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Adventskalender der TU Chemnitz 2012

Der gefangene Sternsinger


Weihnachtserzählung aus dem Erzgebirge um 1800, gekürzt, von Siegfried Sieber

verschneite Pyramide in Seiffen, Mitte Dezember 2012

„Das kann doch die Wirklichkeit nicht sein: Zum Heiligen Abend in der Fronfeste! Im engen, dunklen Gelaß auf einer Schütte Stroh! Hungern, wenn's Neunerlei und Stollen daheim gibt; frieren, wenn zu Haus das Holz im Kachelofen knistert? Im Finstern sitzen, wenn Mettenlichter und Engelleuchter überall Kerzenglanz verbreiten?
Wie war's denn gekommen?

Sternsingen waren sie gewesen, schon den ganzen lieben Advent daher. Waren allabendlich umgegangen durchs Dorf, vor die Häuser, und in die warmen Stuben, Weihnachtslieder zu singen. Auf einer Stange war das Sternlicht vorangetragen worden. Natürlich war noch Hans Rupprich in seinem Zottenpelz mitgelaufen, unermüdlich seine Glocke schwingend, die Hirten und auch das Christkind mit reichem Goldhaar. Und aufgeführt hatten sie ihr Stücklein, wie's vor Weihnachten Brauch. Die Anbetung der Hirten hin und her im Dorf darzustellen, war's denn Unrecht, daß er dafür eingesperrt worden?

O weh! Mitten ins schöne Weihnachtslied vom Kindleinwiegen war der Herr Amtmann hereingepoltert, hatte arg gewettert und gescholten: ”Was, ihr abergläubisch Volk! Seid ihr Erzgebirger so weit hinter unserer aufgeklärten Zeit zurück, daß ihr solch urväterlich Zeug, solchen mittelalterlichen Aberwitz treibt? Unser gnädiger Kurfürst hat auf Vortrag der Geistlichkeit befohlen, daß dererlei Verstöße wider Religion und gute Sitte streng geahndet werden sollen. Wer bist du?”, hatte der zornige Herr ihn gefragt und er darauf erschrocken und erstaunt geantwortet: „Ich bin der Bergbursche Karl Graupner aus Niederdorf.” Im gleichen Augenblick aber waren Rupprich und Christkind, Sternträger, Hirten und Engel aus der Strumpfwirkerstube hinausgewischt ins stockdunkle Dorf. Nur ihn, den Graupner-Karl, mit seinem hohen Sternsingerhut aus Zuckerpapier, hatte der aufgebrachte Amtmann festgehalten.

Anderntags hatte ihn, den Häuer Graupner, der Fronvogt aus dem Huthaus weggeführt, sehr zur Aufregung der Bergleute, da sie meinten, ihre bergmännische Freiheit würde verletzt, wenn ein Büttel einen Knappen von der Arbeit hole.


Weihnachts-Winter-Stimmung Mitte Dezember 2012 in Seiffen

Nun saß er trübselig in der Gefängniszelle, kroch, Kälte halber, in sich zusammen, schloß die Augen und verdämmerte langsam. Aber da schob doch behutsam Lichtschein in den Raum? Karl schloß störrisch die Augen, fing nur vorsichtig zu blinzeln an, sobald er spürte, daß die Lampe sich wegwandte. Erstaunt fühlte er auf seinen Knien eine schwere, warme Decke, und ein angenehmer Kaffeeduft kitzelte seine Nase. Er träumte sicherlich. Denn ein Engel stand mitten im Raum, hatte blonde Zöpfe herabhängen und ein langes, lichtes Kleid. Bevor der Knappe die Augen gänzlich auftat, war die Erscheinung leider entschwunden. Aber geblieben war die Decke, ein Teller Kartoffelkuchen und ein Töpflein Kaffee!

Horch, nun ertönte das Sechseläuten, heute zum Heiligen Abend gar feierlich von allen Kirchenglocken getragen. Karl wollte wieder schlafen, um sein Unglück zu vergessen, da drehte sich der Schlüssel im schweren Schloß. Der Fronvogt öffnete und rief räuspernd und bärbeißig: „Komm heraus, Karl Graupner!”, fügte aber leise hinzu: „Verrat keinen Menschen, daß ich dich auslaß, käme ansonsten um Amt und Brot. Aber meine Weibsleut haben mir keine Ruhe gelassen, müßt' ich heute zum Heiligen Abend, wo selber das Vieh im Stall und das Wild im Walde sein Christnachtfutter kriegt, den armen Sternsinger nicht allein hungern und frieren lassen. Aber halt fei's Maul und reiß' mir net aus!”

Karl brachte vor Überraschung keinen Dank heraus. Gehen mitsammen hinüber ins Häuslein. Karl schaut betrübt an seinem Häuerkittel herunter. Paßt schlecht herein als dreckiger Bergmann. Denn schön ist der Tisch gedeckt mit weißem Linnen. Steht voller Schüsseln und Teller. Im Eck verschwinden die Streben der Pyramide, mit Buchsbaum umwickelt, zierlich, aber noch ohne Geflimmer der Rüböllämpchen. Die Mutter kommt aus der Küche, trocknet die Hände am Schürzenzipfel, sagt: „Guten Abend, Graupner-Gung.” Dahinter - Karl fährt zusammen: Hergott, der Engel! Wo hat er bloß seine Augen gehabt im Gefängnis. Das war doch Seifert-Hannel, des Fronvogts Mädel. Hatte wahrscheinlich ihrem Vater die Schlüssel wegstibitzt. Er hat als Kind mit Hannel gespielt und später die Maid geneckt, wenn er als Pochwerksgung von der Schicht kam. Jetzt sind beide rot geworden. Hannel drückt ihm verstohlen die Hand und flüstert: „Verrat fei nichts!”

Indessen hat der Vater aus dem Glasschrank den silbernen Leuchter genommen und das Heiligabendlicht aufgesteckt und angezündet. Dann setzen sie sich zum Essen: zum heiligen Neunerlei. Wie mundet der Schweinebraten mit Klößen, dazu Sauerkraut, Erbsen und Hirse, weil man reich wird im neuen Jahr, wenn man davon ißt. Auch gibt's Hering mit Apfelsalat. Kaum will der Grützebrei noch rutschen. Schon löffeln sie am Eingemachten, von der Mutter nach alter erzgebirgischer Weise aus Preiselbeermark und Milch bereitet. Plötzlich hört man draußen stapfen. Alle lauschen, es klopft. Hannel will aufspringen, jedoch der Vater hält sie fest und sagt ernst: „Keiner darf aufstehen, solange das Neunerlei nicht aufgegessen ist. Wer's tut, der muß im neuen Jahr sterben.”
Blaß ist er geworden, der Vater!
Jetzt klopft's zum Dritten. „Herein!” ruft der Vater finster. Wer kommt?


Der Herr Pfarrer. Lugt am Türspalt, nickt mit weißem Kopf, räuspert sich, wünscht guten Abend und flicht eine Entschuldigung ein. „Schön weihnachtlich”, lobt er, indem er vollends eintritt. „Ei, da habt ihr unseren Graupner”, fährt er fort, so daß der Knappe im Arbeitskittel den Kopf einzieht vor Scham und Bangen. Allein niemand rührt sich vom Tische, möchte ja keiner sterben. Muß also Ehrwürden mit seinem Pelz auf dem Ofenbänkchen Platz nehmen. Hält dorten eine erbauliche Weihnachtspredigt, und rückt endlich mit seiner Botschaft heraus. Sagt lächelnd: „Hab heute den Herrn Amtmann getroffen und sogleich für Karl um Erlaß der Strafe ein gutes Wort eingelegt, weil ja Heiliger Abend ist. Nun sehe ich, daß ihr's schon wißt und den Karl herausgeholt habt.”

„Haben ihn gleich zum Abendessen dabehalten” ruft schnell das pfiffige Hannel. Und Karl brummt schönen Dank für den Herrn Pfarrer. Aber keiner steht auf und reicht ihm die Hand. Er geht wieder und schüttelt unwillig den Kopf: „Sind doch rechte Runkse und Toffel, meine Pfarrkinder! Bleiben sitzen wie die Holzklötze”, denkt er.

Kaum ist er hinaus, schlägt die Mutter die Hände über dem Kopf zusammen. Alle lachen unterdrückt, weil die gefährliche Situation so glücklich ausgegangen. Karl hat des Mädchens Hand umfangen, drückt und schüttelt sie unaufhörlich, kann vor Freude sich nicht halten, ihr leise ins Ohr zu sagen, er habe heute Nacht in der Zelle geträumt und sie wahrhaftig für einen Engel gehalten. „Bist auch einer”, flüstert er zutraulich. Hannel schlägt die Augen nieder und zieht sacht ihre Hand zurück.

Bald ist's Kompott aufgegessen. Sonach spricht der Vater das Tischgebet und löscht das Heiligabendlicht. Salz und Brot sowie der Kerzenstumpf werden sorgsam ins Leinentuch gewickelt und bleiben die Heilige Nacht über auf dem Tisch.


Aus dem 1937 im Glückauf-Verlag Schwarzenberg erschienenen Legendenbuch „Engel und Bergmann”

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© Fotos: U. und W. Riedel
Ursula Riedel, Die TU-Wichtel

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