0 0
 
 

Seit dem regresso a casa im Jahr 1974, der Rückkehr nach Europa nach fünf Jahrhunderten der nationalen Expansions- aber auch Isolationspolitik, hat es in Portugal tief greifende strukturelle Veränderungen gegeben: Aus der alten, traditionellen, verschlossenen Gesellschaft ist eine moderne, offene, postkoloniale und europäische Nation geworden.

Nationen können sich verändern, neue Tendenzen, Mythen und Ängste erschaffen und alte ablegen, aber sie sind gleichzeitig auch Formen kollektiver Organisation, die auf einer gemeinsamen historischen Erfahrung und historischen Kontinuität basieren. Das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Mitgliedern einer Nation wird von der Erinnerung gestützt, die sie teilen; an was erinnert wird gilt als vereinbarte Identität.

Dieser Text analysiert zwei große Prozesse des öffentlichen Erinnerns in Portugal. Die beiden Ereignisse zeigen, wie der portugiesische Staat Symbole und Mythen einsetzte, um die nationale Identität zu festigen. Es handelt sich zum einen um die Feier des so genannten duplo centenário (dt.: doppelte Gedenkfeiern) im Jahr 1940 und damit verbunden die Exposição do Mundo Português (dt.: Ausstellung der Portugiesischen Welt), die ganz im Sinne Salazars und des Estado Novo das Bild eines ländlichen, christlichen, spirituellen, multikontinentalen und vielrassigen Portugals festigen sollte. Zum anderen die 500. Jahrfeier der portugiesischen Entdeckungen und damit verbunden die Expo '98, bei der dieselbe nationale Vergangenheit wie 1940 gefeiert wurde, jedoch unter ganz anderen Umständen und aus vollkommen anderen Gründen. Diesmal wollte man das neue, moderne, kapitalistische, offene und europäische Portugal feiern. Deutlich werden in beiden Fällen Veränderungen bzw. Kontinuität in der Art und Weise, wie nationale Identität erschaffen wird. Darüber hinaus gleichen sich viele der verwendeten Symbole, trotz der unterschiedlichen Kontexte, in denen die beiden Ereignisse stattfanden.

Duplo centenário

Belém ist das Symbol des Aufbruchs: Von hier stachen im 15. Jahrhundert die Karavellen der portugiesischen Entdecker in See, hier unterschrieb Mario Soares 1985 den Beitrittsvertrag zur Europäischen Gemeinschaft, hier befindet sich das Centro Cultural de Belém (CCB), gebaut als Sitz der ersten portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft 1992. Und hier finden sich auch besonders viele Spuren des kollektiven Gedächtnisses.

Der Stadtteil ist im Westen Lissabons gelegen, dort, wo der Tejo in den Atlantik mündet. Dieses Gebiet war in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts bedeutenden Veränderungen unterworfen, deren Ziel es war, ein nationales historisches Szenarium für die Feierlichkeiten des Estado Novo anlässlich des Jahres 1940 zu schaffen. In diesem Jahr wurde in Portugal ein dreifacher Jahrestag gefeiert: die Gründung der Nation (1140), die Wiederherstellung der Unabhängigkeit (1640), sowie der Höhepunkt der maritimen Expansion (1540). Jedoch lag das Hauptaugenmerk auf den beiden ersteren Ereignissen und so sind die Feiern als duplo centenário bekannt geworden.

Man feierte die Nation und die wichtigen historischen Errungenschaften Portugals mit der Absicht, den Massen ein Gefühl der Ergebenheit zur Heimat und Vertrauen in die neue Regierung einzuflößen. Das Ziel der Feierlichkeiten war explizit patriotisch, und die Organisatoren sorgten dafür, dass kein Besucher dies vergaß. Die Exposição do Mundo Português beabsichtigte, neben anderem, die Besucher zu lehren, wie man portugiesisch ist:

"Es geht nicht einfach darum, die Traditionen zu kennen und die Unsterblichkeit unserer Rasse zu lieben, sondern auch ihren Appell zu spüren und ihrer Stimme zu vertrauen, die aus der Vergangenheit zu uns spricht, um uns die Gegenwart zu lehren. Es geht nicht nur darum, Ruhm zu sammeln, sondern darum, ihn zu verbreiten und zu leben. Es geht nicht nur um Lob und Bewunderung, sondern auch um Glauben. (...) Zu wissen, dass man Portugiese ist, ist Stolz und Ideal, ist Hingabe und Ekstase, Aufopferung und Verzückung. Die Aufgabe dieser Ausstellung könnte nichts anderes sein."[1]

Die Feierlichkeiten wurden gleichzeitig verstanden als patriotische Ergebenheit an die Vorfahren und als ein

"grandioser Akt des Glaubens...an unsere Lebens- und Schöpfungskraft, an die Zukunft Portugals und an die Fortführung seiner Vergangenheit (...) Vor allem sind wir hier, um den ewigen Werten der Heimat Vertrauen zu schenken."[2]

Die Nation war der größte, einende Wert der Gemeinschaft. Das Jahr 1940 wurde gefeiert als das heilige Jahr der nationalen Familie, und alle hatten die moralische Verpflichtung, daran teilzunehmen. Das Regime stärkte die Nation als eine natürliche Einheit und feierte, zur selben Zeit, sowohl die Eliten der Vergangenheit, die Portugal groß gemacht hatten, wie auch die aktuellen Führer als eine Garantie der gegenwärtigen und zukünftigen Überlegenheit Portugals. Die Exposição do Mundo Português war der Höhepunkt des heiligen Jahres und laut Salazar

"eine Synthese unserer zivilisatorischen Leistungen, unseres Einflusses in der Weltgeschichte, um all die Spuren aufzuzeigen, die Portugal auf dem Globus hinterlassen hat".[3]

Belém wurde als Schauplatz der Ausstellung gewählt, da sich hier einige der ältesten und symbolisch bedeutsamsten nationalen Denkmäler der zu erinnernden Vergangenheit befinden. Dabei handelt es sich vor allem um das Mosteiro dos Jerónimos (dt.: Hieronymuskloster) und den Torre de Belém (dt.: Turm von Belém), beide vom Anfang des 16. Jahrhunderts, und das Denkmal für Afonso de Albuquerque (1901).

Mit Blick auf die Ausstellung nahm die Salazarregierung radikale Veränderungen im Erscheinungsbild Beléms vor. Teile des Viertels wurden zerstört um den Ausstellungspavillons Platz zu schaffen und um die bereits bestehenden Bauwerke (Kloster und Turm) zu betonen. So wurden z.B. eine Gasfabrik um den Torre herum und Gebäude vor dem Mosteiro, die vom Fluss aus den Blick aufs Kloster versperrten und vermeintlich den Wert des Gebäudes minderten, abgerissen.

Praça do Império

Im Zentrum des ehemaligen Ausstellungsgeländes befindet sich die Praça do Império, (dt.: Platz des Imperiums), damals einer der größten Plätze Europas und ein charakteristisches Kennzeichen der Exposição do Mundo Português. Die Praça do Império war ein Schauplatz der Inszenierung nationaler Identität, der ohne tief greifende Veränderungen bestehen blieb und damit bis heute das Bild bewahrt, das für die Exposição do Mundo Português geschaffen wurde. Der Platz beherbergte die zwei wichtigsten Pavillons der Ausstellung, den Pavilhão de Honra e de Lisboa (dt.: Ehrenpavillon und Pavillon Lissabons) und den Pavilhão dos Portugueses no Mundo (dt.: Pavillon der Portugiesen in der Welt). Diese Pavillons waren so angelegt, dass sie sowohl bei Sonnenaufgang wie auch bei Sonnenuntergang das Kloster betonten. Das Mosteiro war Ausgangspunkt und treibende Kraft für das städtische Wachstum Beléms; von hier aus wurde seit jeher der öffentliche Raum erschlossen, immer im Hinblick auf das Kloster. Bei der Exposição do Mundo Português war dies nicht anders, das Kloster wurde auch hier zum zentralen Element der Ausstellung. Sinnbildlich repräsentiert das Bauwerk die erste Seereise nach Indien durch Vasco da Gama unter dem Mandat des Königs Manuel I. im Jahre 1498. Es war der wichtigste Schauplatz der Ausstellung und ein Beispiel für das Bestreben des Estado Novo, jegliches Denkmal von allen (umgebenden) Elementen zu befreien, die seinen Wert mindern könnten, auch wenn dies unangebrachte Zerstörungen im Stadtgefüge bedeutete. Die Bemühung, das Hieronymuskloster zu betonen, zeigt sich in der Bauweise der Praça do Império: Es gibt nur kleine Bäume am Rand des Platzes und es wurden rein symmetrische Achsen und Bodenkacheln verwendet. So entsteht ein statischer, rein wirkender Raum, der den Blick nicht vom Kloster ablenkt.

In der Mitte des Platzes befindet sich ein beleuchteter Springbrunnen mit kreisförmigem Grundriss, die Fonte Luminosa (dt.: Leuchtender Brunnen), inmitten eines viereckigen Wasserbeckens. Der Rand des Brunnens wird durch ein Steinband geschmückt, bestehend aus den Wappen jener Familien, die maßgeblich zur Expansion beigetragen haben.[4]

Insgesamt fällt die symbolische Verwendung des Wassermotivs auf. Dies verwundert nicht, da die Hinwendung zum Meer eine typische Eigenheit der portugiesischen Identität darstellt, die auch während der Exposição do Mundo Português im Mittelpunkt stand:

"Das Wasser bildet das Basiselement all unserer großartigen überseeischen Odysseen."[5]

Die komplette Ausstellung und alle verwendeten Symbole waren sorgfältig ausgewählt worden. Sie sollten die portugiesische Geschichte so erzählen, dass alle Mitglieder der Nation sich mit ihr identifizieren konnten. Gleichzeitig sollten sie eine ruhmreiche Vergangenheit aufzeigen und das Versprechen einer glorreichen Zukunft geben, die nur das aktuelle Regime sichern könnte.

Kolonialausstellung

Ein weiterer Hauptbereich der Ausstellung war die Kolonialabteilung. Der angeblich anti-rassistische, soziale und universelle Charakter des Imperiums war den meisten Portugiesen schon aus Schulbüchern bekannt. So fand man darin zum Beispiel das Bild der Mutter Nation, die ihre zwei Söhne - einer weiß, der andere schwarz - in den Armen hält. Ungeachtet der Idee eines multikontinentalen und multirassischen Portugals reflektierte die Homogenität des Mutterlandes diese Vielfalt nicht, da die "fremden Anderen" weit entfernt blieben. Deswegen war eine der größten Attraktionen der Exposição do Mundo Português die Nachbildung verschiedener Indianerdörfer aus allen Teilen des Imperiums, die in den Flugblättern beworben wurden als ein:

"wunderbares Szenarium unserer Besitzungen in Übersee, real durch die Präsenz ihrer Ureinwohner".[6]

Padrão dos Descobrimentos (dt.: Denkmal der Entdeckungen)

Das Salazar-Regime sah sich als Erzieher und Missionar der so genannten 'zurückgebliebenen Rassen', der den Völkern Afrikas, Asiens und Amerikas das Licht der christlichen Zivilisation gebracht hatte und den Namen Portugals in alle Welt trug.[7] Die mythische Figur Heinrichs des Seefahrers diente dabei als nationale Legitimation und symbolisierte den Beginn der portugiesischen Verbreitung der Zivilisation in der neuen Welt. Infante Dom Henrique (dt.: Heinrich der Seefahrer) war eine unvermeidliche Figur in der offiziellen, künstlerischen Thematik des Regimes. Dieses förderte sein Bild als treibende Kraft der Entdeckungen und behandelte ihn als nationale Ikone in verschiedenen kulturellen Initiativen.

Auch diese Erinnerung wurde durch ein Denkmal lebendig: den monumentalen Padrão dos Descobrimentos. Er war der Schlussstein der Praça do Império und sollte sozusagen eine Zusammenfassung der gesamten Ausstellung werden. Das heutige Denkmal wurde im Zuge der offiziellen Feierlichkeiten 1960 zum 500. Jahrestag des Todes von Infante Dom Henrique eingeweiht. Eine erste Version entstand bereits 1940. Das Seefahrerdenkmal war die Krönung der Ausstellung und befand sich gegenüber dem Kloster am Tejo.

Am Denkmal finden sich vielfältige Symbole, u. a. für die Verbreitung des Glaubens und die Eroberungen durch das Christentum: die Darstellung von Waffen, vor allem das riesige Kreuz in Form eines Schwertes, das die komplette Vorderseite des Denkmals einnimmt.

Das Denkmal von 1960 befindet sich an exakt derselben Stelle wie das Denkmal von 1940. Hinzu kam auf dem Platz vor dem Padrão eine riesige Windrose aus Marmor, ein Geschenk der Regierung Südafrikas, die alle Entdeckungsfahrten der Portugiesen bildlich darstellt.

Afonso de Albuquerque

Das Denkmal für Afonso de Albuquerque befindet sich in der Mitte der Praça Afonso de Albuquerque (dt.: Platz Afonso de Albuquerque). Die Bronzestatue repräsentiert den Krieger und Vizekönig Indiens von 1506. Halbreliefs zeigen Kanonenkugeln, Seile und Schiffstaue. Auf der Stirnseite des Sockels, der die Statue trägt, werden Taten des Vizekönigs gezeigt sowie Elefanten, die allegorische Figuren tragen. Die geflügelten Figuren, die sich auf dem Unterbau finden, repräsentieren die Tugenden des Kriegers und Gouverneurs. Das Denkmal wurde 1901 eingeweiht und komplett aus Privatmitteln finanziert.

Später war der Park um das Denkmal herum Gegenstand einer Umgestaltung im Zuge der Exposição do Mundo Português, als vier weibliche Figuren zur Dekoration aufgestellt wurden.

Bedeutung des duplo centenário

Teil des ideologischen Diskurses des Estado Novo war das Bestreben, den nationalen Antrieb wieder zu beleben und anzuwenden. Dazu wurden, sofern nötig, Orte der Erinnerung erfunden und versucht, deren symbolischen Wert in öffentlichen, feierlichen Akten aufzuzeigen. Die Wiederherstellung und Neufindung der historischen Vergangenheit war ein wichtiger Prozess des ideologischen Apparats des Regimes. Es handelte sich bei der Exposição do Mundo Português also um eine Ausstellung, die dem nationalen Zusammenhalt dienen sollte und die Salazars Grundsatz der "stolzen Einsamkeit"[8] folgte. 1940 wurden die Tugenden der "zivilisierenden Rasse" gefeiert und so die imperialistische Natur des damaligen portugiesischen Regimes legitimiert.

Die nächste größere Veränderung im Stadtbild Beléms fand erst Ende des 20. Jahrhunderts statt: Als Portugal 1992 zum ersten Mal eine EU-Ratspräsidentschaft übernahm, wurde auf dem Gelände des ehemaligen Pavilhão dos Portugueses no Mundo das Centro Cultural de Belém (dt.: Kulturzentrum von Belém) als Sitz der Präsidentschaft eingeweiht. Das Gebäude des CCB besteht aus einfachen, unregelmäßigen, geometrischen Formen, die ebenso wie das Pflaster der Praça do Império und das Hieronymuskloster das Licht reflektieren und so große Leuchtkraft besitzen. Heute hat es vor allem kulturelle Funktionen: Es bietet Ausstellungsräume, Säle für Theater, Ballett, Konzerte, etc.

Durch diesen bewussten Eingriff in einen stark von der alten Diktatur geprägten Raum wurde versucht, die propagandistischen Zeichen der Ausstellung abzuschwächen. Jedoch wurde das Repertoire von Bildern und Mythen, die der Estado Novo benutzte, um durch sie das koloniale Imperium zu legitimieren, viele Jahre später beim Wandel zu einer postkolonialen Gesellschaft erneut instrumentalisiert: bei der Expo '98.

Os Oceanos, um património para o futuro - Die Expo '98

"Welcome to Portugal, a country with a history of many centuries, a language spoken by many people, a culture of many horizons. A European, Atlantic and Mediterranean country. The country which greets you, is a country of freedom, open to modernisation, a nation which left its imprint and many memories in all continents and made the sea its own destiny because, as Fernando Pessoa once put it: 'It heard the present sound of that future / the voice of the earth longing for the sea.'"[9]

Die Umsetzung einer Weltausstellung in Lissabon folgte den Vorschlägen der Comissão para a Comemoração dos Descobrimentos Portugueses (dt.: Ausschuss zur Feier der Portugiesischen Entdeckungen), deren Intention es war, die historische Bedeutung der portugiesischen Entdeckungen vom Ende des 15. Jahrhunderts darzustellen und zu würdigen.

Vasco da Gama

Als Lissabon Gastgeber der ersten Weltausstellung des Landes, der Expo '98 war, wurde die 500 Jahrfeier der Ankunft Vasco da Gamas in Indien zum zentralen Anlass genommen, die portugiesische nationale Identität neu zu interpretieren und zu präsentieren.

Die Ikonographie da Gamas und des Goldenen Zeitalters der maritimen Entdeckungen Portugals durchdrang zum einen offizielle kulturelle Veranstaltungen während der Ausstellung und lenkte so das Augenmerk auf die Relevanz der Vergangenheit des Landes für seine gegenwärtige und zukünftige Rolle in der europäischen und globalen Politik und Wirtschaft. Zum anderen hatte sie auch erheblichen Einfluss auf urbane Entwicklungen und Veränderungen im Stadtgefüge.

Am Ende des 330 ha großen Expo-Geländes, voll spektakulärer postmoderner Architektur, überspannt die neue Ponte Vasco da Gama, die längste Brücke Europas, den Tejo. Nahe der Brücke reckt sich das hervorstechendste Bauwerk des Stadtteils, der Torre Vasco da Gama, einige 100 Meter gen Himmel. Über dem Haupteingang des Messegeländes, gleich neben dem neu erbauten Bahnhof, der Estação do Oriente (dt.: Ostbahnhof), öffnete mit dem Centro Comercial Vasco da Gama (dt.: Einkaufszentrum Vasco da Gama) ein neues Einkaufsparadies seine Pforten.

Veränderungen gab es jedoch nicht nur auf und um das Messegelände herum, sondern in ganz Lissabon. Symbole früher portugiesischer Schiffe (caravelas und naus) tauchten im gesamten Stadtbild auf. An Bussen, Plakatwänden und Magazinen bewarben Vasco da Gama und seine Schiffe verschiedenste Produkte, von Bier über Versicherungen bis hin zu Büromöbeln.

Bedeutung der Expo '98

Offizielle Gedenkfeiern, die die Vergangenheit neu deuten, kollidieren häufig mit älteren Erinnerungen. Die Expo und die damit verbundenen 'historischen' Veranstaltungen in Lissabon bildeten dabei keine Ausnahme. Obgleich das Grundthema der Ausstellung und der damit verbundenen Debatten der ökonomische und politische Status des Landes in der zeitgenössischen Gesellschaft war, bildete dennoch die Vergangenheit die Basis.

Man nutzte die Ausstellung als Gelegenheit, die aufgearbeitete Darstellung des zeitgenössischen portugiesischen Nationalbewusstseins zu zeigen - ein positives Bewusstsein, das den neuen europäischen und globalen Ordnungen und Werten gerecht würde.

Portugals Geschichte wurde genutzt, um das Land als transnationalen Vermittler, als Moderator des Dialogs und der Kommunikation zwischen den Völkern, den Kulturen und Nationen der Welt zu legitimieren. Betont wurde auch die Funktion Portugals als Brücke zwischen Ost und West, sowie Nord und Süd.

So sagte Mega Ferreira, Kommissar der Expo, im Vorfeld der Weltausstellung, dass die ideologische und kulturelle Position dieser Ausstellung bewusst anti-nationalistisch sei. Sie verleugne nicht die Vergangenheit, lehne jedoch jeden Diskurs über das Erbe der Ozeane als rein nationales Erbe Portugals ab. Das Interesse an der Thematisierung der Ozeane läge nicht darin, die Herrlichkeit der portugiesischen Entdeckungen wachzurufen, sondern die Herrlichkeit der Beziehung der Menschheit zur See als universelles Erbe darzustellen.

Dieser Anspruch auf Universalismus war Anstoß zu vielfältiger Kritik, aus allen politischen Lagern. Es gab anonyme Protestschreiben an die Kommission, die Vasco da Gama als großen Übergangenen der Ausstellungen bezeichneten und Erklärungen für diese Tatsache forderten. Ohne offizielle Darstellung der zentralen historischen Figur entstünde der Eindruck, dass da Gama versteckt oder minimiert würde, aus Scham darüber, gerechtfertigten Nationalstolz zu zeigen. Selbst im wichtigsten Ausstellungsgebäude der Expo, dem Pavilhão Português (dt.: Portugiesischer Pavillon), war kein Hinweis auf ihn zu finden.

Der Pavilhão Português

Architektonisch ist der portugiesische Pavillon eine post-moderne Konstruktion im Zentrum des Messegeländes, gestaltet von Álvaro Siza Vieira, um die Modernität und die Universalität der Kultur Portugals zu betonen. Die Ausstellungen und Inhalte des Pavillons waren ganz der Darstellung des portugiesischen Beitrags zur Entdeckung der Ozeane und der Navigation gewidmet.

Hauptbestandteil war eine technisch aufwändig produzierte, digitale Multimediapräsentation, genannt A viagem (dt.: Die Reise), die das Zeitalter der Entdeckungen hervorheben sollte, indem sie sowohl Bilder eines multirassischen, geschäftigen Hafentreibens Lissabons, als auch die heroischen Kämpfe der alten Seefahrer gegen die Gefahren der Seereisen erneut zum Leben erweckte. Schlussendlich zeigte die Präsentation die letzte der 'Entdeckungen', die Ankunft der Portugiesen in Japan im Jahre 1543.

Die Wahl der 'Entdeckung' Japans war politisch und unterstrich das ideologische Ziel der Messe, da Japan, eine prestigeträchtige und wirtschaftlich mächtige Nation, nie von den Portugiesen kolonialisiert wurde. Dadurch wurden kontroverse Assoziationen anderer, bekannterer Entdeckungen und späterer Kolonien Portugals in Indien, Brasilien und Afrika und den damit verbundenen Kolonialkriegen vermieden. Oberthema des Pavillons sollte die Entdeckung der Ozeane, nicht Kolonialisierung und Fremdherrschaft sein.

Kritik an der Ausstellung kam auch aus linken Kreisen der portugiesischen Gesellschaft. Hier nahm man Anstoß daran, dass die Ausstellung von 1998 unbequeme historische Fakten über die Entdeckungen und den Imperialismus unter rosaroten Ausdrücken wie 'kulturelle Begegnung' und 'interkultureller Austausch' begraben habe. Auch dass Portugal nur 24 Jahre zuvor noch die letzten Kolonialkriege Europas ausgefochten hatte, fand - so die Kritiker - in keiner Weise Beachtung.

Trotz all dieser Kritik war die Expo '98 ein großer Erfolg. Nicht nur entstand ein neuer, moderner Stadtteil, der noch heute zur Bereicherung des kulturellen, urbanen und touristischen Lebens Lissabons beiträgt; für die portugiesische Bevölkerung war die Ausstellung auch ein Ereignis gemeinsamer Politik, das ihnen Kraft gab und die Erinnerungen und Erfahrungen der gemeinsamen Vergangenheit betonte.

Zusammenfassung

Sowohl auf der Exposição do Mundo Português als auch auf der Expo '98 präsentierte sich Portugal der Welt - und sich selbst. Die Weltausstellung 1998 formulierte die Schlüsselthemen der Ausstellung von 1940 neu: Portugal wurde als eine große Nation bedeutender Seefahrer dargestellt, deren Wirkungsfeld nicht nur Portugal und Europa war, sondern der ganze Globus. Dadurch wurde dem Land eine besondere Rolle in der Welt zugeschrieben.

Belém war für den Estado Novo der Repräsentationsort der Nation. Die Exposição do Mundo Português heiligte die neue politische Macht des Salazarregimes und legitimierte die Kunst als loyale Dienerin seiner Doktrin. Die Ausstellung war von propagandistischem Charakter. Auch nach Ende der Exposição wurde deren Botschaft dadurch am Leben erhalten, dass man zumindest die großen Bauten wie das Seefahrerdenkmal und die Praça do Império stehen ließ und in den folgenden Jahren sogar weiter ausschmückte. Erst durch den Bau des CCB wurde diese bis heute erkennbare, aber für viele (Touristen) nicht bewusste, Propaganda des Estado Novo abgeschwächt.

Intention der Expo '98 war zu zeigen, dass es besser ist, sich nach außen zu öffnen und sich nicht in der Isolation zu verschanzen, wie es noch zu Zeiten Salazars propagiert wurde. Dies wurde erreicht, indem man an das Goldene Zeitalter der portugiesischen Entdeckungsfahrten erinnerte.

Trotz dieses vollkommen unterschiedlichen Charakters der beiden Ausstellungen sind viele der verwendeten Symbole ähnlich, was ihre fortdauernde Wichtigkeit im Zusammenhang mit der nationalen portugiesischen Identität zeigt. Allerdings haben diese Symbole eine andere Bedeutung erhalten. Obwohl sich Portugal deutlich gen Europa geöffnet hat, ist immer noch in allen Lebensbereichen eine Hinwendung zur glorreichen Vergangenheit spürbar. Jedes Mal wenn Portugal beim (wirtschaftlichen) Wettbewerb mit anderen Ländern der EU verliert, sind viele Portugiesen stolz. Stolz auf eine glorreiche Vergangenheit und das Goldene Zeitalter der Entdeckungen, als Portugal noch eine der reichsten und mächtigsten Nationen der bekannten Welt war. So mancher Portugiese blickt in schwierigen Zeiten voller saudade wehmütig auf das offene Meer hinaus und hofft auf die Rückkehr der Karavellen des São Sebastião, jenes jungen Königs, der in der Schlacht von Alcácer Quibir im Jahre 1578 starb und von dem die Legende besagt, dass er eines Tages zurückkehren wird, um Portugal ein neues Goldenes Zeitalter zu bescheren.

Katharina Weeber und Judith Sucher



[1] Castro 1939: 5. Original: "não é apenas conhecer a tradicão e amar a imortalidade da nossa Raça: é também sentir o seu apêlo e confiar na sua voz que, do Passado, nos fala para nos ensinar o Presente. Nao é apenas catalogar glórias: é partilhá-las e vivê-las. Nao é somente louvar e admirar - é também crer. [...] Saber ser português é orgulho e ideal, é devocação e extase, é sacrificio e enlevo. A lição da Exposição nao pode ser outra.". Alle Zitate aus portugiesischen Quellen wurden von den Autorinnen übersetzt.
[2] Ebd. Original: "magnífico acto de fé [...] na nossa vitalidade e e na capacidade realizadora dos portugueses, fé no futuro de Portugal e na continuidade da sua História [...] Estamos aqui precisamente por confiarmos nos valores eternos da Pátria", so Premierminister António de Oliveira Salazar bei der Feier zur Staatsgründung".
[3] Ebd. Original: "[...] uma síntese da nossa acçao civilizadora, da nossa acçao na História do Mundo, mostrando, por assim dizer, todas as pègadas e vestigiós de Portugal no Globo".
[4] Vgl. Bethencourt/Chaudhuri 2000: 448.
[5] Silva [o.J.]. Original: "[...] a áqua constitui o elemento de base de toda a nossa grandiosa epopeia ultramarina".
[6] ("maravilhoso cenário das nossas possessões ultramarinas com o realismo da presença dos seus nativos").
[7] Vgl. Castro 1939.
[8] "orgulhosamente sós"
[9] Jorge Sampaio in: Guia Oficial da Expo 1998.



Bibliografie:

  • Almeida, José Carlos (2004): "Memória e identidade nacional. As comemorações públicas, as grandes exposições e o processo de (re)construção da Nação" in: VIII Congresso Luso-Afro-Brasileiro de Ciências Sociais. Coimbra: Universidade de Coimbra. URL: http://www.ces.uc.pt/lab2004/pdfs/JoseCarlosAlmeida.pdf.
  • Bethencourt, Francisco/Chaudhuri, Kirti (Hg.) (2000): História da Expansão Portuguesa. Vol. 5: Último Império e Recentramento (1930-1998). Lisboa: Temas e Debates.
  • Castro, Augusto de (1939): "Declarações do Sr. Dr. Augusto de Castro - Comissário Geral da Exposição do Mundo Português" in: Revista dos Centenários, Nr. 2, 3, 5-12.
  • Elias, Helena: "A emergência de um espaço de representação: arte pública e transformações urbanas na zona ribeirinha de Belém" in: on the w@terfront, Nr. 6 2004, 43-134.
  • Gillis, John Randall (Hg.) (1994): Commemorations. The politics of national identity. Princeton: Princeton Univ. Press.
  • Power, Marcus/Sidaway, James D.: "Deconstructing twinned towers: Lisbon's Expo '98 and the occluded geographies of discovery" in: Social & Cultural Geography, Vol. 6, Nr. 6 2005, 885-863.
  • Schöpflin, George (2000): Nations, Identity, Power. The new politics of Europe. London: Hurst.
  • Sieber, R. Timothy (2001): "Remembering Vasco da Gama: Contested Histories and the Cultural Politics of Contemporary Nation-Building in Lisbon" in: Identities 8(4), 549-581.
  • Silva, Cristino [o. J.]: Memória descritiva do Ante-Plano de Urbanização da Zona Marginal de Belém. Arquivo FCG.

Zurück zu Gedenken | Entdeckungen