Auf der Suche nach neuen Ideen für alte Reifen
Julian Gabriel schnuppert zum Abschluss seines Bachelorstudiums im Wirtschaftsingenieurwesen Praxisluft bei MAN Ferrostaal in Bolivien
Julian Gabriel verschafft sich einen Überblick über die Reifenberge. Foto: privat |
"Unsere Studienordnung sieht ein Praktikum von neun Wochen vor - das war mir zu wenig", erzählt Julian Gabriel, der seit 2006 im Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Chemnitz eingeschrieben ist. "Im Sommersemester 2009 habe ich meine letzten Prüfungen geschrieben und mich gleichzeitig nach einem Praktikum umgeschaut", so der 24-Jährige. Er wollte die Gelegenheit nutzen, weitere Erfahrungen in Südamerika zu sammeln, wo er bereits seinen Zivildienst absolviert hatte. "Ich war damals in Bolivien und habe großes Interesse an Land und Leuten gefunden - man könnte sagen, ich habe mich verliebt", so Gabriel, der aus Hannover stammt und sich deshalb zuerst auf der Hannover Messe um Kontakte bemühte. "Für eine so große Messe bin ich mit recht wenigen Kontakten vom Hof geritten. Auch der Versuch, Verbindungen aus meiner Zivildienstzeit zu nutzen, war wenig ergiebig, da ich damals ausschließlich im sozialen Bereich tätig war", erzählt er. Zum Ziel geführt hat es ihn schließlich, "Augen und Ohren offen zu halten", wie er sagt - und den Zufall zu nutzen: Im Zentrum für Fremdsprachen der TU Chemnitz, wo er einen Spanischtest zur Beantragung von Auslands-BAföG absolvieren musste, lernte er Dozentin Ainhoa Alvarez Mugira kennen. "Sie hat mich auf einen TU-Mitarbeiter hingewiesen, der mal Praktikant in Bolivien war. Und der kannte eine Anja, die wiederum einen Alexander kannte - und der war mein Vorgänger als Praktikant bei MAN Ferrostaal", erzählt Gabriel.
Dort ist er seit Oktober 2009 und voraussichtlich noch bis zum kommenden März unter Vertrag. "MAN Ferrostaal hat in Bolivien ein Büro in La Paz und seit kurzem eine weitere Niederlassung in Santa Cruz mit insgesamt 16 Mitarbeitern", berichtet der Student und ergänzt: "Das Unternehmen arbeitet hier hauptsächlich mit Druckmaschinen - aber nicht ausschließlich." Er ist für ein Projekt verantwortlich, in dem es um Reifenrecycling geht. "Bolivien ist - aus wirtschaftlicher Sicht - ein sehr schwaches Land. Bolivien verfügt über keine Reifenfabrik und das Importieren von neuen Reifen ist sehr teuer. Aus diesem Grund ist ein Reifen, der beispielsweise in Deutschland nicht mehr zugelassen ist und von der Felge muss, hier heiß begehrt", sagt Gabriel und erklärt: "Viele Länder wie Bolivien importieren Second-hand-Reifen aus Europa und den USA. Da diese dann aber schon zur Hälfte abgefahren sind, ist die Lebenserwartung dementsprechend gering und liegt bei etwa sechs Monaten. Dies führt zu einer enormen Ansammlung von wirklich unbrauchbaren Reifen in Bolivien." Da das Umweltbewusstsein in dem südamerikanischen Land aus verschiedenen Gründen nicht so ausgeprägt sei wie etwa in Deutschland, würden die meisten abgefahrenen Reifen entweder in den nächsten Fluss geworfen oder einfach dort liegen gelassen, wo sie gewechselt wurden. In der Regenzeit der vergangenen zwei Sommer hat sich dadurch das Denguefieber stark ausgebreitet, eine Infektionskrankheit, die von Stechmücken übertragen wird und lebensbedrohlich sein kann. "Die Mücken können sich ungestört und ohne natürliche Feinde in den Wasserpfützen in einem achtlos weggeworfenen Autoreifen vermehren", erklärt Gabriel den Zusammenhang der Krankheitswellen zu den Versuchen von MAN Ferrostaal, Möglichkeiten für das Recycling von Altreifen zu finden. Als Projektverantwortlicher ist es seine Aufgabe, die Reifenmenge zu ermitteln, die sich bisher in Bolivien angesammelt hat, sowie festzustellen, wo im ganzen Land diese verteilt sind und wie schnell der Berg wächst. Außerdem muss er den Standort der Recyclinganlage definieren und Verwendungsmöglichkeiten für das gewonnene Gummigranulat finden. "Derzeit besteht die Überlegung, das Gummigranulat im Straßenbau als Asphaltadditiv und als Grundlage für Kunstrasen zu verwenden. Zu diesen Themen habe ich auch schon Kontakt mit Maschinenbauern der TU Chemnitz aufgenommen, die in ähnlichen Gebieten forschen", so Gabriel.
Dass Bolivien zu den wirtschaftlich schwächsten Länder auf dem südamerikanischen Kontinent zählt, ist für ihn kein Grund, dort nicht ein Praktikum als Wirtschaftsingenieur zu absolvieren - im Gegenteil: "Ich würde nicht behaupten, dass es in einem hoch entwickelten Industriestaat wie Deutschland einfacher wäre, wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen. Nur weil es in Bolivien keine ausgeprägte Produktion gibt, heißt das nicht, dass man nichts lernen kann."
Kontakt:
Studierenden, die sich ebenfalls für ein Praktikum in Südamerika und vor allem in Bolivien interessieren, steht Julian Gabriel gern Rede und Antwort: julian.gabriel@s2006.tu-chemnitz.de
Katharina Thehos
10.12.2009