Im Fokus: Emotionale Kompetenzen in Krisenzeiten
Dr. Avelina Lovis Schmidt von der Professur Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie transferierte ihre Forschungsergebnisse in ihr Unternehmen „Fühlerei“ und entwickelt digitale Gefühlsübungen für verschiedene Zielgruppen
„In Zeiten außergewöhnlicher Belastungen sollte es Aufgabe der Psychologie sein, niedrigschwellig Kompetenzen zu vermitteln, um den Menschen Werkzeuge in die Hand zu geben, selbstständig und selbstwirksam mit Krisen und Konflikten umzugehen“, sagt Dr. Avelina Lovis Schmidt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz. Zu diesem Kompetenzspektrum gehört die „emotionale Kompetenz“, welche die Wahrnehmung, die Identifikation, das Verstehen, die Regulation und die Kommunikation von eigenen und fremden Gefühlen umfasst. „Wir wissen heute, dass es nicht ausreicht, ein Buch zu lesen oder einen auf die Wissensvermittlung ausgelegten Vortrag anzuschauen, um bei sich nachhaltig eine emotionale Veränderung bewirken zu können“, so Schmidt. Vielmehr gehe es darum, auch praktisch tätig zu werden, emotionalen Ballast aktiv aufzuarbeiten und dabei möglichst schrittweise angeleitet zu werden. „Jedoch ist die Psychotherapie weiterhin nicht für alle Menschen eine geeignete Lösung. Die Wartezeiten für einen Therapieplatz steigen stetig und auch die befürchtete Pathologisierung von emotionalen Problemen ist für viele Menschen ein Hemmnis, eine Therapie in Anspruch zu nehmen“, schätzt die Wissenschaftlerin ein.
Fühlerei: Digitale Gefühlsübungen für alle
Schmidt gründete vor diesem Hintergrund im Januar 2022 das E-Commerce-Unternehmen „Fühlerei“. „Die Fühlerei soll über digitale Gefühlsübungen vielen Menschen eine Hilfe sein, um niedrigschwellig den Umgang mit schwierigen Gefühlen zu lernen“, sagt Schmidt. Ein Ersatz für die Therapie sei sie nicht, vielmehr eine Ergänzung bzw. eine Möglichkeit, um in den Prozess der emotionalen Veränderung einzusteigen. Die digitalen Gefühlsübungen werden von der „Fühlerei“ für verschiedene Zielgruppen kommerziell über das Internet angeboten; neben Einzelübungen gibt es auch Übungen für Liebespaare, Kleingruppen und Eltern. „Die Übungen sind als Video konzipiert, in denen die Personen schrittweise dazu angeleitet werden, wie sie in einen wohlwollenden Kontakt zu ihren Gefühlen und Bedürfnissen kommen und wie sie diese gegenüber ihren Mitmenschen kommunizieren können“, erklärt Schmidt.
Die Erkenntnisse zur Umsetzung dieser Übungen stammen u. a. aus ihrer Dissertation an der TU Chemnitz, in welcher Kurse zur Steigerung emotionaler Kompetenz in Präsenz evaluiert wurden. Erfolgversprechende Faktoren der Übungen – neben den Inhalten – sind die schrittweise Anleitung, alltagsnahe Beispiele, ein fragengeleitetes Vorgehen, welches die Person in eine aktive Rolle ihrer eigenen Veränderung versetzt, die Begleitung eines Schreibprozesses und die Lenkung auf den Integrationsprozess der neu gewonnenen Erkenntnisse in den Alltag.
Wie emotionale Kompetenzen am besten digital geschult werden können
Derzeitig werden die Fühlerei-Übungen im digitalen Format hinsichtlich ihrer Wirksamkeit geprüft. Dafür werden u. a. mit Hilfe von Abschlussarbeiten sowie von Forschungspraktikantinnen und -praktikanten Expertinnen und Experten befragt sowie Studien durchgeführt. Langfristig soll ein Leitfaden zur Durchführung von digitalen Übungen zur Bewältigung schwieriger Gefühle entstehen, der Hilfestellungen für weitere Projekte geben kann. Begleitet wird dieser Prozess über einen Podcast, in welchem Schmidt verschiedene Inhalte aus den Übungen vertieft und Interviews mit verschiedenen Personengruppen, wie beispielsweise Psychotherapeutinnen und -therapeuten, zu emotional relevanten Themen führt. Weiterhin wird derzeit ein Projektantrag initiiert, um die Finanzierung des Forschungsprojektes über die nächsten Jahre zu gewährleisten.
Weitere Informationen zur Forschung zum Thema „Emotionale Kompetenz“ erteilt Dr. Avelina Lovis Schmidt, E-Mail avelina-lovis.schmidt@psychologie.tu-chemnitz.de
Mario Steinebach
26.09.2022