Entgrenzung von Erwerbsarbeit und Familie
Soziologen der TU Chemnitz stellen auf einer Fachtagung am 13. Juli 2009 in München ihre Forschungsergebnisse vor
Prof. Dr. G. Günter Voß und Peggy Szymenderski von der Professur Industrie- und Techniksoziologie der TU Chemnitz fordern eine flexiblere Kinderbetreuung. Foto: Heiko Kießling |
Ein gemeinsamer familialer Alltag ist heute mehr denn je eine Baustelle. Nicht nur die Familien und Lebensmuster von Frauen und Männern werden vielfältiger und bewegter, gleichzeitig wird auch die Erwerbsarbeit deregulierter, flexibler und mobiler. Das bringt neue Freiheiten, aber auch Belastungen mit sich: Viele erwerbstätige Eltern bekommen Job und Familienleben nur schwer unter einen Hut. Die Brisanz dieser "Entgrenzungen" besteht darin, dass sie parallel geschehen, ohne aufeinander abgestimmt zu sein. Daraus resultieren beispielsweise sinkende Geburtenraten, Konflikte in der Partnerschaft und Unzufriedenheit von erwerbstätigen Eltern mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In einer breit angelegten qualitativen Studie haben Forscher der TU Chemnitz und des Deutschen Jugendinstituts in München untersucht, wie Mütter und Väter, die in der Filmwirtschaft und im Einzelhandel, zwei Branchen mit hoch flexiblen Arbeitsbedingungen, arbeiten, Familien- und Berufsleben organisieren.
Wie schaffen es Familien, ihren Alltag angesichts zeitlich flexibler, räumlich mobiler und unsicher gewordener Arbeits- und Lebensbedingungen zu organisieren? Und welche Chancen liegen in diesen Veränderungen für Beschäftigte, Familien und Betriebe? Einblicke in die schwieriger werdenden Abstimmungsprozesse zwischen entgrenzter Erwerbsarbeit und entgrenzter Familie liefert die Tagung "Wenn nichts mehr zusammenpasst - Entgrenzung von Erwerbsarbeit und Familie. Folgen für Betriebe, Kommunen und Gesellschaft", die am 13. Juli 2009 in München stattfindet. Die Professur für Industrie- und Techniksoziologie der TU Chemnitz wird einen Teil der Ergebnisse vorstellen. Darüber hinaus diskutieren Experten aus Politik und Gewerkschaften, welche Bedeutung die Projektergebnisse für sie als Akteure haben und welche Handlungsfelder sich daraus ergeben.
"Schon die gemeinsame Anwesenheit von Familienmitgliedern will organisiert sein, Zeitlücken für das Familienleben müssen gefunden, Pflichten neu ausgehandelt und Arbeitsteilungsmuster, auch zwischen den Geschlechtern, neu definiert werden", weiß Peggy Szymenderski, Doktorandin der Professur für Industrie- und Techniksoziologie. Eltern müssen zum einen die Flexibilisierung der Arbeitswelt mit ihrer eigenen Lebenswelt unter einen Hut bekommen. Dies bringt Familien oft an ihre Leistungsgrenzen. Es sind viele Anstrengungen und Einfallsreichtum notwendig, um eine gemeinsame familiale Lebensführung zu etablieren. Sollten sich die mehrfachen Entgrenzungen forciert fortsetzen, droht eine "Reproduktionslücke" in den Familien mit massiven Konsequenzen für die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft. Derzeit fangen das die Eltern noch auf, indem sie bewusst eigene Erholungsbedürfnisse zurück stellen. Die erwerbstätigen Mütter und Väter halten das Familienleben trotz ihrer hohen eigenen Erschöpfung am Laufen, weshalb ein gesellschaftlicher und politischer Nachsteuerungsbedarf unabdingbar ist.
Alle Forschungsergebnisse finden sich im Buch zum Projekt:
Jurczyk, Karin/ Schier, Michaela/ Szymenderski, Peggy/ Lange, Andreas/ Voß, G. Günter
Entgrenzte Arbeit - entgrenzte Familie. Grenzmanagement im Alltag als neue Herausforderung Berlin: edition sigma 2009, ISBN: 978-3836087001
Weitere Informationen erteilen Prof. Dr. G. Günter Voß, Telefon 0371 531-32480, E-Mail guenter.voss@phil.tu-chemnitz.de, und Peggy Szymenderski, Telefon 0371 531-35561, E-Mail peggy.szymenderski@phil.tu-chemnitz.de
(Autorin: Anett Stromer)
Katharina Thehos
10.07.2009