Schöne Beine für Sachsen
Hans Thierfelder ist Absolvent der Höheren Fachschule für Wirkerei und Strickerei in Chemnitz und war einer der bedeutendsten Strumpffabrikanten in Deutschland
Sie sind beige, schwarz, rot, blau mit grünen Streifen oder Blumenmuster, glänzend oder matt, als Paar erhältlich, für Jung und Alt unverzichtbar, machen schön und schützen nicht zuletzt vor Kälte. Strümpfe und Strumpfhosen in den unterschiedlichen Farben und Formen zieren weltweit die Beine vieler Frauen. Aber nur die Wenigsten von ihnen wissen, dass es ohne einen Absolventen aus Chemnitz heute vielleicht keine Feinstrumpfhosen geben würde.
Im Jahr 1863 ließ sich der englische Erfinder William Cotton seine Wirkmaschine zur Herstellung von Strümpfen patentieren, die unter dem Namen "Cottonmaschine" bekannt wurde. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Modellen konnte Cottons zeitgleich acht bis 36 Strumpflängen herstellen, was eine Massenproduktion von Strümpfen ermöglichte. Der Chemnitzer Maschinenfabrikant Hermann Stärker erwarb das Lizenzrecht für diese Maschinen und produzierte zusammen mit Fabriken in Chemnitz, Oberlungwitz und Hohenstein-Ernstthal bis zu 75 Prozent der weltweiten Cottonmaschinen. Damit entstanden in Sachsen Monopole in der Strumpfindustrie und der Herstellung von Cottonmaschinen. Alleine in Auerbach stellten um 1923 19 Betriebe Strümpfe her. Einer der bekanntesten Betriebe gehörte August Robert Wieland (1862 bis 1940) aus Auerbach, dessen Initialen den Firmennamen ARWA (August Robert Wieland Auerbach) bildeten.
Rund 50 Jahre nach der Patentanmeldung von Cotton kam am 4. März 1913 in Auerbach Wielands Enkel Hans Thierfelder zur Welt. Der Junge wurde nach dem Tod des Vaters, er war damals vier Jahre alt, von seinem Großvater und Onkel aufgezogen, die ihn stark beeinflussten. Es war somit nicht überraschend, als der junge Hans nach dem Besuch der Volkshochschule in Auerbach, der Realschule in Thum, Oberschule in Klotzsch und dem Gymnasium in Neuenburg eine Ausbildung als Textilingenieur an der Höheren Fachschule für Wirkerei und Stickerei in Chemnitz absolvierte. Diese Fachschule ging später in die heutige Technische Universität Chemnitz ein. Nach der Ausbildung lernte Thierfelder im Betrieb des Großvaters, bis er zum Kriegsdienst einberufen wurde. Im Zeitraum von 1941 bis 1944 leistete er seinen Dienst bei der Marine und beendete diesen mit dem Rang eines Leutnants der Reserve.
Während Thierfelder seinen Dienst bei der Marine absolvierte, produzierte ARWA ab 1943 gegen ihren Willen statt Feinstrumpfhosen für Frauenbeine für das Rüstungsunternehmen AGO Flugzeugwerke GmbH Oscherleben. Die Enteignung der Firma folgte 1946 per Volksentscheid. Die Enteignung traf Thierfelder schwer, der seit dem Tod des Großvaters im Jahr 1940 die Firma leitete. Ohne Firma und Zukunftsperspektiven ging er zusammen mit seiner Frau Ursula, geborene Thies (1923 bis 2000), nach Westdeutschland, wo sie mit ein paar wenigen Habseligkeiten in einer Hotelpension in Berlin-Charlottenburg lebten.
Allerdings ließ ihn das Strumpfgeschäft nicht los. Jedoch gab es in Westdeutschland, anders als in Sachsen, kaum jemanden, der Cottonmaschinen und Strümpfe herstellten konnte, worin Thierfelder seine Chance sah, seine Firma neu aufzubauen. Er versprach seinen ehemaligen Kunden, bis Pfingsten 1949 wieder Strümpfe zu produzieren, wenn sie ihm dafür vorab zehn Prozent des Marktpreises zahlten. Mit rund zwei Millionen Mark in der Tasche reiste Thierfelder nach Amerika, wo deutsche Auswanderer Cottonmaschinen herstellten. Die neuen Maschinen kosteten 30.000 Dollar und waren für den Unternehmer nicht zu finanzieren. Darum kaufte er lediglich zwölf gebrauchte Maschinen, die die Auswanderer aus Sachsen mit in die USA genommen hatten. Am 26. Dezember 1948 kamen die Maschinen im Bremerhaven an und wurden nach Backnang (Baden-Württemberg) transportiert, wo Thierfelder eine neue Fabrik entstehen ließ. Zusammen mit seinen Wirkmeistern, die er aus Auerbach abgeworben hatte, lieferte er pünktlich zu Pfingsten die ersten Strümpfe aus. Dank des stetig wachsenden Umsatzes, entstanden weitere Werke in Unterrot (heute Stadtteil von Gaildorf bei Stuttgart), in Berlin, im bayerischen Bischofswiesen, im österreichischen Bad Deutsch-Altenburg und im südafrikanischen Parys. Besonders das Werk in Bischofswiesen erregte als gläserne Fabrik Interesse, denn die Besucher konnten die Strumpfproduktion selbst mit verfolgen.
Eine weitere Idee, neben der gläsernen Fabrik, hatte Thierfelder um 1951. Seine Firma bemerkte, dass die Strümpfe die Frauen nicht überzeugten, denn sie passten ihnen nicht mehr perfekt. Der Unternehmer ließ daraufhin 10.000 deutsche Frauenbeine vermessen, um eine Marktanalyse durchzuführen. Um die Frauen zu animieren an der Vermessung teilzunehmen, wurde unter allen Teilnehmerinnen eine Beinkönigin gewählt. Im Juni 1951 erhielt die Bremerin Gonda Sureen den begehrten Titel und Thierfelder wertvolle Daten. Er erkannte beispielsweise, dass die Frauen durch die harte Kriegsarbeit, kräftigere Beine bekommen hatten, und passte seine Produktion dahingehend an. Aber auch seine Frau Ursula gewann wertvolle Informationen über ihre Kundinnen, indem sie selbst Strümpfe verkaufte und Strumpfsprechstunden einführte. Ihr Mann tat es ihr gleich und führte im Betrieb ebensolche Sprechstunden ein, was ein gutes Betriebsklima und hohe Produktionen zur Folge hatte. Zum Beispiel arbeiteten um 1952 rund 1.450 Mitarbeiter für Thierfelder und erwirtschafteten 20 Prozent der westdeutschen Produktion von Feinstrümpfen. ARWA wurde die größte deutsche Feinstrumpffabrik.
Auf das wirtschaftliche Hoch folgte ein Tief. Ab Juni 1956 begannen sich die Feinstrumpffirmen gegenseitig in ihren Preisen zu unterbieten, was zu geringeren Mitarbeiterlöhnten führte. Am 11. Juli 1958 kam es schließlich zu einem Streik der ARWA-Mitarbeiter. Doch dieser war nur einer von vielen Auslösern, die im September 1973 zum Verkauf der Fabriken an den amerikanischen Konkurrenten Hudson führte.
Nach dem Verkauf seiner Firma lebte Hans Thierfelder mit seiner Frau in Bischofswiesen, München, St. Moritz sowie auf Sylt, wo er am 23. Januar 1987 verstarb. Mit seinem Tod verblassten die Erinnerungen an Thierfelder jedoch nicht. Heute weisen Straßenschilder in Unterrot und das unter Denkmalschutz gestellte Werk in Auerbach auf ARWA hin. Daneben finden Ausstellungen in Auerbach und Gaildorf statt, die an das Leben des Strumpffabrikanten und Chemnitzer Absolventen Hans Thierfelder erinnern.
(Autorin: Sandra Edel)
Katharina Thehos
08.05.2012