Wenn die Grenze zwischen Lobbyismus und Korruption überschritten wird
Dr. Malte Roßkopf von der Professur für Öffentliches Recht und Öffentliches Wirtschaftsrecht der TU Chemnitz unterbreitet Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung im Bundestag nach dem Vorbild der Wirtschaft
Zahlreiche Bundestagsabgeordnete verdienen sich etwas dazu. Beispielsweise sitzen sie in Aufsichtsräten, leiten Unternehmen, beraten Firmen oder erhalten Honorare für Vorträge. Der jüngste „Maskenskandal“ oder die „Aserbaidschan-Affäre“ unterstreichen jedoch erneut, dass einige Parlamentarier ihr Mandat benutzen, um sich unrechtmäßig zu bereichern. Dr. Malte Roßkopf, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Öffentliches Recht und Öffentliches Wirtschaftsrecht der Technischen Universität Chemnitz, plädiert deshalb für ein unabhängiges Kontrollgremium im Bundestag.
In den Bundestag sollte eine stärkere „Compliance Kultur“ einziehen
Der 32-jährige Jurist, der zu Lobbyismus im Bundestag im Lichte eines Compliance Management Systems promovierte, hat dafür einen konkreten Vorschlag: „Ein Pendant zu einem in der Wirtschaft bekannten Compliance Officer sollte die Angaben der Abgeordneten zu Nebentätigkeiten, Nebeneinkünften und Spenden überwachen und dabei auch beurteilen, wie bestimmte Gelder im Verhältnis zu erbrachten Leistungen stehen. Zudem sollte das Hilfsorgan auch die Pflege eines umfassenden Transparenzregisters übernehmen.“ Dieses unabhängige, neutrale Kontrollgremium könne so auch den Bundestagspräsidenten entlasten und der Compliance-Kultur im Parlament dienen, so Roßkopf. Aktuell seien im Bundestag Kontrolle und Sanktionen in erster Linie politischer Natur und wenig präventiv, obgleich jüngere Veränderungen des Abgeordnetengesetzes oder der Verhaltensregeln leichte Besserung gebracht hätten, so die Beobachtung des Juristen: „Externe Kräfte wie Medien oder Watchdog-Organisationen üben derzeit viel stärker die tatsächliche Kontrolle aus, was dazu führt, dass meistens erst dann gehandelt wird, wenn Skandale längst eingetreten sind.“
Abgeordnete dürfen ihr Mandat nicht veräußern
„Fakt ist, dass die Abgeordneten ihr Mandat nicht veräußern dürfen“, so Roßkopf. Das bedeute zum Beispiel, dass es ihnen untersagt ist, arbeitsloses Einkommen zu beziehen, also etwa Geld von Dritten lediglich dafür zu bekommen, dass sie Mitglied des Deutschen Bundestags sind. „Diese Wertung ergibt sich bereits aus dem 1949 in Kraft getretenen Grundgesetz. Und auch im sogenannten Diätenurteil aus dem Jahr 1975 ermahnte das Bundesverfassungsgericht die Parlamentarier, Vorkehrungen gegen möglichen Mandatsmissbrauch zu treffen“, fügt der auf Korruptionsprävention spezialisierte Rechtswissenschaftler hinzu. Solche Vorkehrungen gebe es mittlerweile durchaus – etwa im Strafgesetzbuch, im Abgeordnetengesetz oder in den Verhaltensregeln – diese würden allerdings beinahe immer nur dann geschaffen oder verschärft, wenn öffentlicher Druck aufgrund von Skandalen in der Kombination mit bevorstehenden Wahlen kaum eine andere Option ließe. Auch seien sie oft in erster Linie eine „Beruhigungstablette“ für aufgebrachte Wählerinnen und Wähler, ohne die Probleme wirkungsvoll zu adressieren.
Unzureichende Vorkehrungen gegen möglichen Mandatsmissbrauch
Kritisch beobachtet Roßkopf deshalb die Regelungsmechanismen, die von den Parlamentariern aktuell in den Raum geworfen werden, „die in der Vergangenheit jedoch belächelt und verworfen wurden, grundsätzlich wirkungslos sind oder sich sowieso nicht umsetzen lassen“. Als erstes Beispiel nennt er das Transparenzregister. „Dies ist grundsätzlich ein wichtiger Schritt, allerdings adressiert dieses Register immer in erster Linie Lobbyisten, also Akteure außerhalb des Bundestages. Das lenkt aber davon ab, dass auch unzählige Lobbyisten mit einem schier unerschöpflichen Budget in der Hinterhand nur wenig bewegen können, wenn die Abgeordneten auf der anderen Seite nicht mitspielen“, so Roßkopf. Beispiel 2 ist das von der Großen Koalition geäußerte Vorhaben der Erhöhung der Strafe für bestechliche Abgeordnete, die sich nach § 108e Strafgesetzbuch strafbar machen. „Diese Vorschrift ist aber so eng und unglücklich formuliert, dass eine Anwendung von Vorneherein an nicht zu bewältigenden Beweisschwierigkeiten scheitert“, so Roßkopf, der noch ein drittes, in der öffentlichen Debatte bekannte Regelbeispiel nennt: „Direktspenden an Abgeordnete sollen verboten werden“. „Auch das ist keine neue Idee, sondern wurde in der Wissenschaft vielfach diskutiert, meist aber verworfen. Zurecht. Denn Spenden an Abgeordnete können auch eine Unabhängigkeit gegenüber der Partei fördern und damit das freie Mandat an anderer Stelle stärken“, sagt Roßkopf. Eine Verwendungskontrolle durch eine von ihm bereits in seiner Dissertationsschrift vorgeschlagene unabhängige Instanz biete sich daher eher an.
Der unerfüllte Traum vom „gläsernen Abgeordneten“
Vollkommene externe Transparenz und der „gläserne Abgeordnete“ seien mit dem Grundgesetz in seiner jetzigen Form dagegen nicht in Einklang zu bringen. „Also werden Nebeneinkünfte auch weiterhin nur in gestufter und verschleierter Form veröffentlicht werden können, gegebenenfalls lediglich mit ein paar mehr Konturen. Interessenskonflikte lassen sich daraus aber nur sehr bedingt ablesen und wie man Abgeordneten auf die Schliche kommt, die falsche Angaben machen, bleibt ebenfalls weiterhin offen.“ Auch der Bundestagspräsident, der selbst Abgeordneter ist und einer Fraktion und Partei angehört, und bisher mit der Überwachung und Sanktionierung betraut ist, stößt aus Sicht von Roßkopf an Grenzen: „Initiativ darf er nicht kontrollieren, er ist auf Verdachtsmomente angewiesen, die ihm Medien oder Antikorruptionsorganisationen liefern. Und die möglichen Sanktionen sehen maximal ein Ordnungsgeld vor. Doch auch unabhängig davon stellt sich die Frage, woher der Bundestagspräsident die Zeit nehmen und die Befähigung haben soll, arbeitslose Einkommen aufzuspüren und zu bewerten, zumal er sich stets dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt sehen wird – wenigstens durch ein zunehmend misstrauisches Volk.“
Die vergessenen Angaben der Abgeordneten
„Aktuelle Entwicklungen stützen diese Beobachtung“, findet Roßkopf. Mehrere Spitzenpolitiker sind zuletzt negativ in Erscheinung getreten, weil sie Nebeneinkünfte nicht ordnungsgemäß beim Bundestagspräsidenten angezeigt haben. Dabei scheint es sich zwar nicht stets um Einkünfte zu handeln, die den Verdacht von Korruptionen nahelegen, doch offenbaren sie ein anderes Problem. „Wenn exemplarisch Frau Baerbock Sonderzahlungen der eigenen Partei erhält, wird dadurch wohl kein Interessenkonflikt begründet“, meint Roßkopf. „Wenn es aber möglich ist, sogar solche Zahlungen jahrelang und unentdeckt pflichtwidrig nicht zu melden, dann greifen die einschlägigen Vorschriften ganz offenkundig nicht.“
Der Ausweg: Compliance-Gremium – selbstständig, diskret und präventiv
Auch deswegen scheint Roßkopf ein aus mindestens drei Personen bestehendes unabhängiges Compliance-Gremium sinnvoller denn je. „Fachkundige Expertinnen und Experten könnten unabhängig und proaktiver Nebentätigkeiten, Nebeneinkünfte und Spenden der Abgeordneten kontrollieren und sollten auch bei Auffälligkeiten selbstständig und diskret Nachforschungen anstellen dürfen. Bei einem konkreten Korruptionsverdacht sollte dieses Gremium den Immunitätsausschuss und Ältestenrat des Bundestages informieren, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Der Bundestagspräsident würde so zeitlich und inhaltlich entlastet. Und das für die parlamentarische Demokratie notwendige Vertrauen der Bevölkerung könnte zugleich gestärkt werden, wenn der Abgeordnetenkorruption intern, präventiv und systematisch begegnet wird“, ist Roßkopf überzeugt. Der Gedanke zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, stets nur die Spitze des Korruptionseisberges zu sehen, könne so vertrieben werden. Für die Abgeordneten selbst würde das auch einige Vorteile bringen: „Spenden und gewisse Nebeneinkünfte würden nicht pauschal verboten, Transparenz würde nach innen verlegt, sensible Daten bleiben geschützt“, meint der Jurist.
Mit Grundgesetzänderung zur Abgeordnetenanklage
Als zusätzliche Sanktionsmöglichkeit käme aus seiner Sicht eine Abgeordnetenanklage in Betracht; „Mandatsträger, die arbeitsloses Einkommen beziehen, könnten aus dem Bundestag ausgeschlossen werden. Das Compliance-Gremium könnte Anklage erheben, zwei Drittel der Abgeordneten müssten zustimmen, bevor das Bundesverfassungsgericht letzten Endes entscheidet“, erläutert Roßkopf. Dieser Vorschlag sei jedoch recht drastisch, aber er könnte Abhilfe für die aufgezeigten Probleme schaffen. „Dafür müsste man allerdings das Grundgesetz ändern. Ein Compliance-Gremium gerät auch nicht mit der Ewigkeitsklausel in Konflikt, denn das freie Mandat der Abgeordneten verliert nicht seinen Charakter. Vielmehr wird die Freiheit des Mandates dort gesichert, wo sie besonders verwundbar ist – bei korrupten Abgeordneten, die ihre Rechte von den korrespondierenden Pflichten entkoppeln.“
Rechtswissenschaftliches Neuland
Der Gedanke der Abgeordnetenanklage wurde bereits in der Wissenschaft vielfach diskutiert, auch findet sich ein solches Instrument in zahlreichen Landesverfassungen, wenngleich die Anwendbarkeit an unglücklichen Formulierungen scheitert, ähnlich wie im Strafrecht. Ein unabhängiges Kontrollgremium wurde dagegen nur sehr zurückhaltend angedacht. „Die Überlegung, eine eigene Kontrollinstanz zu installieren, ist nicht gänzlich neu“, erklärt Roßkopf“, allerdings gab es bislang keine dezidierte Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit.“ Sowohl Befürworter als auch Gegner dieser Idee würden nicht ins Detail gehen. „Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung eines Kontrollgremiums oder eine juristische Prüfung zur Machbarkeit sind mir nicht begegnet“, ist Roßkopf überrascht. „Soweit ich das überblicken kann, habe ich da Neuland betreten“. Allerdings hätten die jüngsten Ereignisse auch diesbezüglich den medialen Druck erhöht, so dass möglicherweise weitere Vorschläge hinzukommen. „In der Öffentlichkeit wird die Forderung einer unabhängigen Kontrollinstanz lauter“, bemerkt Roßkopf und fügt hinzu, „Im Optimalfall wird meine Vorarbeit aufgegriffen, kritisiert und verbessert und kommt irgendwann in der Praxis an.“
Stichwort: Compliance
Compliance beschreibt die interne und primär präventiv orientierte Sicherstellung der Gesetzestreue in einer Organisation und ist als Materie in erster Linie für den privatwirtschaftlichen Sektor relevant. Es orientiert sich an einer systematischen Risikoanalyse. In Deutschland ist Compliance für Aktiengesellschaften verpflichtend.
Publikation: Roßkopf, Malte Jonathan: Lobbyismus im Bundestag im Lichte eines Compliance Management Systems: Der Compliance Officer als Lösung? (Studien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht). Göttingen: Cuvillier Verlag, 2020, 304 Seiten, ISBN: 978-3736972766
Kontakt: Dr. Malte Roßkopf, Telefon 0371 531-37805, E-Mail malte.rosskopf@wiwi.tu-chemnitz.de
Mario Steinebach
01.06.2021