Auslandsstudium in Corona-Zeiten: Sohanur Sagors steiniger Weg nach Chemnitz
Sohanur Sagor zog es für sein Master-Studium aus Bangladesch nach Chemnitz – Der Umzug nach Sachsen erwies sich als schwierig, vor allem die Corona-Pandemie war eine erhebliche Herausforderung
„Ich bin erst vor einem Monat hier gelandet“, sagt Sohanur Sagor lachend auf die Frage, wie ihm Chemnitz bisher gefalle. Tatsächlich ist der junge Mann aus Bangladesch erst Ende November 2020 in Deutschland angekommen. Danach ging es für Sohanur direkt in die häusliche Quarantäne – bis die negativen Ergebnisse seines Covid-19-Tests vorlagen. In dieser Zeit passierte das Einleben im Eiltempo und vor dem Hintergrund der Pandemie-Krise. Es ist kaum Freiräume zum Reflektieren, weil auch der Studienbetrieb an der Technischen Universität Chemnitz, zwar überwiegend im Remote-Betrieb, aber trotzdem regulär lief. Dennoch bleiben viele Eindrücke hängen, es ist schließlich nicht nur ein Umzug innerhalb eines Landes, sondern über Kontinente hinweg: „Chemnitz ist im Vergleich zu meiner Heimatstadt in Bangladesch klein und entspannt. Tatsächlich mag ich das. Chemnitz ist ein Ort, an dem ich mich wirklich wohlfühlen könnte“, sagt Sohanur. „Allerdings ist die Anfangszeit für mich gerade nicht ganz einfach, da ich zu Hause eigentlich immer von meiner Familie und Freunden umgeben war. Im Gegensatz dazu bin ich hier schon sehr einsam.“
Master-Studium an Top-Adresse
Mit diesen Gefühlen ist Sohanur aktuell nicht allein. Der Kontakt zu Kommilitoninnen und Kommilitonen beschränkt sich auf Online-Kurse beziehungsweise Online-Begegnungen, denn Gastronomie und viele Läden haben geschlossen, das öffentliche Leben ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Somit entfallen viele Möglichkeiten, sich persönlich zu treffen. Trotzdem ist Sohanur dankbar, endlich in Chemnitz zu sein und sein Master-Studium zu beginnen: „In meiner Heimat habe ich meinen Bachelor im Fach ‚Applied Chemistry and Chemical Engineering‘ gemacht. Mein weiterführendes Studium wollte ich in Deutschland absolvieren. Chemnitz war da meine erste Wahl, da die TU in Bangladesch einen sehr guten Ruf hat – vor allem was die Master-Studiengänge betrifft“, sagt Sohanur. In seiner Heimat gelte Chemnitz als Top-Adresse. Außerdem habe ihn der von der Fakultät für Naturwissenschaften angebotene Studiengang „Advanced Functional Materials“ überzeugt. „Es passte einfach alles. Ich wollte nach Chemnitz und in keine andere deutsche Stadt.“
Visa-Vergabe in Pandemiezeiten: „Nahezu unmöglich“
Doch um seinen Traum zu erfüllen, musste sich Soahnur in seiner Heimat Bangladesch erst einmal um ein Visum bemühen – eine nahezu unmögliche Herausforderung in Zeiten von Corona. „Ich hatte bereits die Zusage für ein Studium in Chemnitz. Doch mein im März geplanter Termin für ein Visum wurde abgesagt. Alle Botschaften blieben geschlossen. Das war ein harter Schlag für mich.“ Statt im Sommersemester 2020 hoffte Sohanur auf einen Studienstart im Wintersemester. Erschwerend kam hinzu, dass Sohanur auch seine Arbeit in Bangladesch verlor.
„Das Studium hier in Chemnitz musste einfach klappen. Das waren acht sehr harte Monate, in denen ich ständig gehofft und gebangt habe.“ Auch wenn das Studium selbst online möglich ist, setzte Sohanur unter Druck, dass er für seine Einschreibung physisch in Chemnitz anwesend sein musste. Der letzte Termin war der 27. November. „Gleichzeitig gab es keine neuen Updates der Botschaft“, berichtet Sohanur. „Mir war klar: Wenn ich nach Chemnitz möchte, muss ich meinen Visum-Termin mindestens sechs Wochen vor der Einschreibung bekommen. Einen Freund von mir war das nicht vergönnt, er musste seine Uni-Pläne abblasen. Das zehrte wirklich an den Nerven.“
Visum rechtzeitig erhalten – Start ins neuen Leben
Doch Sohanur hatte Glück und erhielt gerade noch rechtzeitig ein Visum für Deutschland. In Chemnitz angekommen, musste sich der Student dann auch gleich im Stundenplan aus Online-Seminaren und -Vorlesungen zurechtfinden. Das beansprucht aktuell noch Sohanurs ganze Aufmerksamkeit. An die physisch kontaktlosen Kurse vom Home Office aus muss sich Sohanur noch gewöhnen: „In den eigenen vier Wänden gibt es viel Ablenkung, die Konzentration ist nicht immer da.“ Doch Sohanur zeigt sich kämpferisch: „Ich muss da durch, genauso wie viele andere Studenten.“ Mit seinen Kommilitonen hält der den Kontakt per Textnachrichten und Anrufe. Denn: „Freundschaften brauchen Zeit, um sich zu entwickeln“, weiß Sohanur. Also müssen die ersten geschlossenen Bekanntschaften auch in Zeiten des Lockdowns gepflegt werden. Auch im Wohnheim begegnet er anderen Studierenden – es sind jedoch immer nur kurze Lichtblicke für ihn.
Erstes Weihnachtsfest – Einsame Streifzüge
Ein Ereignis, auf das sich Sohanur besonders freut: Ein typisch deutsches Weihnachtsfest. „Das wäre für mich etwas ganz Neues gewesen. Leider werde ich die Feiertage aber allein verbringen“, so der Student. Denn bisher geknüpfte Kontakte fahren entweder gen Heimat oder können sich aufgrund der geltenden Hygienemaßnahmen nicht mit Sohanur treffen. Doch davon will sich Soahnur nicht unterkriegen lassen: „Ich versuche so produktiv wie möglich zu sein, um mich in der aktuellen Situation abzulenken und aufzumuntern. So belege ich freiwillige Online-Kurse für Photoshop, lerne viel, erkunde die Stadt, soweit es geht und fotografiere.“ Denn Fotografieren gehört zu seiner Leidenschaft. Um den Kopf freizubekommen, spaziert er besonders gern durch den campusnahen Technopark. Seine Streifzüge durch die City hält Sohanur auf seinem Instagram-Account für Freundinnen, Freunde und Familie in der Ferne fest. Auch an seine deutschen und internationalen Mitstudierenden denkt Soahnur in dieser Zeit. „Ich wünsche allen nur eins: Merry Christmas and a happy New year!“
(Autorin: Isabel Möller)
Mario Steinebach
22.12.2020