
War das Mönchtum auf Selbstheiligung, Askese und Kontemplation ausgelegt, so bestand die Aufgabe des Weltklerus, also der für die Laien zuständigen Priester, in der Seelsorge, der Mission und dem Spenden der Sakra-mente. Die an großen Stadtkirchen und Bischofssitzen gebildeten Kanonikerstifte waren Gemeinschaften solcher Priester, wobei sich der Begriff "Stift" von der Stiftung eines (meist Grund-) Vermögens an die Institution herleitet. Die Augustiner-Chorherren können sich nicht, wie viele Mönchs-orden, auf einen oder mehrere Ordensgründer zurückführen. Im hohen Mittelalter gerieten die Kanonikerstifte wegen des Privateigentums ihrer Mitglieder zunehmend in die Kritik. Die Augustiner-Chorherren waren eine besondere Form von Kanonikern, die im Zuge der "Gregorianischen Reform" des 11. und 12. Jahrhunderts die drei Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam ablegten und die Augustinusregel annahmen, um eine dem klösterlichen Leben angeglichene Gemeinschaft zu bilden.
Augustiner-Chorherren sind kein klassischer Mönchsorden, sondern als Abkehr der Stiftsangehörigen von der zunehmenden Verweltlichung ihres Standes anzusehen. Die Chorherren übten ihr seelsorgerisches Amt nicht nur in ihrer Kirche, sondern auch in den ihnen zugewiesenen Pfarreien auf dem Lande aus. Das Wort "Chorherren" leitet sich vom Chor der Stiftskirche ab, dem Versammlungsraum der Kapitel-mit-glieder. Ziel der Regulierung war, sich am Vorbild des hl. Augustinus zu orientieren, der als Bischof mit seinen Klerikern in asketischer Gemeinschaft gelebt hatte. Da es keine zentrale Leitung gab, die Reform wurde von den einzelnen Stiften getragen, entstanden viele Ausprägun-gen dieser Gemeinschaftsform. In Deutschland kam es zunächst nicht zu einem Zusammenschluß der Augustiner-Chorherrenstifte zu einer Kongregation, so daß die Verbindungen unter einander lose blieben. Sie sind häufig durch Gebetsverbrüderungen belegt.
Im Zuge der religiösen Frauen-bewegung entstanden zahlreiche Stifte als Doppelklöster, in denen die Chorfrauen in einem eigenen Haus innerhalb der Klosteranlage unter Leitung einer Frau lebten, aber dem Männerkloster unterstellt waren. Es gab Frauenkonvente aber seit dem 12. Jahrhundert auch in weitgehend unab-hängigen Stiften. Sie über-nahmen die seinerzeit Augustinus zuge-schriebene Regel für Frauen.
Seit dem 13. Jahrhundert gab es im Reichsgebiet mehrere Über-tragungen von Augustiner-Chorherrenstiften an den Deutschen Orden. In Sachsen bietet Zschillen (Wechselburg) hierfür ein Beispiel. Da die Augustinusregel für die Priester des Deutschen Ordens ebenso verbindlich war wie für die Augustiner-Chorherren, und da die Angehörigen beider Orden zumeist dem niederen Adel entstammten, blieb bei Übertragungen die gemeinschaftliche Basis erhalten. In Zschillen fand die Übertragung statt, da der Lebenswandel der Stiftsherren schlecht gewesen war. Einige hatten ihren Probst (d.i. der Vorsteher eines Augustiner-Chorherrenstiftes) überfallen und seinen Fuß verstümmelt und dabei den Prior (d.i. der zweite Obere) tödlich verwundet, da sie befürchtet hatten, der Prior habe ihre Regelübertretungen dem Bischof gemeldet. Die Übertragung an den stärkerer Disziplin durch Ordensobere und -aufbau unterworfenen Deutschen Orden sollte diesen Stift zu einer angemessenen Lebensführung zurückführen.
In Sachsen bestanden neben Wechselburg/Zschillen Augustiner-Chorherrenstifte in Altenburg, Aue (Klösterlein Zelle), Crimmitschau, Leipzig und Zscheila.
Augustiner Chorfrauen
Einführende Literatur:
Dinzelbacher, P.; J. L. Hogg: Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1997.
Schwaiger, Georg (Hg.): Mönchtum, Orden, Klöster von den Anfängen bis zu Gegenwart: ein Lexikon, München 1993.
Siegwart, J.: Augustiner-Chorfrauen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I, München 1980, Sp. 1219.
Klezl, Helmut: Die Übertragung von Augustiner-Chorherrenstiften an den Deutschen Orden zwischen 1220 und 1323. Ursachen, Verlauf, Entwicklungen, (Deutsche Hochschuledition Band 66) Neuried 1998.
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