3.6 Der Trichotomiesatz

Rekapitulieren wir: für zwei Mengen A und B schreiben AB, wenn es eine injektive Funktion f:AB gibt. Das schaut wie eine Partialordnung aus.

  1. Es ist reflexiv, weil AA gilt: Die Identität idA:AA ist injektiv.
  2. Es ist transitiv, weil aus AB und BC folgt, dass AC: Wenn f:AB und g:BC injektiv sind, dann ist gf:AC,ag(f(a)) auch injektiv.
  3. Es ist (so gut wie) antisymmetrisch, weil aus AB und BA zwar nicht A=B folgt, aber laut Schröder-Bernstein-Theorem immerhin AB.

Wenn wir also equipotente Mengen als identifisch betrachten, dann ist tatsächlich eine Partialordnung. Ist es eine totale Ordnung? Gilt also immer AB oder BA? Dies klingt offensichtlich, ist es aber nicht. Aber wahr ist es, wenn auch nicht ganz einfach zu beweisen.

Theorem 3.6.1 (Trichotomiesatz der Mengenlehre). Seien A und B zwei Mengen. Dann gibt es eine injektive Funktion f:AB oder eine injektive Funktion g:AB. Es gilt also immer genau einer der drei folgenden Fälle:

  1. A<B,
  2. AB,
  3. A>B.

(Unvollständiger) Beweis. Will man ein Objekt mit gewissen Eigenschaften (hier: Funktion, injektiv) konstruieren, so lohnt es sich oft, die gestellten Bedingungen zu relaxieren und sich langsam zu einer "richtigen" Lösung hinzutasten.

Wir müssen zuerst uns in Erinnerung rufen, was eine Funktion formal ist. A×B:={(a,b) | aA,bB}, die Menge aller Paare, heißt das cartesische Produkt. Eine Relation ist eine Teilmenge RA×B.

Definition. Eine Relation RA×B heißt

  • Funktion, wenn es für jedes aA genau ein bB mit (a,b)R gibt; wir schreiben dann üblicherweise f statt R und schreiben f(a), um dieses b zu benennen.
  • Matching, wenn es für jedes aA höchstens ein bB gibt mit (a,b)R und umgekehrt für jedes bB höchstens ein aA mit (a,b)R.
  • Wenn R ein Matching ist, dann sättigt R die Menge A, wenn es für jedes aA ein bB mit (a,b)R gibt; es sättigt B, wenn es für jedes bB ein aA gibt mit (a,b)R.

Wir beobachten: wenn R ein Matching ist und die Menge A sättigt, dann ist R eine injektive Funktion, und umgekehrt. Wenn R ein Matching ist und sowohl A als auch B sättigt, dann ist R eine bijektive Funktion.

Wir betrachten nun die Menge M aller Matchings in A×B:

M:={RA×B | R ist ein Matching} .

(M,) ist eine Partialordnung.

Beobachtung. Wenn RM ein maximales Element in der Partialordnung (M,) ist, dann sättigt es A oder B (oder beide). Wenn es A sättigt, dann ist es eine injektive Funktion AB und es gilt somit AB. Wenn es B sättigt, dann ist R1:={(b,a) | (a,b)R} eine injektive Funktion BA und es gilt BA.

Beweis. Nehmen wir an, dass es weder A noch B sättigt. Dann gibt es also ein aA, das mit keinem bB "gepaart" ist, und auch ein bB, das mit keinem aA gepaart ist. Also ist R{(a,b)} auch ein Matching, und R ist nicht maximal.

Wir bekommen also unsere gewünschte injektive Funktion, solange wir ein maximales Element in der Partialordnung (M,) vorweisen können. Aber Vorsicht: nicht jede Partialordnung hat ein maximales Element! Ein Gegenbeispiel ist (N,). Es gibt immer größere natürliche Zahlen, aber kein maximales Element. Die Gefahr ist also, dass es unendliche aufsteigende Folgen a1<a2<a3\t geben kann, für die man keine obere Schranke findet.

Definition. Sei (X,) eine Partialordnung und SX eine Menge. Ein Element xX ist eine obere Schranke für S wenn

sxsS

gilt. Dabei ist unerheblich, ob die obere Schranke x selbst in S ist oder nicht.

Die unendliche aufsteigende Folge 1,2,3, hat keine obere Schranke in N. Somit gibt es auch kein maximales Element. Was nun mit (M,)? Wenn M1M2M3 eine unendliche Folge von Matchings ist, dann können wir die doch alle zusammenwerfen: M1M2M3 und erhalten ein (vielleicht) größeres. Dies gilt nicht nur für unendliche Folgen, sondern ganz allgemein für Ketten in dieser Partialordnung (also Mengen paarweise vergleichbarer Elemente).

Beobachtung. Sei SM eine Kette in (M,), also eine Menge von Matchings, so dass für alle M1,M2S gilt: M1M2 oder M2M1. Dann ist

MSM

selbst ein Matching.

Wir gehen nun wie folgt vor: wir starten mit einem beliebigen M0M; solange dies nicht maximal ist, finden wir ein größeres: M1M0; und wieder und wieder. Dies ergibt im schlimmsten Fall eine unendliche Folge M0M1... Wir bilden nun M0:=M0M1, was wiederum ein Matching ist. Nun ist aber eventuell M0 wieder nicht maximal, und wir finden M1M0 und so weiter. Wir müssen also diesen "Schritt zur Unendlichkeit" wiederholen, selbst wiederum unendlich mal. Endet das irgendwann? Die Antwort ist "ja", allerdings brauchen wir dafür ein großes Geschütz:

Zornsches Lemma. Sei (X,) eine Partialordnung. Wenn jede Kette SX eine obere Schranke xX hat, dann enthält X mindestens ein maximales Element.

Wir sind nun fertig! Wir können das Zornsche Lemma auf (M,) anwenden und erhalten ein maximales Matching. Dies sättigt A oder B und gibt uns somit eine injektive Funktion AB oder BA.

Zornsches Lemma, Auswahlaxiom und die axiomatische Mengenlehre

Glauben Sie das, was das Zornsche Lemma besagt? Bei unendlichen Mengen verlässt und leider schnell die Intuition, oder schlimmer: sie wird trügerisch. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts tauchten in der Mathematik, insbesondere in der Analysis und Geometrie, mehr und mehr "paradoxe" Ergebnisse auf, die irgendwie "nicht wahr sein konnten". Man begann, an der mathematischen Intuition zu zweifeln und wollte ein genaues Regelwerk definieren, welche Rechen- und Beweisschritte in der Mathematik erlaubt seien. In moderner Sprache: wann wollte die gesamte Mathematik axiomatisieren. Treibende Kraft hinter diesem Vorhaben war der deutsche Mathematiker David Hilbert, und somit ist es auch als Hilbertprogramm bekannt. Das Bestreben, mathematisches Beweisen und somit auch Rechnen zu mechanisieren, trug maßgeblich zur Entwicklung der Informatik und des Computers bei.