Arbeit am perfekten Sandwich
Wissenschaftler des Bundesexzellenzclusters MERGE entwickeln stabile Leichtbauwerkstoffe aus Textil und Schaum – Erste Anwendungen in Kopfstütze und Testsitz für Demonstrator-Pkw
Es sieht aus wie eine Mischung aus Hexenküche und Chemiezimmer: ein Behälter füllt sich mit Schaum. Er steigt und steigt – und läuft über. „Das ist gewollt“, erklärt Song Ren vom Forschungsfeld „Textile- /Kunststoffbasierte Technologien“ (IRD C) des Bundesexzellenzclusters MERGE der Technischen Universität Chemnitz. „Wir analysieren das Ausbreitungsverhalten verschiedener Schäume. Anhand dieser Daten erstellen wir ein Simulationsprogramm, was wir später wiederum zur Herstellung anderer Bauteile mit PUR-Schaum nutzen können.“
Der MERGE-Forschungsbereich C5, in dem auch Ren tätig ist, arbeitet mit der Methodik „CS-POD“ (Car Seat Physiologically Optimised Design) langfristig an einem komfortablen und stabilen Autositz der Zukunft. Bestehen soll er aus einer hybriden Sandwichstruktur aus sogenanntem „Organoblech“ als Deckflächen und einem Kern aus mit 3D-Gewirken verstärktem Schaumstoff. Ressourcenschonend hergestellt soll das Bauteil so nicht nur besonders leicht, fest und stabil, sondern auch individuell an die Bedürfnisse des Fahrers angepasst sein. „Mass customization“ ist dabei das Schlüsselwort, denn die Herstellung soll nach individuellen Parametern und gleichzeitig in Großserie erfolgen. Mit dem besonderen Hybridverbund ist beides möglich, da er in Spritzgießumgebung hergestellt wird und als Leichtbauteil intelligent aufgebaut ist. Der Kern besteht aus 3D-Gewirken – zwei textilen Wabenflächen, die durch sogenannte Monofile (einfädige Endlosgarne) auf Abstand gehalten werden. Diese einzelnen Fasern stehen senkrecht zwischen den Deckschichten. Dazwischen wird Weichschaum eingespritzt, der sich um die Fasern legt, aushärtet und einen stabilen Verbund erstellt.
Gerade erforscht das Team um Song Ren, Kay Schäfer und Jonas Stiller vom MERGE-Forschungsbereich C5, wie viel Reaktionsmasse des Schaumes gebraucht wird, um eine Form vollständig zu füllen, ohne dass der Schaum überläuft. „Dazu messen wir die Viskosität des Schaums und die Temperatur. Die virtuelle Expansion ermittelt dann unser Kooperationspartner in diesem Projekt, das Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik“, erklärt Song Ren. „Unsere Untersuchungen führen wir einerseits mit dem reinen Schaum durch, andererseits mit Schaum im Gewirke, um zu sehen, wo die Unterschiede im Verhalten liegen. Wir messen die Dichtedivergenzen im Computertomograph und führen schließlich alle unsere Daten in der Simulation zusammen“, so der Wissenschaftler weiter. Dadurch können er und seine Kollegen später genau vorhersagen, wie viel Schaum eingespritzt werden muss, um ein individuelles Bauteil mit den gewünschten Komfort-Eigenschaften zu erhalten. Bis das Verfahren zuverlässig funktioniert, werden die Ergebnisse immer wieder in experimentellen Versuchen überprüft und validiert.
Eine individuell gestaltbare Kopfstütze ist bereits fertig, ein erster kompletter Autositz befindet sich in der Testphase. Nächstes Jahr soll dann der fertige Sandwich-Sitz in einen Demonstrator-PKW eingebaut werden.
Die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse wurden u. a. veröffentlicht in:
I. E. Ireka, D. Niedziela, K. Schäfer, J. Tröltzsch, K. Steiner, F. Helbig, T. Chinyoka, L. Kroll: Computational modelling of the complex dynamics of chemically blown polyurethane foam. Physics of Fluids 27, 113102 (2015); DOI: 10.1063/1.4935788
http://dx.doi.org/10.1063/1.4935788
K. Schäfer, S. Valentin, B. Meier, I. Roth, F. Helbig: Comparing composites made from hard and soft materials: Increasing the performance of rigid, hard pur foams by incorporating soft, elastic 3D warp-knitted textiles. Kettenwirk-Praxis - Technical Textiles, 2014, 4: 32-35.
V. J. Dura Brisa, F. Helbig, L. Kroll: Numerical characterisation of the mechanical behaviour of a vertical spacer yarn in thick warp knitted spacer fabrics. Journal of Industrial textiles, 2014, 0 (00): 1-17; DOI: 10.1177/1528083714523164.
(Autorin: Jana Mischke)
Mario Steinebach
12.11.2016