Wissenschaft traf Wirtschaft auf den Gebieten der Werkstoff-, Oberflächen- und Fügetechnik
23. Werkstofftechnisches Kolloquium fand mit rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der TU Chemnitz statt – Auch zwei TU-Ausgründungen präsentierten sich vor Ort
Das traditionsreiche Werkstofftechnische Kolloquium (WTK) an der Technischen Universität Chemnitz fand vom 29. bis 30. März 2023 zum 23. Mal statt. Veranstaltet wurde das WTK vom Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnik (IWW) der TU Chemnitz, vertreten durch die Professur Werkstoff- und Oberflächentechnik (Leitung: Prof. Dr. Thomas Lampke), die Professur Elektronenmikroskopie und Mikrostrukturanalytik (Leitung: Prof. Dr. Andreas Undisz), die Professur Verbundwerkstoffe und Werkstoffverbunde (Leitung: Prof. Dr. Guntram Wagner) und die Professur Werkstoffwissenschaft (Leitung: Prof. Dr. Martin F.-X. Wagner). Den fast 200 nationalen und internationalen Teilnehmern wurde eine attraktive Plattform für wissenschaftliche Diskussionen und insbesondere auch die Vernetzung zu Fachleuten aus der Industrie geboten, die zahlreich vor Ort vertreten waren.
In seiner Eröffnungsansprache brachte Prof. Thomas Lampke seine Freude über den großen Zuspruch zu diesem Format, die Unterstützung durch die Fachverbände DGM, DGO und DVS sowie über die vielen internationalen Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer zum Ausdruck.
Grußworte von Prof. Dr. Andreas Schubert, Dekan der Fakultät für Maschinenbau der TU Chemnitz, und Dr. Klaus Nassenstein, Präsident des Forschungs- und Transfernetzwerkes Mittelstand AiF e. V. sowie Geschäftsführer und Mitinhaber der GTV Verschleißschutz GmbH, betonten die Bedeutung der Veranstaltung für frische Impulse.
Ganz im Sinne des Leitsatzes des Kolloquiums „Wissenschaft trifft Wirtschaft“ sprach Klaus Nassenstein über das AiF-Forschungsnetzwerk. Er betonte die Relevanz angewandter Forschung sowie vor allem die Notwendigkeit des Transfers von Innovationen in die Industrie.
Diesen Gedanken griffen im Folgenden Vertreterinnen und Vertreter aus der Industrie in ihren Impulsvorträgen auf. Auf dem diesjährigen Kolloquium waren die Unternehmen Carl Zeiss GOM Metrology, Cloeren Technology, Evident Europe, Hegewald & Peschke, Höganäs Germany, LIMESS, POLYTEC und ZwickRoell vertreten.
Darüber hinaus bereicherten junge Startups und ein Forschungsverbund die Industrieausstellung im Rahmen des WTKs, was die enge Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft verdeutlichte und Karriereperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs adressierte.
Darüber hinaus waren drei aus EXIST-geförderten Forschungstransferprojekten hervorgegangene Startups vor Ort. Darunter die CMMC GmbH, eine Ausgründung aus der TU Chemnitz, die ein neuartiges Herstellungsverfahren für AMC-Werkstoffe und deren Produktion anbietet.
Das Gründungsprojekt „NanoSen“, ebenfalls eine Ausgründung aus der TU Chemnitz, entwickelt ein innovatives Verfahren zur kostengünstigen Massenproduktion von Kraftsensoren aus Nanokompositen.
Für die Werkstoffqualitätskontrolle in der industriellen Anwendung nutzt die MiViA GmbH, eine Ausgründung aus der Bergakademie Freiberg, ein selbstlernendes autonomes Mikrostrukturanalyse-System.
Vielfalt der aktuellen Werkstoff-Forschung verdeutlicht
In den sich anschließenden insgesamt 64 Fachvorträgen wurde ein Einblick in die thematische Vielfalt der aktuellen Forschung gegeben. Prof. Friedrich Raether, Leiter des Fraunhofer-Zentrum für Hochtemperatur-Leichtbau HTL, veranschaulichte in seinem Übersichtsvortrag die Bedeutung der Digitalen Material- und Prozessentwicklung, dem Integrated Computational Materials Engineering (ICME).
Dieses Thema wurde in weiteren Beiträgen, u. a. für die Nutzung zum Top-Down Design multiphasiger Keramiken, vertieft. Einen weiteren Themenschwerpunkt bildeten Beiträge zur Mensch-Technik-Interaktion und des Einsatzes künstlicher Intelligenz am Beispiel thermischer Beschichtungsprozesse.
Neue Aspekte des Thermischen Spritzens wurden ebenfalls verdeutlicht. Darunter der Einsatz antibakteriell wirksamer Verschleißschutzschichten aus Keramik in der Lebensmittelindustrie und zur Herstellung freistehender Transportschichten aus Titan für die Polymerelektrolytmembran-Wasserelektrolyse.
Zudem waren ging es um die vielversprechende Kombination von Lichtbogenspritzen mit additiven Fertigungsprozessen sowie der ressourceneffizienten Bestimmung der mechanischen Eigenschaften und des Ermüdungsverhaltens mittels Indentationsprüfung.
Die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten der Additiven Fertigung wurden in weiteren Beiträgen beleuchtet. Ebenso wurde über die Weiterverarbeitbarkeit additiv gefertigter Bauteile in Trenn- und Fügeprozessen sowie den Einfluss der spezifischen Mikrostruktur und des Eigenspannungszustandes berichtet.
Die additive Fertigung wurde auch in der Session zum Fügen mittels Schweißen und Löten aufgegriffen. Schwerpunktmäßig wurden mikrostrukturelle Einflüsse auf die Belastbarkeit der Fügeverbindungen adressiert.
Auf dieses Spannungsfeld ging auch Prof. Dr. Jonas Hensel, Inhaber der Professur Schweißtechnik an der TU Chemnitz, in seinem Übersichtsvortrag ein und stellte die schweißtechnische generative Fertigung von hochfesten Strukturbauteilen vor.
Im Bereich der Galvanotechnik standen besonders anwendungsorientierte Beiträge im Vordergrund: Rainer Venz, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralverbands Oberflächentechnik (ZVO), sprach in seinem Übersichtsvortrag über innovative Fügetechnologien für Leiterplatten.
Weitere Vorträge befassten sich mit galvanischen Edelmetallschichten für Steckverbinder sowie die Eignung galvanischer Präzisionsbeschichtungen zur Durchkontaktierung von Multilayer-Leiterplatten. Vorangetrieben durch die REACH-Verordnungen wurde auch auf die Substitution von Hartchromschichten eingegangen. In der Session zu Verbundwerkstoffen und Werkstoffverbunden ging es vor allem um die Herstellung metallischer Komposite über die pulvermetallurgische Route sowie das Ermüdungs- und Rissausbreitungsverhalten naturfaserverstärkter Polymerwerkstoffe und von Hybridlaminate.
Ebenso wurden in weiteren Fachbeiträgen Hochentropielegierungen, deren Schweiß- und Bearbeitbarkeit sowie deren Verschleißbeständigkeit adressiert.
Eine eigene Session war auch den Formgedächtnislegierungen und der Wasserstoffspeicherung mit Hinblick auf geeignete Werkstoffe und flexible Prüfmöglichkeiten für Metallhybridspeicher gewidmet.
Wasserstoff und Mensch-Maschine-Teaming als weitere Schwerpunkte
In Anlehnung an die Profillinien der Fakultät für Maschinenbau griff das WTK auch zielgerichtet neue transdisziplinäre Innovationen auf. Hierzu zählte auch das Thema Wasserstoff als Energieträger für Produktion und mobile Anwendungen sowie das Mensch-Maschine Teaming.
Die Umsetzung dieser Themen wurde am Stand der Abteilung „Human-Cyber-Physical Systems“ der Professur Werkstoff- und Oberflächentechnik u. a. anhand eines wasserstoffbetriebenen Pedelec sichtbar. Das Pedelec entstand in Zusammenarbeit mit Vitesco Technologies und kam bereits in Nutzungsstudien zur Erforschung psychologischer Akzeptanz neuer Mobilitätstechnologien zum Einsatz.
Auch Ergebnisse aus universitätsübergreifenden Kooperationen mit dem Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) zur Erforschung von Grundlagen des Mensch-Maschine Teamings für produktionstechnische Fragestellungen wurden präsentiert.
Plenarvortrag adressierte umfassende Werkstoffcharakterisierung
Ein weiterer Höhepunkt des Kolloquiums war der Plenarvortrag von Prof. David Rafaja, dem Leiter des Instituts für Werkstoffwissenschaft der TU Bergakademie Freiberg, der die vielfältigen Möglichkeiten von Synchrotronstrahlung für die umfassende Werkstoffcharakterisierung aufzeigte und auch auf die sächsische Initiative zur strategischen Kooperation mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg einging.
Absolvent Max Rose berichtet über seine Erfahrungen als Jungunternehmer
Der Abschlussvortrag wurde von dem Softwareentwickler Max Rose gehalten, der sehr mitreißend und unterhaltsam seinen Weg zum eigenen Unternehmen „Audory“, einer Plattform für interaktive Hörbücher, beschrieb, der ihn vom Studium bis in die Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ führte. Er stellte den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern abschließend einen Prototyp für ein interaktives Videoformat vor.
Der Vortragsteil des Kolloquiums wurde von einer Poster-Ausstellung sowie einer Poster-Session begleitet. Die besten Poster, ausgewählt aus den vor dem gesamten Plenum in Kurzvorträgen präsentierten Beiträgen, wurden während der Abendveranstaltung des ersten Konferenztages mit Awards gekrönt.
Die drei Gewinner waren:
- Dr. Jan Tomastik von der Palacký University Olomouc aus Tschechien (1. Platz),
- Jun Xu vom Innovent e. V. aus Jena (2. Platz) sowie
- Tobias Heib von der Universität des Saarlandes (3. Platz).
Matthias Fejes
12.04.2023