Adventskalender der TU Chemnitz 2010
Einer der kleinsten und präzisesten gläsernen Schwibbögen der Welt befindet sich in einem Labor der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz. Er ist so klein, dass er sich hinter zwei nebeneinander stehenden 2-Euro-Münzen fast verstecken könnte. Die Fertigungsexperten der TU entwickelten gemeinsam mit der Chemnitzer ATECH GmbH für die Bearbeitung derartig spröder Materialien wie dünnem Glas und Silizium das Wasserabrasivstrahlschneiden weiter. Um beispielsweise den als Demonstrator dienenden filigranen Schwibbogen herzustellen, müssen 52 Startlochbohrungen für den Schneidstrahl auf wenigen Zentimetern untergebracht werden. Der Durchmesser des so genannten Wasserabrasivinjektorfeinstrahls ist dabei nicht größer als 0,3 Millimeter. Um das sensible Werkstück nicht zu beschädigen, muss auch beim Anbohren und Schneiden äußerst behutsam vorgegangen werden. Der Schneidvorgang selber ist ein Spagat zwischen Genauigkeit, Prozessstabilität und Schneidleistung. Die Startlöcher zur Herstellung der Innenkonturen werden mit geringerem Wasserdruck gefertigt. Dabei muss jedoch der Transport des sehr feinkörnigen Schleifmittels - beispielsweise Granatsand - stabil bleiben. Bei einer Unterbrechung würde der Mini-Schwibbogen allein durch die kinetische Energie des reinen Hochgeschwindigkeitswasserstrahles zerstört. Um dies und auch eine Strahlreflexion gegen die Rückseite des Werkstückes zu vermeiden, entwickelten die Forscher zahlreiche technische Neuerungen. Davon wird künftig vermutlich nicht die erzgebirgische Handwerkskunst profitieren. Dafür aber zum Beispiel die Feinmechanik oder die Medizintechnik, wenn beispielsweise winzige Klammern aus hartem Titanblech ausgeschnitten werden sollen. Überhaupt können jetzt hochgenaue filigrane Konturen aus Molybdän, Stahl, Kupfer, Aluminium, Ingenieurkeramiken, Silizium oder Glas mit dem Wasserabrasivstrahlschneiden gefertigt werden.
Wenn man dann seinem Hausgeist einen so kleinen Schwibbogen ins Fenster gestellt hat, dürfen Eisblumen an der Fensterscheibe und Schneeflocken auf dem Fensterbrett natürlich nicht fehlen, damit vorweihnachtliche Stimmung aufkommt. Diese hat Prof. Dr. Georgeta Salvan zusammen mit Dr. Steffen Schulze und Prof. Dr. Michael Hietschold im Labor für Oberflächenanalytik am Institut für Physik unter dem Elektronenmikroskop beobachtet. Als "Schneeflocken" benutzt sie nur einige Nanometer große Rubren-Moleküle, welche sich sehr gut für Anwendungen in der molekularen Elektronik eignen könnten. Im Gegensatz zu echten Schneeflocken leiten diese Moleküle gut elektrische Ladungen, sind aber leider sehr beweglich auf verschiedenen Oberflächen. Frau Prof. Salvan möchte daher herausfinden, wie man Rubren-Moleküle gezielt und dauerhaft auf strukturierten Halbleiteroberflächen platzieren könnte, um so diese Moleküle in neuartigen Bauelementen einsetzen zu können. Aber wie lässt man Rubrenmoleküle schneien? Frau Holle konnte leider nicht weiterhelfen - für sie wären solche Moleküle viel zu klein. Deshalb haben Frau Prof. Salvan und ihr Doktorand Wen Li kurzerhand das Rubren im Vakuum verdampft und auf verschiedenen Oberflächen abgeschieden. Auf glatten Siliziumdioxidstrukturen bilden sich so faszinierende, im Durchmesser etwa 20 bis 30 Mikrometer große Strukturen, die auch in der Mikrowelt wie Eisblumen aussehen. Gebildet werden diese Eisblumen von einigen Milliarden Rubrenmolekülen, sind also noch riesige Schneehaufen im Vergleich zur Nanowelt. Leider sind solche Schichten auch sehr empfindlich und beginnen bei Kontakt mit der Atmosphäre sofort, ihre Struktur zu verändern. Verwunderlich ist das nicht, denn es ist ja auch schwer, frischen Schnee unter den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer zu legen.
Bis dahin dauert es natürlich noch ein wenig und was macht man am besten, wenn es gerade geschneit hat? Richtig: eine Schneeballschlacht. Die passenden "Nano-Schneebälle" fanden die Chemnitzer WWW-Wichtel im Labor von Prof. Dr. Manfred Albrecht. Hier werden Kugeln aus Siliziumdioxid benutzt, um nano-strukturierte magnetische Schichten herzustellen und anschließend zu vermessen. Diese "Nano-Schneebälle" können in Größen von wenigen Nanometern bis zu einigen hundert Mikrometern hergestellt werden. Als erstes bringen die Forscher aus der Gruppe von Prof. Albrecht die Kugeln in einer Monolage auf ein Substrat und anschließend werden Schichten mit magnetischen Eigenschaften aufgedampft. Die WWW-Wichtel der TU Chemnitz stellen sich das so ähnlich vor, wie wenn sie den Puderzucker auf die Weihnachtskrapfen streuen. Da fällt natürlich auch etwas Zucker durch die Lücken zwischen den Krapfen auf das Backblech, in diesem Fall also das darunter liegende Substrat. Je nach dem, wie groß die Kugeln sind, lassen sich so regelmäßige Strukturen mit verschiedenen Längen im Nanometerbereich erzeugen. Interessant ist nun für die Gruppe von Prof. Albrecht, ob sich solche Strukturen oder vielleicht ja auch die Schichten auf den Kugeln selbst nutzen lassen, um zum Beispiel in einer Festplatte Informationen noch dichter speichern zu können. Dazu werden im Anschluss die magnetischen Eigenschaften vermessen und zum Beispiel über die Zusammensetzung und den Aufbau der Schichten optimiert. Es kommt also auch im Nanokosmos auf das richtige Back-Rezept an.
An keinem anderen Ort macht die Schneeballschlacht mit den Nano-Schneebällen mehr Spaß als in einem Mikro-Wald. An der Professur Mikrofertigungstechnik der TU Chemnitz beschäftigt sich Prof. Dr. Andreas Schubert mit dem großen Potenzial kleiner Bauteile und Strukturen. Mit Hilfe eines winzigen elektrisch geladenen Salzwasserstrahls vom Durchmesser eines menschlichen Haares gelingt es den Forschern in der Arbeitsgruppe um seinen Mitarbeiter Dr. Matthias Hackert, beispielsweise Edelstahlfolie mit einer Dicke von 0,1 mm zu zerschneiden. Anders als das Wasserabrasivstrahlschneiden erfolgt beim so genannten Jet-ECM (ECM = electrochemical machining) der Materialabtrag nicht durch die kinetische Energie von Partikeln, sondern durch eine elektrochemische Reaktion zwischen Elektrolytstrahl und Werkstückwerkstoff. Das Metall wird dabei anodisch aufgelöst. Die Vorteile dieses Verfahrens liegen in der nahezu kraftfreien und gratfreien Bearbeitung von hochfesten Metallen ohne thermische Beeinflussung des Werkstückmaterials sowie ohne Verschleiß der Werkzeuge. In Fall der elektrochemischen Strahlbearbeitung ist das Werkzeug eine Edelstahldüse mit einem Bohrungsdurchmesser von 50 µm. Mit dem Verfahren lassen sich neben kleinen Engeln oder Tannenbäumen natürlich auch technisch relevante Bauteile erzeugen. Neben dem Folienschneiden ist es möglich, Oberflächen von größeren Bauteilen mit funktionalen Mikrostrukturen zu versehen, die zum Beispiel zur Reibungsminimierung im Automobil oder an Maschinenkomponenten beitragen können. Auch für die Strukturierung von hochfesten Umformwerkzeugen kann das Verfahren beispielsweise genutzt werden. Darüber hinaus sind Anwendungen in der Fluid- und Medizintechnik zu finden. Oberflächenstrukturen sind auch verantwortlich für eine Vielzahl von physikalischen Eigenschaften, die auch die Weihnachtswelt beeinflussen. Sie sorgen dafür, dass ein Lichtstrahl anheimelnd reflektiert wird, dass die Mandelreibe Mandeln reibt oder dass die Räder an der Modelleisenbahn fest mit den Achsen verbunden sind.
Nach einer Nano-Schneeballschlacht im Mikrowald kann man sogar einige Weihnachtsgrüße im Nanokosmos hinterlassen. Das haben Thomas Baumgärtel und Dr. Harald Graaf vom Institut für Physik geschafft. Die Forscher aus der Arbeitsgruppe "Optische Spektroskopie und Molekülphysik" von Prof. Dr. Christian von Borczyskowski haben die kleinste Weihnachtspostkarte der Welt geschrieben. Die Uni-Wichtel haben es nicht glauben können, aber es funktioniert tatsächlich so ähnlich wie das Beschriften von Lebkuchenherzen: Zunächst nehmen die Forscher eine frische Siliziumoberfläche, (so wie die Wichtel z.B. ein Lebkuchenherz) und bedecken es mit einer Monolage organischer Moleküle, damit die Oberfläche nicht oxidiert. Auf dieser Oberfläche bildet sich dann ein Wasserfilm, in den die Spitze eines Rasterkraftmikroskopes getaucht wird (in etwa so wie die Tüte mit dem Zuckerguss). Durch Anlegen einer elektrischen Spannung zwischen Spitze und Substrat wird das Wasser elektrolytisch gespalten und der im Wasser enthaltene Sauerstoff oxidiert das Silizium. Das passiert nur an der Stelle, an der sich die Spitze befindet und so lassen sich Buchstaben schreiben, die nur etwa 300 Nanometer groß sind. Auch Thomas Baumgärtel und Harald Graaf möchten damit im Rahmen eines DFG-Projektes herausfinden, an welchen Strukturen sich einzelne Moleküle dauerhaft auf einer Siliziumoberfläche platzieren lassen könnten. Eine so kleine Schrift kann natürlich kein Wichtel lesen, nicht einmal, wenn wir die Brille vom Weihnachtsmann stibitzen - äh, das heißt natürlich "borgen" - würden. Aber man kann sie mit dem Rasterkraftmikroskop abbilden, da sich die oxidierten Stellen genau wie die Schrift aus Zuckerguss auf dem Lebkuchen von der Siliziumoberfläche abheben.
Bei dieser Tour haben Chemnitzer Forscher im Mikro- und Nanokosmos für etwas Adventsstimmung gesorgt und wünschen nun allen Menschen rund um den Globus: "Fröhliche Weihnachten!"
Mario Steinebach, Steffen Seeger, Roman Funke, Die TU-Wichtel
Adventskalender der TU Chemnitz 2010