Die Kompensation von Treibhausgasen ist ein diffiziles Geschäft
Prof. Dr. Marlen Arnold von der Professur BWL - Betriebliche Umweltökonomie und Nachhaltigkeit der TU Chemnitz äußert sich zu Ergebnissen der UN-Weltklimakonferenz in Glasgow und zu Klimakompensationsprojekten in Entwicklungsländern
Mitte November ging die UN-Weltklimakonferenz in Glasgow zu Ende. Die Vertreterinnen und Vertreter von 192 Nationen haben sich nach ihren Verhandlungen auf eine Schlusserklärung zum verstärkten Kampf gegen die Erderwärmung geeinigt und vereinbarten neue Umsetzungsregeln zum Pariser Klimaabkommen. Am Ende der Konferenz kam jedoch nur eine abgeschwächte Formulierung zur Abkehr von der Kohle zustande. Und bei den finanziellen Zusagen an ärmere Länder für die Bewältigung von Klimaschäden wurden die Erwartungen vieler Delegierter nicht erfüllt. Mario Steinebach, Leiter der Pressestelle und Crossmedia-Redaktion der TU Chemnitz, sprach dazu mit Prof. Dr. Marlen Arnold von der Professur BWL - Betriebliche Umweltökonomie und Nachhaltigkeit an der Technischen Universität Chemnitz.
Frau Prof. Arnold, wie schätzen Sie die Ergebnisse des jüngsten Weltklimagipfels ein?
Die Aufforderung zum schrittweisen Kohleausstieg als Ergebnis der UN-Klimakonferenz in Glasgow lässt sich sicherlich als Erfolg feiern, die Nichterreichung des 1.5-Grad-Zieles sicher nicht. Das Engagement der Staatengemeinschaft, die Ziele des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2015 mit konkreten Maßnahmen zu unterfüttern, ist lobenswert sowie notwendig, um gegen die globale Erderwärmung anzukämpfen. Sie ist zugleich Ergebnis zielführender diplomatischer und ökonomischer Auseinandersetzungen. Doch die Maßnahmenbündel reichen leider noch immer nicht, der jungen Generation Zuversicht und Hoffnung auf ein gutes Leben auf unserem Planeten zu vermitteln. Es bleibt abzuwarten, ob den Selbstverpflichtungen der Staaten schnell Taten folgen werden. Positiv hervorzuheben ist jedoch der Abbau von Subventionen für Öl, Gas und Kohle. Dieses ökonomische Instrument ist zum einen teurer als eine CO2-Bepreisung und verzerrt zum anderen die tatsächlichen ökologisch-ökonomischen Kosten. Ein globaler CO2-Zertifikatehandel ist längst überfällig. Besser wäre noch ein Treibhausgas-Handel, der Methan und weitere klimawirksame Gase inkludiert und somit auch eine Anreizwirkung für die Vermeidung klimaschädlicher Produktionsverfahren hervorruft.
Der Klimawandel richtet immer größere Schäden an, weshalb auch verstärkte Maßnahmen wie Finanzhilfen für ärmere Länder nötig sind. Die Industriestaaten wurden deshalb aufgefordert, ihre Anpassungshilfen für Entwicklungsländer bis 2025 zu erhöhen. Lassen sich so klimawirksame Gase verringern?
Finanzhilfen und Investitionen in Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in ärmeren Staaten wurden auf der Weltklimakonferenz erneut bekräftigt, sie helfen allerdings nicht pauschal, klimawirksame Gase zu reduzieren. Es braucht beispielsweise eine langfristige Finanzierungszusage beziehungsweise Finanzierung von Wald- und Schutzflächen. Nur dann wird sichergestellt, dass die Regenwälder nicht abgeholzt und verbrannt werden, um alternative Nutzungen zu etablieren. Die Kompensation von Treibhausgasen – also die Zahlungen zur Finanzierung von Treibhausgas mindernden Investitionen wie etwa Windkraftanlagen in Entwicklungsländern – ist ein diffiziles Geschäft. Es gleicht in Teilen einem neokolonialistischen Ablasshandel, der neben einem vermeintlich reinen Gewissen nur leider Schäden am anderen Ende der Welt produzieren kann. Doch diese Schäden an der grünen Lunge unseres Planeten dringen dann gar nicht mehr in das Bewusstsein vieler Personen, die unternehmerisch handeln beziehungsweise vermeintlich umweltbewusst konsumieren. Soll heißen, gut gemeint ist nicht immer gleich gut gemacht.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Einige Klimakompensationsprojekte fördern zum Beispiel Aufforstungsprojekte in ärmeren Ländern, die dort jedoch lokale Lebensbedingungen und vorhandene Wirtschaftsstrukturen zerstören. So wird zum Beispiel Bäuerinnen und Bauern ihr Land weggenommen, um attraktive Baumpflanzungsprojekte durchführen zu können. Deshalb müssen die Aufforstungsversprechen genau angeschaut und hinterfragt werden. Hinzu kommt, dass nicht jeder so gepflanzte Baum groß wird – Dürren, Hitze, Überschwemmungen, Feuer oder Schädlinge können die Pflanzungen zerstören. Hier gilt also auch wieder – nicht ein Indikator ist erfolgswirksam, sondern mehrere. Weiterhin braucht es bei diesen Projekten eine weitreichende Expertise der Akteure – vom Land, vom Boden, von heimischen Kulturen, um nur einige zu nennen. Ebenso sollten zerstörerische Rückkopplungseffekte bewusst sein und ihre Exit-Optionen.
Es lohnt sich also, bei Klimakompensationsprojekten genauer hinzuschauen?
Auf jeden Fall. Nachhaltigkeit ist nie einfach, doch einfach zu kompensieren geht schnell. Um eine kluge Wahl bei Klimakompensationsprojekten treffen zu können – sei es beim Investieren als Unternehmen oder beim privaten Konsumieren – kommt man um die Informationspflicht nicht herum. Auch hier gilt – wie in vielen anderen Bereichen – führende Qualitätsstandards der Kompensation zu wählen und nachzufragen, zu recherchieren, genau hinzuschauen und im Zweifel falsch getroffene Investitionsentscheidungen rückgängig zu machen oder den Konsum bestimmter Produkte im privaten Bereich zu überdenken. Klimaschutz bedeutet noch immer Vermeiden und Reduzieren von Treibhausgasen. Kompensieren ist stets der letzte Lösungsweg und muss weise gewählt werden, sonst bleibt die Klimagerechtigkeit ganz auf der Strecke.
Was erhoffen Sie sich von der nächsten UN-Klimakonferenz?
Einen globalen Handlungsplan politisch starker Institutionen. Das Beschließen von Maßnahmen auf Basis von Fakten – nicht auf Basis partikularer Interessen. Die Ökonomie muss naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Gesetzen folgen. Dafür braucht es eine starke und zukunftsgerichtete Politik. Das Schließen der Lücke vom Wissen zum Handeln gelingt nur in einem politischen sozial-ökologisch ausgerichtetem Rahmen. Ohne einen lebensraumerhaltenden politischen Rahmen, der tatsächlichen nachhaltigkeitsausgerichteten Fortschritt durchsetzt, wird Nachhaltigkeit Prosa bleiben und – bis auf kleinere Nischen – Green- und Bluewashing unsere Zukunft sein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mario Steinebach
24.11.2021