Die Innenstädte der Zukunft
Forscher der TU Chemnitz stellen Maßnahmen zusammen, mit denen sich Innenstädte fit für die älter werdende Bevölkerung machen können
Ältere Menschen sind nicht mehr so gut zufuß - auch die Innenstädte müssen sich den Bedüftnissen der älter werdenen Gesellschaft anpassen, wenn sie in Zukunft weiterhin Kunden anziehen wollen. Foto: Katharina Thehos |
Mal schnell mit dem Fahrrad in die Stadt sausen, sich durchs Getümmel winden und beim ersten und letzten Geschäft der Fußgängerzone Besorgungen machen - was für junge Menschen Gewohnheit ist, kommt mit zunehmendem Alter nicht mehr in Frage. Wenn die körperlichen Kräfte nachlassen, will jede Einkaufstour gut geplant sein. Im Jahr 2000 betrug der Altersquotient in Deutschland rund 24 Prozent. Der Altersquotient gibt das Verhältnis der über 65-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen in einer Gesellschaft an. Für das Jahr 2020 schätzt ihn das Statistische Bundesamt auf etwa 35 Prozent, für 2040 auf mehr als 50 Prozent. Die Bevölkerung wird älter - und dieser Entwicklung müssen sich auch die Innenstädte anpassen. Welche Umgestaltungsmaßnahmen dazu dringend auf die Agenda der deutschen Städte müssen, ist Thema eines Forschungsprojektes der Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der TU Chemnitz. Erste Ergebnisse liegen jetzt vor. Demnach sind es zum einen die physischen Kräfte und zum anderen die finanziellen Verhältnisse, die das Verhalten älterer Menschen in Innenstädten maßgeblich beeinflussen.
Durch die geringer werdenden körperlichen Kräfte versuchen ältere Bürger, unnötige Wege zu vermeiden. Shoppingcenter, die ein abgestimmtes Programm dicht nebeneinander liegender Geschäfte bieten, kommen älteren Menschen dabei entgegen. Für die Besitzer einzelner Läden außerhalb solcher Zentren wird es schwierig. Geschäftsleute einzelner Läden sollten, so die Ergebnisse des Forschungsprojekts, mehr als bisher koordiniert agieren. Für die Gestaltung von Innenstädten ergibt sich, dass lang gezogene und breite Einkaufsstraßen oder große Plätze zu vermeiden sind. Wenn sich die Strecken, die ältere Menschen zu Fuß zurücklegen müssen, nicht ausreichend verringern lassen, müssen die Städte ansprechende Ausruhmöglichkeiten anbieten. Dieser Punkt ist sehr sensibel, so die Ergebnisse der Studie, da sich die älteren Innenstadtbesucher in zwei Gruppen einteilen lassen: die fitteren und die weniger fitten. Letztere verbringen einen großen Teil ihres Stadtbesuchs sitzend und beobachtend. Dadurch zeigen sie, dass sie zu den weniger fitten zählen. Sitzen hat deshalb bei den fitteren ein negatives Image. Sie wollen sich bewusst davon abgrenzen und versuchen auf den Beinen zu bleiben oder wenigstens so zu wirken, als fiele ihnen dies leicht. Sie setzen sich nur hin, wenn es Anlässe gibt, die das quasi erzwingen, etwa wenn es Interessantes zu sehen gibt. Ohne solche Gelegenheiten brechen sie den Innenstadtbesuch eher vorzeitig ab, wenn die Kräfte nachlassen. Sitzgelegenheiten müssen also so zentral und attraktiv gestaltet werden, dass sie auch jüngere Menschen zum Verweilen einladen würden und dürfen nicht den Anschein von Abstellplätzen für gebrechliche Senioren erwecken.
Fast alle älteren Menschen verbindet eine Angst vor Enge und Gedränge, denn dadurch entsteht die Gefahr, zu stürzen. Die Städte müssen hier mit einem größeren Platzangebot reagieren, sowohl in den Läden als auch in den Straßen. Die Konsequenzen - sinkende Flächenumsätze und eventuell fallende Mietpreise - sollten die Vermieter rechtzeitig bedenken. Aufgrund ihrer oftmals geringen Kaufkraft bevorzugen ältere Menschen häufig Geschäfte mit niedrigem Preisniveau. Sammeln sich solche Läden an einem Ort, erhöht sich die Gefahr von städtischen Schmuddelecken, weil Billigläden das unterschiedlichste Klientel anlocken. Dieses Problem können Stadtverwaltungen nicht allein lösen: Die Geschäftsleute müssen Modelle entwickeln, bei denen geringe Produktpreise mit Sauberkeit und Sicherheit verbunden werden. Noch zwei weitere Faktoren spielen eine oft unterschätze Rolle für Innenstadtbesuche älterer Menschen: die Anfahrt und die Toilettensituation. Kräfte, die bereits bei der Anreise verbraucht werden, stehen in der Innenstadt selbst nicht mehr zur Verfügung. Die Angebote des Nahverkehrs müssen deshalb in die Planungen mit einfließen. Ist etwa der Schnee an den Einstiegshaltestellen nicht geräumt, wird eher auf den Innenstadtbesuch verzichtet, als ein Beinbruch riskiert. Dasselbe gilt, wenn zu wenige Rückfahrmöglichkeiten angeboten werden, weil dies die Angst auslöst, dass der Aufenthalt in der Innenstadt länger als geplant dauern könnte. Unmittelbar reiseverhindernd und dadurch umsatzmindernd wirkt sich auch ein mangelhaftes Angebot an Toiletten aus. Ältere Menschen haben in der vorliegenden Untersuchung eine deutliche Scheu vor unnötigen Wegen gezeigt. Befindet sich eine Toilette nicht unmittelbar vor Ort, wird der Innenstadtbesuch abgekürzt und abgebrochen. Deshalb ist es erforderlich, die typischen Wege älterer Menschen aufzuzeichnen und die Toiletten entsprechend anzubringen. Stadtverwaltungen haben hier nur begrenzte Möglichkeiten, weil an den ausgemachten Stellen nicht immer städtische Grundstücke verfügbar sind. Die Geschäftsleute müssen auch hier koordiniert handeln - in Einkaufszentren ist das Problem gelöst.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Friedrich Thießen, Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Telefon (03 71) 5 31 - 2 61 90, E-Mail finance@wirtschaft.tu-chemnitz.de.
Katharina Thehos
04.07.2007