FIS – Flüchtlinge in Sachsen
Seit dem Jahr 2011 sind Fluchtmigrationen in und nach Europa stark angestiegen und setzen die Europäische Migrationspolitik zunehmend unter Druck. Insbesondere die Ankunft von Bootsflüchtlingen auf der Mittelmeerinsel Lampedusa sowie die Entwicklungen auf der sog. Balkanroute haben beträchtliche mediale Aufmerksamkeit ausgelöst, gefolgt von öffentlichen Diskursen und politischem Druck auf EU-Ebene sowie in jenen Ländern, die mit weiterreisenden Flüchtlingen konfrontiert sind.
Bislang liegen nur wenige Forschungsergebnisse vor, die sich auf die lokalen Konsequenzen des wachsenden Flüchtlingszustroms richten. Die aufnehmenden Kommunen werden vor verschiedenste Problemlagen gestellt, angefangen bei den lagebedingten und baulichen Voraussetzungen für die Aufnahme von zusätzlicher Bevölkerung, über Fragen der sozialen Integration (z.B. Partizipation im Bildungswesen) bis hin zur Akzeptanz innerhalb der lokalen Bevölkerung. Die vermehrte Anwesenheit von Flüchtlingen und die Diskurse über Flüchtlingsaufnahme haben zu verschiedensten Reaktionsmustern geführt, z.B. zur Entstehung der xenophobischen Protestbewegung PEGIDA – aber auch zu neuen Bewegungen des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Migrantenselbstorganisation. Diese Entwicklungen dürften nicht zuletzt ein Resultat von migrationspolitischen Strategien sein, die Zuwanderer in gewünschte und unerwünschte Migranten unterteilt.
Unsere Forschungsinitiative „Flüchtlinge in Sachsen“ hat sich zum Ziel gesetzt, Anforderungen, Praktiken und Konsequenzen hinsichtlich der Aufnahme von Geflüchteten in Sachsen aus verschiedenen Sichtweisen zu untersuchen. Hierfür werden die Erfahrungen und Perspektiven sowohl von Geflüchteten als auch von den aufnehmenden Kommunen erforscht. Der Bogen spannt sich dabei von der integrativen und verwaltungstechnischen Auseinandersetzung auf kommunalpolitischer Ebene über Reaktionen innerhalb der lokalen Bevölkerung bis hin zur Wahrnehmung der Aufnahmesituation durch die Geflüchteten selbst. Unsere Forschungsinitiative trägt damit zu den übergreifenden Zielen der IMISCOE Forschungsinitiative „Refugees in European Localities: Reception, Perceptions and Policies“ bei, die durch Fallstudien in verschiedenen EU-Staaten eine vergleichende Analyse der Aufnahmebedingungen und -praktiken von Flüchtlingen in der Europäischen Union anstrebt.
Übersicht über Erhebungs- und Auswertungsverfahren der jeweiligen Perspektiven im Aufnahmeprozess
Administrative Aktivitäten und Strategien
Gegenstand ist neben der verwaltungstechnischen Perspektive auch die der handelnden Personen innerhalb der Verwaltungseinheiten. Angefangen bei den lagebedingten und baulichen Voraussetzungen, über Fragen der sozialen Integration bis hin zur Kommunikation mit der lokalen Bevölkerung. Hierbei kommen sowohl standardisierte Fragebögen als auch leitfadengestützte Interviews zum Einsatz. Ziel ist es dabei, Einblick in die gängigen Praktiken der administrativen Ebene und deren öffentliche Wirkung zu gewinnen.
Öffentlicher Diskurs auf kommunaler Ebene
In diesem Teil der Untersuchung geht es um das Aufzeigen von Reaktionsmustern der lokalen Bevölkerung. Zu diesem Zweck werden beispielsweise Einwohnerversammlungen, öffentlichen Stadtratssitzungen und Bürgersprechstunden besucht bzw. Dokumente oder Daten ausgewertet, welche in diesem Kontext entstanden sind. Darüber hinaus sollen Meinungsbilder der „digitalen Welt“ analysiert werden. Im Fokus stehen hier insbesondere eigens gegründete Regionalgruppen, die sich sowohl in Protestbewegungen als auch in Bewegungen des zivilgesellschaftlichen Engagements widerspiegeln. Als Erhebungsmethoden kommen teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtung, Gruppendiskussionen und leitfadengestützte Interviews zum Einsatz.
Aufnahmephase aus der Sicht von Geflüchteten
Gegenstand sind die persönlichen und gemeinschaftlichen Erfahrungen sowie Orientierungen von Geflüchteten während des Aufnahmeprozesses. Erforscht werden diese über offene, narrative Interviewformen und Beobachtungssequenzen in ausgewählten Einrichtungen. Zudem wird die Methode des walking interviews zum Einsatz kommen, die neben der offenen Gesprächsführung auch räumliche Aspekte in den Blick nimmt.
Aktuelles:
Campus
„Nach der Migration“
Die an der TU Chemnitz angesiedelte Forschungsinitiative „Flüchtlinge in Sachsen“ hat sich zum Ziel gesetzt, Anforderungen, Praktiken und Konsequenzen hinsichtlich der Aufnahme von Geflüchteten in Sachsen aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen. Am 01. Februar 2017 stellten Mitglieder der Initiative und weitere TU-Angehörige Ergebnisse ihrer bisherigen Forschung in einer öffentlichen Veranstaltung vor, um damit zur Vernetzung, zum Wissensaustausch und zur Diskussion zwischen Universität und Stadtgesellschaft beizutragen.
Weitere Informationen finden Sie in der „Uni aktuell“-Meldung.
Öffentliches Treffen der Forschungsgruppe „Flüchtlinge in Sachsen“
Im Rahmen eines öffentlichen Treffens der Forscher_innen-Gruppe nutzte am 20.01. ein interessiertes Publikum die Möglichkeit, sich über die Gruppe und erste vorläufige Ergebnisse der empirischen Erhebungen dreier Mitglieder zu informieren.
Robinson Dörfel berichtete über den Stand seiner Analyse des öffentlichen Diskurses auf kommunaler Ebene bezüglich des Aufnahmeprozesses von geflüchteten Menschen in Sachsen. Dabei thematisierte er insbesondere die Sicht der lokalen Bevölkerung.
Tina Walther präsentierte anschließend erste Ergebnisse einer ethnografischen Untersuchung, auf deren Grundlage sie unterschiedliche Perspektiven und Common-Sense-Theorien von Akteur_innen einer sächsischen Unterkunft für Asylsuchende herausstellte.
Abschließend stellte Martina Klaus ihre Erkenntnisse zur Perspektive eines Heimleiters auf die Asylbürokratie und deren Auswirkungen auf Asylantragsteller_innen dar, der den Prozess als Asylsuchender selbst durchlaufen hat.
Durch die Veranstaltung konnte die Arbeit der Gruppe einem breiterem Publikum bekannt gemacht und zugleich die universitäre Vernetzung von am Themenkomplex interessierten Personen fortgeführt werden.