Projekt: Universitätsgeschichte
Memorandum zur Erarbeitung einer neuen Universitätsgeschichte
erarbeitet: 12.11.1999
In jüngster Zeit wird sehr viel über "Corporate-Identity" gesprochen bzw. davon, wie eine solche entwickelt bzw. weiter ausgeprägt werden soll. Wesentliche Punkte hierzu sind in der Entwicklungskonzeption 1999 der Technischen Universität Chemnitz verankert. M. E. wird aber in der Diskussion immer wieder zu sehr auf zukünftige Entwicklungen reflektiert und dabei die Vergangenheit vergessen. Natürlich ist es richtig, die Leitlinien der Wissenschaftspolitik der Universität an den Erfordernissen der Gegenwart und Zukunft auszurichten, Forschungsrichtungen zu erarbeiten bzw. neu festzulegen, sind doch dies originäre Aufgaben der Universitäten und Hochschulen. Ist es aber nicht ebenso wichtig, die Wurzeln, Traditionen und Stärken der eigenen Einrichtung zu kennen? Müsste nicht einmal viel stärker herausgearbeitet und auch vermittelt werden, welche herausragenden Leistungen auf den Gebieten der Mikroelektronik, der Informatik, der Mathematik oder den Naturwissenschaften, wie in der Konzeption in der Einleitung angesprochen, erreicht wurden, aber auch welche Bedeutung die Einrichtung schon vor 1945 in Deutschland hatte? Es reicht nicht aus, auf die mehr als 160jährige Tradition in Forschung, Lehre und Technologietransfer zu verweisen, sondern diese muss erleb- und nachvollziehbar gestaltet werden. Es muss ein eigenständiges Profil der Universität geschaffen werden, dessen Bild über mehr als 5 Jahre Bestand hat. Dazu muss man in die Zukunft schauen, die Vergangenheit befragen und darüber hinaus um die Genese der technischen Ausbildung in Deutschland wissen.
Keine einzige der Technischen Universitäten oder Technischen Hochschulen wurde zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts als Hochschule oder Universität gegründet. Diesen Status erhielten die technischen Bildungsstätten weitestgehend erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Unsere Universität bekam den Hochschulstatus erst mit der Neugründung der Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt im Jahre 1953. Bis dahin war sie zwar eine Mittelschule, hatte aber unter diesen in Deutschland, zumindest bis 1945, eine herausragende Sonderstellung inne. Diese manifestierte sich in der, gegenüber anderen Mittelschulen, längeren Ausbildungsdauer, aber auch am Stellenwert der Forschung bzw. der Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung der Absolventen. Der Hochschulstatuts wurde ihr lediglich infolge des starken Widerstandes der Dresdner Schwestereinrichtung am Ende des vergangenen Jahrhunderts verweigert. Quasi als Beruhigung wurde der Chemnitzer Einrichtung im Jahre 1900 der Name Gewerbeakademie verliehen, um sie so von den anderen Mittelschulen mit der Namensgebung abzuheben. Welche Bedeutung die damalige Gewerbeakademie für die Stadt Chemnitz hatte, zeigt die Gestaltung des Neubaus des Chemnitzer Rathauses im Jahre 1911. Hier wurden im Treppenhaus versinnbildlicht die verschiedenen bedeutenden Zweige des gesellschaftlichen Lebens im damaligen Chemnitz dargestellt, u.a. die Wissenschaft - gemeint war damit die Königlich Sächsische Gewerbeakademie Chemnitz.
Nun sind Jubiläen immer ein beliebter Anlass, um Darstellungen zur eigenen Geschichte zu erarbeiten. Dies ist in der Vergangenheit auch an unserer Einrichtung geschehen. Die Letzte wurde im Jahre 1986 zum 150jährigen Bestehen der Gewerbschule Chemnitz und der damit einhergehenden Statusverleihung Technische Universität erarbeitet. M.E. unterliegen aber alle jüngeren bisher erarbeiteten Darstellungen zur Geschichte der Technischen Universität Chemnitz entweder einer sehr einseitigen Ausrichtung und Betrachtungsweise bzw. sind nur sporadisch auf der Grundlage der vorhandenen Quellen erarbeitet worden. Die etwas umfangreicheren Darstellungen zur Geschichte unserer Einrichtung wurde bekanntlich unter der einengenden Doktrin der DDR-Historiographie verfasst, und dementsprechend wurden auch die Wertungen und Wichtungen getroffen. Darüber hinaus sind in den bisherigen Darstellungen die der Technischen Universität Chemnitz angegliederten Ingenieur- und pädagogischen Schulen wenig bzw. gar nicht berücksichtigt worden.
Im Jahre 2003 jährt sich zum 50. Male die Gründung der Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt und im Jahre 2011 zum 175. Male die Gründung der Gewerbschule Chemnitz. Diese beiden Daten sollten Anlass sein, um unsere Hochschulgeschichtsforschung voranzutreiben, evtl. sogar in mehreren Etappen.
Da von vielen Repräsentanten der Universität das Fehlen einer Überblicksdarstellung immer wieder beklagt wird, sollte die Erarbeitung einer solchen an erster Stelle stehen. Als Ergebnis stelle ich mir eine reichlich bebilderte Fassung mit aussagekräftigen Texten zur Entwicklung von Forschung und Lehre, von Lehrkörper und Studenten in den verschiedenen Entwicklungsstufen der Hochschule vor. Diese Darstellung sollte in einem populärwissenschaftlichen Stil verfasst sein und sich an die allgemeine Öffentlichkeit sowie an Angehörige der Technischen Universität Chemnitz wenden. Damit wäre dann eine Publikation vorhanden, die bei Tagungen an auswärtige Gäste vergeben werden könnte, um einen Überblick über die Geschichte unserer Einrichtung zu geben, die aber andererseits durchaus dazu beitragen könnte, bei den Angehörigen der Universität eine "Corporate-Identity" zu entwickeln bzw. diese weiter auszuprägen. Indem aufgezeigt wird, dass die Einrichtung nicht nur in den beiden vergangenen Diktaturen in gewisser Weise missbraucht wurde, sondern dass an dieser Einrichtung zu allen Zeiten auch Hervorragendes in Forschung und Lehre geleistet wurde, könnte auch ein gewisser Stolz entwickelt werden, an gerade dieser traditionsreichen Stätte technischer Bildung zu studieren, studiert zu haben oder zu arbeiten bzw. gearbeitet zu haben.
Ich könnte mir hier auch sehr gut Publikationen zu Teilbereichen vorstellen, z.B. eine zum historischen Überblick allgemein, eine zum Lehrkörper insgesamt bis zu einem bestimmten Zeitabschnitt, ohne dabei Bestimmungen des Datenschutzes zu verletzen, eine weitere zu berühmten Lehrern und Schülern mit ihren entsprechenden Leistungen oder auch eine zur Geschichte der Gebäude und Denkmale der Einrichtung. All dies müsste aber völlig neu erarbeitet werden, wobei natürlich das Vorhandene als Grundlage dienen soll, aber unter breiterer Ausnutzung der im Universitätsarchiv noch kaum genutzten Unterlagen. Es würde m.E. das Ziel bei weitem verfehlen, wenn wieder nur das bereits Publizierte neu und unter einem anderen Gesichtspunkt zusammengefasst werden würde. Dafür wurden bisher zu wenige der vorhandenen Quellen herangezogen.
In der zweiten Etappe könnte dann eine, auf fundierter Quellenbasis erarbeitete Geschichte der Einrichtung, ein die Jahre überdauerndes historisches Nachschlagewerk für alle, die sich mit der Geschichte unserer Einrichtung und der technischen Bildung im westsächsischen Raum überhaupt beschäftigen, entstehen. Dazu bedarf es einer auf den Arbeiten der ersten Etappe aufbauenden intensiven Recherchearbeit in den lokalen Archiven. Der Erschließungszustand der Bestände im Universitätsarchiv müsste in diesem Zusammenhang auf diese Form der Nutzung hin verbessert werden. Vor allem betrifft das Bestände nach dem Entstehungszeitraum 1968. Aber auch die älteren Bestände sind momentan nicht in einem den modernen Anforderungen genügenden Zustand. Dieser ist nur mit zusätzlichen Projektmitteln herbeizuführen, die aber im engen Zusammenhang mit den entsprechenden Forschungsprojekten zur Erforschung der jeweiligen Teilaspekte eingebunden werden könnten. Zur möglichen Form der Publikation, zum möglichen Aufbau usw. möchte ich mich jetzt noch nicht äußern, auf jeden Fall würde ein mehrbändiges Werk erstrebenswert sein.
In diese zweite Etappe sollten alle Fakultäten und Fachbereiche, unter Federführung des Fachbereiches Geschichte, involviert werden, um mit den jeweiligen Fachkenntnissen auch die wichtigsten wissenschaftlichen Leistungen herauszufiltern und darzustellen. M. E. wäre dann eine in sich schlüssige Darstellung anzustreben und nicht aneinandergereihte Beiträge der jeweiligen Spezialisten. Dazu bedarf es einer Koordination, die wohl am besten durch eine Senatskommission oder eine vom Rektor eingesetzte Arbeitsgruppe zu bewerkstelligen wäre.
Da der erste Termin 2003 quasi vor der Tür steht und die selbst für die erste Etappe sehr umfangreiche Forschungs- und Erschließungsarbeit eine große ist, darf mit dem Beginn der Arbeiten nicht mehr sehr lange gezögert werden. Aus diesem Grunde möchte ich als Archivar, quasi Hüter der schriftlichen Überlieferung, die Anregung zu diesem großen Projekt geben zumal ein Archiv nicht nur Hüter der Überlieferung sein soll, sondern gleichzeitig die Pflicht hat, diese auch einer Öffentlichkeit zugänglich machen. Wenn dies auch noch identitätsstiftend wirken könnte, wäre ein zweifacher Zweck erreicht.
In diesem Zusammenhang sei es mir gestattet, noch auf ein ähnlich gelagertes Problem zu sprechen zu kommen. Mit der sich nahenden Jahrtausendwende mehren sich erfreulicher weise die Absolvententreffen. Auf diesen Treffen wird jedoch immer wieder bemängelt bzw. kritisch angesprochen, dass es an der Technischen Universität Chemnitz keinen Ort gibt, wo die Geschichte der Einrichtung anschaulich dargestellt ist. Mit meinem Eintritt in die Universität im Jahre 1995 konnte ich lediglich die Überreste des damals in Auflösung begriffenen Historischen Kabinetts sichern. M. E. wäre es sehr gut für die Identitätsstiftung und die Imagewerbung der Universität, wenn es wieder eine solche Anlaufstelle, die ich in der Wiedererrichtung einer Kustodie sehe, gäbe. Im Zuge der Erarbeitung der Geschichte der Einrichtung könnte auch eine neue Konzeption für diesen Bereich entstehen. Traditionell waren an der alten Akademie die Sammlungen in den technischen Bereichen sehr stark ausgeprägt. Überreste dieser und neu hinzugekommene Erwerbungen finden sich teilweise auch heute noch in den Fakultäten. Zum großen Teil werden diese Gegenstände von Mitarbeitern neben der eigentlichen Arbeit mit viel Mühe gepflegt. Bei der immensen Arbeitsbelastung der betreuenden Mitarbeiter ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis nach den großen Kriegsverlusten weitere eintreten, wenn keine zentrale Stelle innerhalb der Universität vorhanden ist, die sich ihrer annimmt. Die Universität hat m. E. die kulturhistorische Aufgabe, auch diese gegenständlichen Sachzeugen zu bewahren und für Forschung und Bildung zugänglich zu machen.
Dipl.-Archivar Luther
12.11.1999
Anlage
Festschriften Technische Universität und Vorläufer
- Königliche Gewerbeakademie Chemnitz, Festschrift zur Jubel-Feier 1836-1911
- Jahresbericht der Technischen Staatslehranstalten in Chemnitz für das Schuljahr 1910-1911
- Staatliche Akademie für Technik Chemnitz 1836-1936
- Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt.
Zur Einweihung des Institutsneubaus an der Straße der Nationen am 11. September 1957 - Von der Königlichen Gewerbschule Chemnitz zur Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt 1836-1961
- Vorgeschichte und Anfänge der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt 1836-1945-1953-1963
- Die Technische Hochschule Karl-Marx-Stadt in der Zeit von 1963 bis 1975
- Königliche Gewerbschule Chemnitz 1836 - Technische Hochschule Karl-Marx-Stadt 1986
- 100 Jahrfeier der Staatsbauschule Chemnitz 1837-1937
- Festschrift der Königlichen Maschinenbau-Schule zu der 75-Jahrfeier der Technischen Staats-Lehranstalten Chemnitz 6.-8.Mai 1911
- Höhere Webschule zu Chemnitz 1857-1907
- Programm der höheren Webschule zu Chemnitz 1882 dem Jahre des 25jährigen Bestehens der Anstalt
- 75 Jahre Sächsische Höhere Fachschule für Textil-Industrie Chemnitz 1857-1932
- Sächsische Höhere Fachschule für Wirkerei- und Strickerei-Industrie Chemnitz 1882-1932
- Ingenieurschule für Textilindustrie Karl-Marx-Stadt
- 100 Jahre Ingenieurschule für Textilindustrie Karl-Marx-Stadt
- Geschichte der Pädagogischen Hochschule "Ernst Schneller" Zwickau 1989.
- Fünfjahresschrift 1959 - 1964
- Höhere Deutsche Fachschule für Metallbearbeitung und Installation zu Aue i. Sa. Festschrift zum Fünfzigjährigen Bestehen 1877-1927
- Chemnitzer Bezirksverein Deutscher Ingenieure 1886-1911
- Jahresberichte 1837 - 1949
- Abhandlungen und Berichte der Technischen Staatslehranstalten zu Chemnitz Heft 1- 6
- Hochschulspiegel von 1958 1998