im Bereich der größeren populärwissenschaftlichen Darstellung zum Thema als ‚Produkt‘, sondern auch im Bereich der Vermittlung durch Zuarbeit in Form von Ausstellungskonzepten und multimedialer Darstellung als weitere ‚Produkte‘. Das Teilprojekt schließt inhaltlich und zeitlich an das Teilprojekt 1 an. Zum generellen Phänomen lokaler Adel/Niederadel wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.

 

II. Inhaltliche Ausführung

Der vogtländische Adel war am Beginn des Untersuchungszeitraums dieses Teilprojektes 2 (18. Jh.) stark beansprucht, u.a. durch die Installation eines französischartigen Absolutismus durch den sächsischen Kurfürst, welcher den Einfluss des lokalen Adels durch die Schaffung eines Geheimen Kabinetts verminderte. Frühneuzeitliche Aufgabenfelder gingen an Aktiengesellschaften, Bürokratien und Parteien. Für den Adel und sein gesellschaftliches Agieren bedeuteten diese sozialen Verschiebungen, dass fortan eine durchaus größere Elastizität gefordert war, die in den bisherigen Strukturen nicht derart nötig gewesen war. Soziale Zugehörigkeiten wurden fortan nicht mehr ausschließlich durch Vermögen und Karriere bedingt. Während der Adel sich in diesem neuen Umfeld zu behaupten suchte, strebte zugleich das Bürgertum nach Anschluss und Sichtbarkeit. Mit Beginn der Industrialisierung nach 1800 und der wachsenden Exportgewerbelandschaft waren zudem auch unternehmerische Qualitäten vom vogtländischen Adel gefragt. Das bedingte seine Flexibilität, die bei früheren wirtschaftlichen Strukturen, also ohne entsprechend aktive Teilhabe des Adels, so nicht benötigt wurde. Generell war der Adel in Sachsen aber nicht etwa durchgängig eine „Trägerschicht des fortschrittshemmenden Feudalismus“ (S. 14), denn er war sehr heterogen aufgestellt (wie sich z.B. im Rahmen der Diskussionen der Reformbestrebungen 1831 zeigte) und er agierte nicht als einheitliche Sozialformation (S. 455 f.), wie Matzerath (2006) es deutlich herausstellte. Auch aus den Wirrungen der Jahre 1848-50 zog der Adel wirtschaftliche Vorteile und nahm gemäßigte Positionen aufgrund von Anpassungszwängen (wichtigste Devise: ‚oben bleiben‘) ein. Zielführend dabei war stets die Erhaltung der Position und die Festigung der Ansprüche der Adelsfamilien.

Der Forschungsstand zum vogtländischen Adel und der regionalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte weist immer noch große Desiderate auf, die das Projekt anteilig, bezogen auf den Untersuchungszeitraum schließen kann. Eine sich stellende Frage ist beispielsweise die der Besitzkontinuität, denn nach 1763 gab eine Vielzahl von Adelsfamilien ihren Grundbesitz auf (Müller, 2009): Wie kam es dazu, was waren die Beweggründe und wie hat dies die Region beeinflusst? Als strukturelles Merkmal kann also der Verlust/Verkauf gegenüber einer Besitzkontinuität gleichfalls als forschungsrelevant erachtet werden.

In Bezug auf die aktuelle Forschung sind Publikationen von Hagen Enke, Werner Greiling und Hagen Rüster und verschiedene neuere Publikationen des Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden hervorzuheben (siehe Forschungsbibliographie). Das Projekt korrespondiert chronologisch mit dem Teilprojekt 1 zum Niederadel im Vogtland in der Vormoderne (14.-16. Jh.) – beide Projekte beziehen sich also logisch aufeinander.

Wichtige adlige Fokusobjekte sind das Haus Reuß/die Fürstenlinie Reuß aus dem jüngeren Hause Plauen, das Sekundogenitur-Fürstentum Sachsen-Zeitz, zu dem die Ämter Pausa, Plauen und Voigtsberg von 1657-1718 gehörten, die gräfliche Linie Schönburg-Glauchau mit Besitzungen im Vogtland, aber auch Rittergutsbesitzer und kleinere Adelsgeschlechter wie zum Beispiel die Trützschler von Falkenstein oder Römer-Rauenstein. Neben diesen Adelsgeschlechtern sollen weitere (aus dem Gebiet des Kurfürstentums Sachsen bzw. Königreichs Sachsen) in die Untersuchung einbezogen werden, um das Phänomen überregional und vergleichend adäquat darzustellen.

 

III. Quellen

Die sächsische Adelsforschung kann auf zahlreiche Quellen wie u.a. Wirtschafts- und Gerichtsakten, Bestallungsakten, Stadtbücher, Adelsbriefe, Familienordnungen, aber auch Bilder und Fotografien, Testamente oder Leichenpredigten sowie Ego-Dokumente (welche gelebte Erfahrungen und individuelle Selbstdeutung veranschaulichen) und (aufgrund der Migration auch böhmische) Adelsbiographien zurückgreifen. Mit Blick auf die Sozialgeschichte bieten Heiratsregister – neben Eheverträgen – Rückschlüsse auf den Sozialstatus von Personen und Beziehungsnetze über die Trauzeugen. Diese exemplarisch aufgezählten Quellen-/Archivbestände dokumentieren neben der adligen Herrschaft auch die Lebensverhältnisse der ländlichen Gesellschaft im Vogtland. Findig wird der Forschende dabei vor allem in den Beständen des Hauptstaatsarchivs Dresden, welches u.a. über eine Suche nach Rittergutsbeständen mehrere hunderte Meter Material bereithält.

 

IV. Ziel und Produkte des Projekts

Ziel des Projekts ist die weitergehende Erforschung des vogtländischen Adels in der Moderne – im Anschluss an das Teilprojekt 1, das sich im Spätmittelalter bzw. in der Frühen Neuzeit orientiert – mit all seinen gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Implikationen. Für Sachsen kann das Jahr 1763, als Ende des Siebenjährigen Krieges durch den Hubertusburger Frieden, für den Beginn der Moderne angesehen werden. Bis 1830 herrschten zudem noch ständische Normen vor. Das Vogtland prägten über Jahrhunderte die Reußen, aber auch kleinere Adelsgeschlechter haben ihre Spuren hinterlassen und Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung genommen. Beide Teilprojekte können im Zusammenspiel die Entwicklung des vogtländischen Adels, also die jahrhundertelangen Chancen, aber auch Herausforderungen und Wandlungen, gut gemeinsam untersuchen und darstellen.

Das heutige akademische und auch gesellschaftliche Interesse richtet sich zunehmend auf die Untersuchung von adeligen und bürgerlichen Netzwerken regionaler und überregionaler Natur (zum Beispiel nach Böhmen, über Jahrhunderte stellte die Grenze eher eine Kontaktzone und einen Austauschraum als eine Trennlinie dar) – auch bezüglich Migration, Heiratsstrategien und sozialer Mobilität. Letztere verstärkte sich in Zeiten der Industrialisierung brachte adlige und großbäuerliche sowie bürgerliche Schichten zunehmend zusammen. Zu analysieren sind Wirkungen des Transfers und Veränderungen der Gesellschaft aufgrund von Migrationsprozessen, nicht nur (inter-)regional, sondern auch über Auswanderungswellen nach Übersee. Industriell gesehen war insbesondere die Textilindustrie in der Region Vogtland bedeutsam. Daher soll diese für den wirtschaftlichen Bereich im Fokus stehen. Insbesondere die Spitzenindustrie (z.B. Plauer Spitze) brachte der facettenreichen Region Weltruhm bei, die wiederum prägende Wirkungen auf die Gesellschaft hatte.

Am Ende der Projektlaufzeit sollen eine wissenschaftlich fundierte, gesellschaftsrelevante Publikation und zwei Ausstellungskonzeptionen stehen.

 

Die Darstellung von niederadeligen Lebenswelten bzw. der Moderne im Vogtland und angrenzenden Regionen soll sich folgendermaßen in ‚Produkten‘ niederschlagen:

  • ein (Wander-)Ausstellungskonzept (für die Schlösser/Burgen Mylau und Oelsnitz-Voigtsberg, Greiz, Loket/Elbogen, Franzensbad/Františkovy Lázně (Burg Seeberg), Kopaniny, Aš/Asch – je nach Ausrichtung/Nutzung der Häuser stärker auf den konkreten lokalen Adel, der auf den Burgen saß, und/oder bestimmte Aspekte, wie Verwaltung oder Reformation, abzielend); Kosten für die Ausstellungen bei den Projektpartnern, wiss. Knowhow/Konzeptionen bei der Prof. Europäische Regionalgeschichte (in Zusammenarbeit mit Teilprojekt 1)
  • eine 2-tägige wissenschaftliche Tagung und ein Tagungsband (2026) (mit Übersetzungen/Abstracts)
  • eine populärwissenschaftliche Darstellung/ein deutsch-tschechischer Bildband, der sich für den Tourismus eignet (2027): ca. 150 Seiten
  • ein populärwissenschaftlicher Podcast mehrerer Wissenschaftler zum Thema (Technikkosten bei Prof. Europäische Regionalgeschichte)

 

V. Kooperationspartner und gesellschaftliche Relevanz

Das Projekt verfolgt einerseits die Absicht, regionalgeschichtliche Lücken in der Forschung zur Region Vogtland und dem dort ansässigen Adel in der Moderne zu schließen und richtet sich andererseits an die Öffentlichkeit, indem es die wissenschaftlichen Ergebnisse populärwissenschaftlich in Form von z.B. Ausstellungskonzeptionen aufbereitet. Vorgesehen ist es, die Ergebnisse der Forschung den Museen über eine Visualisierung mittels Roll-ups und Tafeln in Form von Ausstellungen zugänglich zu machen. Für dieses Produkt wurden mit diesen Museen (Wander-)Ausstellungskooperationen ausgemacht (im Zusammenspiel mit TP 1):

  • Burg Mylau (Direktorin Sina Lorbeer-Klausnitz)
  • Schloss Voigtsberg (Direktorin: Tina Reitz)
  • Museum im Oberen Schloss Greiz (Direktor: Rainer Koch)
  • Burg Loket (Direktorin: Jana Těžká)
  • Franzensbad/Františkovy Lázně und Burg Seeberg (Direktor: Aleš Česal)

 

 

VI. Bibliographie (Auswahl)

  • Billig, Gerhard, Pleißenland – Vogtland. Das Reich und die Vögte. Untersuchungen zu Herrschaftsorganisation und Landesverfassung während des Mittelalters unter dem Aspekt der Periodisierung, Plauen 2002.
  • Bünz, Enno et al., Vogtland (Kulturlandschaften Sachsens, Bd. 5), Leipzig 2013.
  • Dannenberg, Lars-Arne/Donath, Matthias (Hrsg.), Lebensbilder des sächsischen Adels (Bd. I-V), Bernstadt a.d. Eigen 2014-2021.
  • Enke, Hagen, … zigmal Heinrich: Die Reußen, in: Neu entdeckt: Thüringen – Land der Residenzen [1485-1918]. 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen, 15. Mai – 3. Oktober 2004. Bd. 1-2: Katalog, hrsg. v. Konrad Scheurmann und Jördis Frank, Katalog 1, Mainz 2004, S. 64-73.
  • Ders., Das Verhältnis zwischen zentraler und territorialer Gewalt am Beispiel der vogtländisch-reußischen Geschichte – ein Aspekt deutscher Verfassungsgeschichte, in: Jahrbuch des Museums Reichenfels-Hohenleuben 43 (1998), S. 45-52.
  • Ders., Desiderata Ruthenea. Gedanken und Überlegungen hinsichtlich künftiger Forschungen zur vogtländisch-reußischen Geschichte, in: Jahrbuch des Museums Reichenfels-Hohenleuben 44 (1999), S. 17-79.
  • Friedreich, Sönke, Stadtentwicklung, bürgerliche Öffentlichkeit und symbolische Repräsentation in Plauen (1880-1933), Leipzig 2017.
  • Fröhlich, Horst, Vogtland-Mosaik. Volkskundliche und kulturgeschichtliche Streiflichter, Plauen 2004.
  • Gehrlein, Thomas, Das Haus Reuß. Teile I-IV, Werl 2015.
  • Greiling, Werner/Rüster, Hagen (Hrsg.), Reuß älterer Linie im 19. Jahrhundert. Das widerspenstige Fürstentum? Jena 2013.
  • Hörz, Peter F. N./Richter, Marcus, Schöneck – Bekannt durch gute Zigarren: Studien zur Industriegeschichte einer vogtländischen Kleinstadt, Dresden 2014.
  • Kaemmel, Otto, Sächsische Geschichte, Dresden 62000.
  • Matzerath, Josef, Adelsprobe an der Moderne: Sächsischer Adel 1763 bis 1866. Entkonkretisierung einer traditionalen Sozialformation, Stuttgart 2006.
  • Müller, Tim S., Verlusterfahrung und Konsolidierung. Adliger Rittergutsbesitz zwischen Rétablissement und Bodenreform – Eine Regionalstudie aus dem sächsischen Vogtland, in: Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne, hrsg. v. Ivo Cerman und Luboš Velek, München 2009, S. 285-299.
  • Schattkowsky, Martina (Hrsg.), Adlige Lebenswelten in Sachsen. Kommentierte Bild- und Schriftquellen, Köln 2013.
  • Schmidt, Berthold, Die Reußen, Genealogie des Gesamthauses Reuß älterer und jüngerer Linie, sowie der ausgestorbenen Vogtslinien zu Weida, Gera und Plauen und der Burggrafen zu Meißen aus dem Hause Plauen, Schleiz 1903.
  • Schmidt, Berthold, Geschichte des Reußenlandes (1. und 2. Halbband), Gera 1923 und 1927.
  • Spieker, Ira, Kapital – Konflikte – Kalkül, Ländlicher Alltag in Sachsen im 19. Jahrhundert, Dresden 2013.
  • Stucke, Sigismund, Die Reußen und ihr Land. Die Geschichte einer süddeutschen Dynastie, St. Michael 1984.
  • Unger, Brigitte et al. (Hrsg.), Der Vogtland-Atlas. Regionalatlas zur Natur, Geschichte, Bevölkerung, Wirtschaft und Kultur des Sächsischen Vogtlandes. 3. erw. Auflage, Chemnitz 2007.

 

Text: Modifizierter Antragstext von Prof. Dr. Grischa Vercamer