Visionen und Konzepte für die automobile Fördertechnik
Fachtagung zeigte maßgeschneiderte Lösungen von Materialfluss-Systemen bis hin zu automobiler Verstelltechnik
Mehr als 60 Vertreter der Automobilbranche folgten am 31. März der Einladung zur Fachtagung "Entwicklungstrends und Tendenzen in der automobilen Fördertechnik” im Rahmen des 175-jährigen Jubiläums der Technischen Universität Chemnitz. Ziel der von der GWT, dem Institut für Fördertechnik und Kunststoffe der TU Chemnitz und der AMZ - Verbundinitiative Automobilzulieferer Sachsen organisierten Veranstaltung war es, gemeinsam mit Anwendern, Zulieferern und Wissenschaftlern der Automobilindustrie aktuelle Probleme und zukünftige Herausforderungen für die Optimierung von Produktionsprozessen sowie der innerbetrieblichen Logistik zu erörtern.
Die Automobilindustrie steht heute vor mehreren großen Herausforderungen. Die Wettbewerbsfähigkeit wird nicht mehr ausschließlich durch die traditionellen Faktoren Qualität und Kosten bzw. Preise bestimmt. Vielmehr spielt der Faktor Zeit im Rahmen von immer kürzeren Produktlebenszyklen, schneller aufeinander folgenden technologischen Entwicklungen und gestiegenen Flexibilitätsanforderungen eine entscheidende Rolle. Ein verändertes Kundenverhalten und die Emotionalisierung der Automobilnutzung haben dazu geführt, dass zukünftig individuellere und ihren Mobilitätsbedürfnissen entsprechende Fahrzeuge im Mittelpunkt der Automobilproduktion stehen. Eine größere Vielfalt an Farb-, Ausstattungs- und Komfortmöglichkeiten sind die Folge. Dadurch müssen die Automobilhersteller und deren Zulieferer mit einer explodierenden Variantenvielfalt, kombiniert mit einer wesentlich höheren Sperrigkeit der Komponenten fertig werden. Zusätzlich werden die Auftragszeiten immer kürzer und der Lebenszyklus eines Modells nimmt weiter ab. Daraus resultiert, dass sich die einzelnen Komponenten eines Fahrzeuges immer öfter ändern, worauf die logistische Kette angepasst werden muss.
Vor allem in der Automobilzulieferindustrie wird in der Optimierung der Lieferkette eine wichtige Maßnahme zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gesehen. Wesentliche Trends sind die Just-in-time- bzw. Just-in-Sequence-Fertigung, die Dezentralisierung, die Massenindividualisierung, die Null-Fehler-Strategie und die Verkürzung von Durchlaufzeiten. Konzepte dieser Art sind nur durch weitere Effizienzsteigerungen in der Lieferkette zu verwirklichen. Die schnelle und sichere Verfügbarkeit aller Ressourcen spielt dabei eine zentrale Rolle, verdeutlichte Dr. Stefan Loth von der Volkswagen AG Wolfsburg. Prof. Dr. Egon Müller, Leiter des Instituts für Betriebswissenschaften und Fabriksystem der TU Chemnitz, verdeutlichte in seinem Vortrag, dass durch die zunehmend dynamischer und unkalkulierbarer werdenden Märkte zeitnah Lösungen für eine energieeffiziente, ressourcenschonende und flexible Materialbereitstellung gefunden werden müssen. Aufgrund der Trendentwicklungen hinsichtlich Produktlebenszyklen, Individualisierung der Kundenwünsche als auch Globalisierungsbestreben und Anpassung an internationale Märkte und Normen sind die Anforderungen an wandlungsfähige Fabrikstrukturen, welche sich den jeweiligem Produktionsprozess anpassen lassen, stark gestiegen. Dabei helfen Fahrerlose-Transportsysteme, Durchlaufregalsysteme, Routenzüge und weitere innovative Materialflusslösungen.
"Dabei existiert schon seit Jahren in der Automobilproduktion die Idee, Material vom Supermarkt bis an die Produktionslinie nicht einzeln bewegen zu müssen", so Christian Schultz von der Trilogiq Deutschland GmbH. Um diesen Kundenwünschen gerecht zu werden, entwickelte das Unternehmen Shooter-Systeme, welche unnötiges Materialhandling verringern sowie eine schnellere Übergabe zwischen Logistik und Montage und damit eine höhere Taktfrequenz im Logistikbereich ermöglichen. Mittels der Shooter wird ein automatischer und prozesssicherer Materialaustausch von Voll- und Leergut realisiert. Doch nicht nur an diesem Beispiel, sonder auch an andere Konzepte lassen erkennen, welche entscheidende Rolle die richtige Auslegung der Fördertechnik in der Produktionshalle spielt. Produktivität, Flexibilität, und Ergonomie sind dabei bestimmende Faktoren in der Entwicklung von maßgeschneiderten Lösungen für die automobile Fördertechnik. Beim Transport und Handling von PKW-Karosserien in Endmontagelinien sind vor allem höhenverstellbare Lastaufnahmemittel nicht mehr wegzudenken. Um große Lasten und Entfernungen überwinden zu können wurden so genannte Elektrohängebahnen mit Hubgehänge entwickelt, welche durch verschiedene Freiheitsgrade wie Fahren, Heben, Schwenken und Drehen eine ergonomische und effiziente Montage ermöglichen. "Da beim Zusammenfügen der Rohkarosserie mit den restlichen Teilen immer noch große Arbeitsumfänge manuell durchgeführt werden, erwartet der Kunde nicht nur eine durchgängige, technische Lösungen sondern auch die Möglichkeit, individuelle Hubhöhen für ein ergonomisches Arbeiten einstellen zu können", erklärte Dr. Roland Aßmann von der SIEMENS AG Industry Sector. Um jederzeit den Kundenansprüchen gerecht zu werden ist ein dauerhafter Entwicklungsprozess unumgänglich. So optimierte SIEMENS in den letzten Jahren seine Hubgehänge mit dem Ergebnis, dass die Baulänge um ca. 10 Prozent verkürzt, das Gewicht um ca. 25 Prozent verringert und die elektrischen Komponenten um 40 % reduziert werden konnten. "Dabei ist eine Optimierung solch komplexer Systeme nur bei einer interdisziplinären Zusammenarbeit erfolgversprechend", so Aßmann.
Aufgrund der Produktvielfalt und hohen Kapazitäten in der Automobilproduktion wird zunehmend Fördertechnik nach dem Baukastenprinzip eingesetzt. Neben den beschriebenen Hubgehängen kommt im Karosserierohbau, in der Lackiererei und der PKW-Endmontage ebenso Skid-Fördertechnik zum Einsatz. Diese bieten durch eine Vielfalt von Einzelförderkomponenten ein maßgeschneidertes raumsparendes Fördersystem. Somit können Erweiterungen und Umbauten von vorhandenen Anlagen ohne längere Unterbrechung durchgeführt werden. "Um dem zukünftigen Druck von Wettbewerb, Kundenerwartung und Globalisierung Stand zu halten müssen wir intelligente Konzepte für attraktive Produktion schaffen", stellte Thomas Faisz, Geschäftsführer der AFT Förderanlagen Bautzen GmbH & Co. KG, in seinem Referat fest. Das war für AFT Anlass ein kostengünstiges und vielseitig einsetzbares Bodentransportsystem zu entwickeln, welches durch eine mechanische Spurführung auf Kurs gehalten und durch Schleifleitungen mit Energie versorgt wird.
Dass die Fördertechnik nicht nur in der Automobilproduktion eingesetzt wird sondern auch Innovationsgeber für die automobile Verstelltechnik ist, zeigte Alwin Macht, Entwicklungsleiter der Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG. Das Unternehmen beliefert mehr als 40 Automobilhersteller sowie Zulieferer mit mechatronischen Systemen und Elektromotoren für Karosserie und Innenraum. Dazu gehören unter anderem Strukturen und Komponenten für Fahrzeugsitze, Module und Komponenten für Fahrzeugtüren als auch Heckklappen und Schließsysteme. Dass Verstelltechnik im Automobil eine Fördertechnik für Jedermann ist, zeigte die Entwicklung des elektrischen Gurtbringers Brose EasyBelt, welcher das Anlegen des Sicherheitsgurtes erleichtert. Hier wurde eine Zahnstange nach dem Vorbild von Mastaufzügen eingesetzt. Aber auch Schneckenförderer standen Modell.
Während der Veranstaltung betonten die Referenten dabei jedoch immer wieder, wie wichtig für innovative und markttaugliche Entwicklungen eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft ist. Auch Christoph Zimmer-Conrad vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst als Leiter des Referats Technologieförderung und -politik bestärkte in seinem Grußwort zur Veranstaltung die Unternehmen und Forschungseinrichtungen zur gemeinsamen FuE-Arbeit. "Um die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland auch weiterhin zu stärken stehen eine Reihe an Technologieförderprogrammen zur Verfügung, die es nur zu nutzen gilt", so Zimmer-Conrad. Getreu dem Motto "Trends in der Fördertechnik".
Dass Kooperationen für Produkt- und Prozessentwicklungen zwischen Unternehmen und Universitäten erfolgversprechend sind, zeigte auch Prof. Dr. Klaus Nendel, Leiter des Instituts für Fördertechnik und Kunststoffe der TU Chemnitz. In der Vergangenheit konnte sein Team durch kompetente Forschungsarbeit bei der Lösung einer ganzen Reihe firmeninterner Problemstellung unterstützen. Unter anderem war die Professur für Fördertechnik intensiv an der Entwicklung der Shooter-Systeme von Trilogiq beteiligt. "Zukünftig werden in der Fördertechnik vor allem Konzepte zur Reibwertminderung in Abstützungen und Führungen von Zug- und Tragmittel sowie zur Material- und Massereduzierung von Bedeutung sein", so die Prognose von Prof. Nendel.
Bei einem abschließenden Rundgang durch die Forschungshalle und den Laborräumen des Instituts für Fördertechnik und Kunststoffe konnten sich die Teilnehmer der Veranstaltung praxisnah von den Ergebnissen der universitären Forschungsarbeit überzeugen. Neben verschiedenen Bodenfördersystemen und Elektrohängebahnen gab es auch eine recht junge Innovation für im Stückguttransport eingesetzte Gestellelemente zu sehen. "Um die Initiierung von FuE-Projekten und den Technologietransfer in unserem Land zu stärken, müssen wir Plattformen schaffen, die den Erfahrungs- und Wissensaustausch Industriepartnern, Dienstleistern, Wissenschaftlern zwischen fördern. Genau das ist uns mit der Fachtagung `Entwicklungstrends und Tendenzen in der automobilen Fördertechnik´ gelungen", zog GWT-Geschäftsführer Claus-Peter Held sein Fazit zur Veranstaltung. Als Dienstleistungsunternehmen unterstützt die GWT Unternehmen und Forschungseinrichtungen bei der Realisierung von Innovations- und Technologietransfer. Nach mehr als positivem Feedback und weiteren Themenwünschen seitens der Teilnehmer ist eine Fortsetzung der Veranstaltung geplant.
(Autoren: Denise Lippmann und Florian Drechsler)
Katharina Thehos
11.04.2011