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Wie virtuelle Welten sinnlich erlebbarer werden

Das InnoTeam „Presence“ unter Leitung der TU Chemnitz entwickelte Technologien und Verfahren zur Steigerung des Präsenz-Empfindens in VR weiter

Stellen Sie sich vor: Es ist ein herrlicher Sommertag und Sie sind auf einer Radtour über den Uni-Campus unterwegs. Sie treten kräftig in die Pedale, lenken gerade um eine Kurve, der Fahrtwind streicht durch Ihr Gesicht, die Vögel zwitschern – es könnte nicht schöner sein! Doch der Schein trügt, nichts ist real: Das ganze Szenario wurde aufwendig inszeniert. Das Fahrrad steht in der Fünf-Seiten-Cave des „Virtual Reality Center Production Engineering“ der Technischen Universität Chemnitz, auf deren Wände virtuelle Bilder der Umgebung projiziert werden. Die Vogelstimmen werden von einem neu entwickelten 3D-Schallprojektionssystem der TU Dresden eingespielt und den Fahrtwind erzeugt ein Ventilator. Aber wozu der Aufwand?

Aktuell ist es noch eine Nische, aber in künftigen Arbeitswelten werden Virtual-Reality(VR)-Technologien besonders in den Bereichen Produktentwicklung, Planung und Schulung von Arbeitsprozessen eine hohe Bedeutung haben. Vorteile wie eine zeit- und ortsunabhängige Visualisierung von Projekten und Arbeitsschritten sprechen für sich. Für den Erfolg im praktischen Einsatz spielt das Präsenzempfinden, also das Gefühl, sich wirklich in dieser virtuellen Umgebung zu befinden und ein Teil davon zu sein, eine wesentliche Rolle. Bisherige Lösungen, wie Head-Mounted-Displays beziehungsweise VR-Headsets oder VR-Caves, sprechen vor allem die visuelle Ebene an, während andere Sinne nur rudimentär angesprochen werden und nicht aufeinander abgestimmt sind. „Die Ergonomie, das Blickfeld und die Ansprache mehrerer Sinne haben einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmung des Nutzers und das Presence-Empfinden in virtuellen Umgebungen“, sagt Wissenschaftlerin Jennifer Brade von der Professur Produktionssysteme und -prozesse (Leitung: Prof. Dr. Martin Dix), die die Verbesserung des psychologischen Eintauchens in die virtuelle Welt erforscht hat.

VR-Welten sinnlicher wahrnehmen – nicht alle Sinne verstärken das Empfinden gleichermaßen

Diesem Thema widmete sich seit Juli 2018 bis Dezember 2020 das von der TU Chemnitz initiierte InnoTeam „Presence“. In einem Verbund mit der Professur für Akustik und Haptik der TU Dresden und vier sächsischen Unternehmen haben Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen zusammengearbeitet, um Virtual-Reality-Systeme zu analysieren und deren Komponenten aufeinander abgestimmt weiterzuentwickeln. Ziel des Projektes war es, ein ganzheitliches System zu entwerfen, das verschiedene Sinneskanäle anspricht und diese zur Interaktion zwischen Mensch und virtueller Welt nutzt. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass nicht alle Sinnesreize tatsächlich das Presence-Empfinden verbessern. „Wir stellten zum Beispiel überraschend fest, dass das Sitzen auf einem realen Stuhl trotz virtuellem Abbild dieses Stuhls für unsere Probanden als sehr unangenehm wahrgenommen wurde und das Eintauchen in die virtuelle Welt verringerte“, beschreibt Brade. „Die Einbindung des 3D-Sounds und der Windsimulation hingegen erhöhte das Präsenzempfinden im virtuellen Raum stark und senkte sogar die negativen Effekte der Virtuellen Realität wie Übelkeit oder Kopfweh.“

„Unsere Professur fungierte federführend als zentraler Koordinator dieses InnoTeams und konnte dabei auf eine langjährige, in einer Vielzahl nationaler und internationaler Forschungs- und Industrieprojekte erworbenen Erfahrung in der Erforschung von Virtual- und Augmented-Reality-Technologien zurückgreifen“, sagt Dr. Philipp Klimant, geschäftsführender Oberingenieur der Professur Produktionssysteme und -prozesse. Spezielle Entwicklungsziele innerhalb des Projekts lagen für die Professur in der Verbesserung der Bereiche Visualisierung, Interaktion und Datenhandling und der Analyse der Möglichkeiten der multilateralen Verknüpfung der verschiedenen Ein- und Ausgabemethoden sowie der dabei auftretenden Aus- und Wechselwirkungen auf das Präsenzempfinden. Als Entwicklungspartner unterstützten zu Beginn die Sikom Software GmbH, Hersteller von Systemen zur Sprachinteraktion, sowie über das gesamte Projekt die plavis GmbH als VR-Anwender im Bereich Fabrikplanung und die interactive minds GmbH, Eyetrackingspezialist für AR-Anwendungen, die Ziele des Vorhabens.

Spürbare Reize aus der virtuellen Welt

Das in der Kernkompetenz „Mensch und Technik“ der TU Chemnitz angesiedelte Projekt wurde seitens der Universität durch die Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement (Leitung: Prof. Dr. Angelika Bullinger-Hoffmann) komplettiert. Die Professur entwickelte gemeinsam mit der WESOM Textil GmbH ein Set an Haptik-Armbändern, das der Nutzerin oder dem Nutzer in der virtuellen Welt an verschiedenen Körperbereichen fühlbare Vibrationen übermittelt. Dank der drahtlosen Ansteuerung kann sich die Anwenderin oder der Anwender frei im Raum bewegen. Mittels der programmierbaren Schnittstelle lassen sich kontextsensitive Rückmeldungen erzeugen. Zudem erarbeitete die Professur in Zusammenarbeit mit dem Partner interactive minds ein User Interface sowie Interaktionskonzept für eine Blickbewegungssteuerung mittels Eye-Tracking und untersuchte neue Messverfahren zur objektiven Erhebung des Präsenzempfindens.

Alle Forschungsergebnisse wurden zum Projektende in einem Methodenkatalog zusammengefasst, der die Wirkung der verschiedenen Entwicklungen bezogen auf die subjektiv wahrgenommene Presence in virtuellen Szenarien enthält. „Somit ist es dem Projektteam gelungen, trotz der Corona-Einschränkungen in der Evaluierungsphase wichtige Aussagen bezüglich der Presence-Erhöhung in virtuellen Szenarien zu ziehen, die Hinweise und Richtlinien für nachfolgende Entwicklungen im Forschungs- oder Industriebereich ergeben“, stellt Brade dar.

Hintergrund: SAB-Programm „InnoTeam“

Das InnoTeam „Presence“ wurde von der Sächsischen Aufbaubank (SAB) gefördert. Mit dem Programm „InnoTeam“ unterstützt die SAB Kooperationen von Unternehmen und Hochschulen beziehungsweise Forschungseinrichtungen bei der Bildung von Kompetenzteams, die ein neues Produkt oder ein technologisches Verfahren entwickeln oder eine solche Entwicklung vorbereiten. Ziel der Förderung ist die Stärkung der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der sächsischen Wirtschaft. Diese Maßnahme wird gefördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.

Weitere Informationen zum InnoTeam „Presence“ erteilt Jennifer Brade, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Produktionssysteme und -prozesse der TU Chemnitz, Telefon 0371 531-33513, E-Mail jennifer.brade@mb.tu-chemnitz.de.

(Autorin: Katja Klöden)

Matthias Fejes
24.02.2021

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