Hintergrund des Vorhabens
Wieso Rechtswissenschaften?
In den nächsten zehn Jahren werden voraussichtlich rund 850 sächsische Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, 1370 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und 60 Notarinnen und Notare in den Ruhestand eintreten. Diese Zahlen nannte das sächsische Justizministerium im Herbst 2023. „Bis 2030 wird fast jeder zweite Richter und Staatsanwalt in Pension gehen", sagt auch der Vorsitzende des sächsischen Richtervereins, Reinhard Schade. Eine ähnliche Ruhestandswelle zeichnet sich für Juristinnen und Juristen in der Staats- und Kommunalverwaltung und der Wirtschaft ab. Zum einen steht in den nächsten Jahren ein Generationswechsel an, zum anderen kommen nicht genug Nachwuchskräfte auf den sächsischen Arbeitsmarkt – Fakt ist: In Sachen droht ein Mangel an Juristinnen und Juristen.
Dies findet auch Niederschlag in der vom Kabinett am 06.02.2024 beschlossenen Hochschulentwicklungsplanung 2025plus (HEP2025plus). Die darin enthaltenen Aussagen, dass die Herausforderung, den Fachkräftebedarf zu decken, nicht nur die MINT-Bereiche, sondern „auch die Rechtswissenschaften“ (S. 10) betrifft und es eine zunehmende Schwierigkeit darstellt, „ausreichend juristischen Nachwuchs für die Rechtspflege, die Verwaltung und die Wirtschaft vor allem im ländlichen Raum zu gewinnen“ (S. 43), sind nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen und geführter Gespräche in Südwest-/Mittelsachen absolut nachvollziehbar.
Umso wichtiger ist die – ebenfalls der Hochschulentwicklungsplanung 2025plus zu entnehmende – Absicht, „entsprechende Maßnahmen, gegebenenfalls die Einrichtung des Studienfachs Rechtswissenschaft an einer weiteren Hochschule“ (s. 43), zu prüfen.
Argumente
Warum Chemnitz?
Argumente für die Einrichtung des Studienfachs Rechtswissenschaft an der TU Chemnitz
Unterstützung der wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Region
- Reduzierung des Fachkräftemangels im Bereich Rechtswissenschaft, der laut HEP2025plus sowie Aussagen zahlreicher Praxisvertreterinnen und -vertreter in den Gebieten Rechtspflege, Verwaltung und Wirtschaft besteht (Richterinnen/Richter, Verwaltungsbeamte, Anwältinnen/Anwälte, Unternehmensjuristinnen und -juristen, Unternehmensberatungen etc.)
- „Klebeeffekt“ zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Region – an der TU Chemnitz belegt im Bereich der Grundschullehramtsausbildung: sowohl mit Blick auf die Nachfrage nach Studienplätzen an der TU Chemnitz (im WS 2023/2024 kamen 601 Bewerbungen auf 150 Studienplätze) als auch mit Blick auf den „Output“ für den Arbeitsmarkt in der Region
- Abdeckung der Region Südwest-/Mittelsachsen, inkl. ländlicher Raum (u. a. auch über die Außenstelle in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge sowie die Außenstelle in Reichenbach im Vogtland), in der ein enormer Fachkräftemangel im Bereich Rechtswissenschaft herrscht
- Stärkung der Wirtschaft, indem entsprechende rechtswissenschaftliche BA- und MA-Angebote mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Technik geschaffen werden könnten
- Förderung der Demokratie, indem Vertreterinnen und Vertreter der Rechtswissenschaft in Verbindung mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Fächer einen substanziellen Beitrag zur demokratischen Bildung leisten könnten
Stärkung und Profilbildung der TU Chemnitz
- hervorragende Ergänzung des MINT-Bereichs an der TU Chemnitz (v. a. der Ingenieurwissenschaften), indem aktuelle Zukunftsthemen (z. B. KI und Recht) adressiert und den künftigen Ingenieurinnen und Ingenieuren die für Leitungspositionen notwendigen juristischen Kenntnisse vermittelt werden könnten (etwa durch Wahlpflichtangebote für ingenieurwissenschaftliche Studiengänge)
- hervorragende Ergänzung des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen (An-Institut der TU Chemnitz), indem das sozialwissenschaftlich ausgerichtete Institut durch rechtswissenschaftliche Expertise vor Ort (insbesondere aus dem Bereich des Strafrechts) unterstützt werden könnte
- Erhöhung der Studierendenzahlen an der TU Chemnitz, da das Fach der Rechtswissenschaft ein relativ stark nachgefragtes Fach (vielerorts sogar NC-Fach) ist
Strukturelle Voraussetzungen in Chemnitz sowie an der TU Chemnitz
- Existenz von zwei Obergerichten in Chemnitz (Landesarbeitsgericht und Landessozialgericht) sowie Stellen für Referendarinnen und Referendare
- bereits vorhandene Ressourcen an der TU Chemnitz:
- Professur „Öffentliches Recht, insbesondere Öffentliches Wirtschaftsrecht“
- Professur „Privatrecht und Recht des geistigen Eigentums“
- Professur „Europäische Integration mit dem Schwerpunkt Europäische Verwaltung“
- Honorarprofessur Prof. Dr. Hartmut Hamann (Handels- und Gesellschaftsrecht, Unternehmensrecht)
- Honorarprofessur Prof. Dr. Martin Maslaton (Umwelt- und Baurecht)
- Patentinformationszentrum
- Vergabe des Dr. iur. an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
- Bereitschaft, weitere Ressourcen der TU Chemnitz einzubringen
Eckpunkte der Ausgestaltung
Wie genau?
Eckpunkte zum Studium der Rechtswissenschaft an der TU Chemnitz
- Erweiterung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften zu einer Fakultät für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften – nach dem „Bayreuther Modell“ (das bereits in den 1990er-Jahren an der TU Chemnitz in Planung war, dann jedoch nicht umgesetzt wurde)
- Einrichtung eines vergleichsweise kleinen rechtswissenschaftlichen Instituts, das die Minimalerfordernisse für ein Studium der Rechtswissenschaft bis zum ersten Staatsexamen (Dipl.-Juristin/Dipl.-Jurist) abdeckt – aktueller Planungsansatz:
- 5 W2/W3-Professuren im Privatrecht (10 WM-Stellen, z. T. Juniorprofessuren)
- 5 W2/W3-Professuren im Öffentlichen Recht (10 WM-Stellen, z. T. Juniorprofessuren)
- 2 W2/W3-Professuren im Strafrecht (vier WM-Stellen)
- mehrere Honorarprofessuren bzw. Lehraufträge (Es existiert eine hohe Bereitschaft von Juristinnen und Juristen in der Region, sich entsprechend einzubringen.)
- Schwerpunktbildung in den Bereichen Wirtschaft und Technik, z. B.:
- Wirtschaftsverwaltungsrecht, Nachhaltigkeitsrecht, Technologierecht sowie Medizinrecht als Schwerpunkte im Öffentlichen Recht
- Wirtschafts-, Innovations- und Technikrecht, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht sowie Recht des geistigen Eigentums als Schwerpunkte im Privatrecht
- Wirtschaftsstrafrecht und Kriminalwissenschaften als Schwerpunkte im Strafrecht
- Aufnahmekapazität: 200-250 Studierende pro Jahr (Staatsexamen, Bachelor- und Master-Studiengänge)
- Studiengänge:
- Staatsexamen (Dipl.-Juristin/Dipl.-Jurist)
- (integrierter) BA-Studiengang „Unternehmensjuristin/Unternehmensjurist“ mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Technikrecht (in Anlehnung an das „Mannheimer Modell“)
- mögliche MA-Studiengänge bzw. MA-Schwerpunkte (Auswahl):
- „Rechtsinformatik/IT-Recht“ (Laut HEP2025plus sollen „[a]us den dauerhaft unterausgelasteten Lehreinheiten […] entsprechend Ressourcen in die Informatik umverteilt werden, ohne diese Lehreinheiten dabei in ihrer Existenz zu gefährden.“)
- „Innovation & TechLaw“
- „Legal Tech“ (KI und Recht)
- „Unternehmensnachfolge“
- „Patentingenieurwesen“
Testimonials des Vorhabens
Wer setzt sich dafür ein?
Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Rektor der TU Chemnitz:
„Die Einrichtung des Studienfachs Rechtswissenschaften an der TU Chemnitz würde auch eine Stärkung und Profilbildung der Universität bedeuten. So würde es nicht nur das Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V., sondern vor allem auch den MINT-Bereich im Allgemeinen und die Ingenieurwissenschaften im Speziellen hervorragend ergänzen."
Ralph Burghart, Vorsitzender des Hochschulrates der TU Chemnitz und Bürgermeister für Personal, Finanzen und Bildung der Stadt Chemnitz:
„Die TU Chemnitz muss Recht bekommen, damit das Recht in Sachsen auch Zukunft hat! Ein neuer Studiengang in den Rechtswissenschaften würde eine hohe Relevanz haben, modern aufgestellt sein und hervorragende Zukunftsperspektiven bieten. Zudem könnte man in Chemnitz gemeinsam mit bezahlbarem Wohnraum, ausreichend Kitaplätzen und besonderen Kulturangeboten ein attraktives Paket für Studieninteressierte schnüren."
Dirk Eberhard Kirst, Präsident des Sächsischen Landesarbeitsgerichts:
„Es gibt derzeit einen Hochschulentwicklungsplan mit einem Prüfauftrag. Das ist etwas, aber nicht viel. Deshalb wünsche ich mir, dass wir bald einen Koalitionsvertrag haben, wo drinsteht, dass es eine zweite juristische Fakultät gibt. Und dann schlägt die Stunde der TU Chemnitz mit ihrem tollen Angebot!“
Dr. Hartwig Kasten, Vizepräsident des Sächsischen Landessozialgerichts:
„Bis 2030 werden rund 50 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Sachsen in den Ruhestand treten. Bereits jetzt ist absehbar, dass es nicht gelingen wird, die freiwerdenden Stellen mit hinreichend qualifizierten jungen Kolleginnen und Kollegen zu besetzen. Zwar ist beabsichtigt, die Juristenfakultät der Universität Leipzig auszubauen. Aber selbst für den Fall, dass dieses Ziel kurzfristig erreicht werden kann, wird es nicht möglich sein, die nötige Anzahl an Juristinnen und Juristen auszubilden. Deshalb steht aus meiner Sicht nicht in Frage, dass dem Freistaat Sachsen eine weitere Juristenfakultät sehr helfen würde.“
Dr. Dominik Schulz, Präsident des Landgerichts Chemnitz:
„Um die Frage 'Darf die TU Chemnitz Recht haben?' aus der Sicht der Justiz etwas umzuwandeln, stelle ich fest: Ausfluss der Gewaltenteilung ist, dass die Rechtsprechung den Gerichten obliegt. Wenn man so will, haben also Gerichte immer recht. Um recht haben zu können, braucht es natürlich Personen, die das Recht kennen. Und das Recht kennen, kann nicht jeder, sondern nur der, der ein Studium der Rechtswissenschaften erfolgreich durchgestanden hat“. Und: „Die TU Chemnitz darf nicht nur Recht haben, sie muss Recht haben!“
Dr. Axel Schweppe, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen:
„An der derzeit einzigen juristischen Fakultät im Freistaat Sachsen an der Universität Leipzig können bis zu 750 Studierende ausgebildet werden, von denen in den letzten Jahren noch nicht einmal die Hälfte die staatliche Pflichtfachprüfung absolviert haben. Die Quote derjenigen, die den Vorbereitungsdienst – also das Referendariat – im Freistaat Sachsen begonnen haben, lag noch mal deutlich darunter. Da stellt sich die Frage, wie in Zukunft für gut vier Millionen Sachsen Zugang zum Recht gewährleistet werden kann. Vor diesem Hintergrund unterstützt die Rechtsanwaltskammer Sachsen nachdrücklich die Initiative der TU Chemnitz, das Fächerspektrum um die Rechtswissenschaften zu erweitern.“
Markus M. Merbecks, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen:
„Ich sehe mehrere Vorteile für die juristische Ausbildung an der TU Chemnitz, u. a. die Einbeziehung von bundesweiten Reformüberlegungen, den Standard der elektronischen Prüfung im gesamten Studium, besonders hervorgehobene Schwerpunktbereiche mit Verbindung zum Kern der Technischen Universität Chemnitz und ein optimalerer Betreuungsschlüssel im Vergleich zu größeren Wettbewerbern."
Katrin Hoffmann, Geschäftsführerin des Industrievereins Sachsen 1828 e. V.:
„Durch die kleinteilige Struktur der Industrie in Sachsen beschäftigen die wenigsten Unternehmen eigene Juristen. Durch die Integration eines rechtswissenschaftlichen Instituts an einer Wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Fakultät könnten angehende Ingenieure – die Führungskräfte von morgen – während des Studiums vertiefte Kenntnisse in juristischen Bereichen erlangen.“
Prof. Dr. Frank Asbrock, Direktor des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e. V. und Inhaber der Professur Sozialpsychologie an der TU Chemnitz:
„Ich plädiere für eine interdisziplinäre Perspektive in der Juristenausbildung, zum Beispiel mit Exporten aus den Bereichen Psychologie und Soziologie, und halte eine Ausbildung des juristischen Nachwuchses, die nicht allein durch reine Juristinnen und Juristen angeboten wird, für ein vielversprechendes Argument im Sinne von Schwerpunktsetzungen."
Prof. Dr. jur. Dagmar Gesmann-Nuissl, Inhaberin der Professur Privatrecht und Recht des geistigen Eigentums an der TU Chemnitz:
„Wir stehen nicht nur einem Generationenumbruch auf nahezu allen juristisch relevanten Ebenen gegenüber. Zugleich werden von den jungen Juristen heute zunehmend Kenntnisse zu unternehmens-, aber gerade auch technologie-/technikrechtlichen Fragestellungen abverlangt. Künstliche Intelligenz, Datenwirtschaftsrecht und ‚Legal Tech‘ sind hier nur einige Stichpunkte. Warum also nicht einen eigenen neuen Schwerpunktbereich ausweisen, der exakt diese zukunftsorientierten Themen aufnimmt und auch zu einem Alleinstellungsmerkmal für Chemnitz werden könnte.“
Medienspiegel
Wer spricht noch darüber?
Sachsen fehlt der juristische Nachwuchs, MDR aktuell, 31.12.2022, 05:00 Uhr
Nachwuchs für Sachsens Justiz: Schließung der Dresdner Jura-Fakultät „großer Fehler“, DNN/dpa, 17.04.2023, 14:03 Uhr
Ostdeutscher Justiz droht erhebliche Personallücke, LTO, 18.09.2023
Runder Tisch zur juristischen Ausbildung, SMJusDEG, 22.09.2023
Jura-Studium bald auch in Chemnitz? Was hinter der Idee steckt, Freie Presse, 02.08.2024
Sachsens Justiz droht bald ein Generationswechsel-Kollaps - warum das eine Chance für Chemnitz ist, Freie Presse, 05.08.2024
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