Woher Weihnachten kommt
Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelin, Inhaber der Juniorprofessur Antike und Europa mit besonderer Berücksichtigung der Antikerezeption, erläutert den Ursprung des Weihnachtsfestes
Die Geburt Jesu zu feiern, war nicht immer üblich. Zumal sein Geburtsdatum gar nicht feststeht. Doch wie ist es dann dazu gekommen, dass wir heutzutage Weihnachten und damit das Kind in der Krippe feiern? Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelin, Inhaber der Juniorprofessur Antike und Europa mit besonderer Berücksichtigung der Antikerezeption an der Technischen Universität Chemnitz, erklärt die Hintergründe.
Alle Feste, die regelmäßig begangen werden, haben eine Geschichte: Irgendwann nehmen sie ihren Ursprung; im Lauf der Zeit verändern sie sich; schließlich werden sie ersetzt oder aufgegeben. Eines der ältesten Feste der Menschheitsgeschichte ist das Weihnachtsfest. Es hat schon viele Veränderungen mitgemacht. Die bekannteste der jüngeren Geschichte ist sicherlich der globale Siegeszug des Weihnachtsbaumes, der erstmals für das frühe 17. Jahrhundert im Elsass urkundlich bezeugt ist. Er ersetzte die ältere, bis in die Spätantike zurückreichende Tradition, in der Weihnachtszeit die Häuser mit Zweigen zu schmücken. Die weihnachtlichen Festtraditionen sind also fortwährend im Wandel. Doch wo hat das Fest eigentlich seinen Ursprung genommen?
Das Weihnachtsfest war und ist zunächst einmal ein religiöses Fest: Christen feiern an Weihnachten bekanntlich die Geburt von Jesus, den sie als Sohn und zugleich als Wesensteil ihres Gottes verehren. Unter den christlichen Festen ist das Weihnachtsfest heutzutage sicherlich das prominenteste, wenngleich es nicht das bedeutendste ist: In der Moderne gilt insbesondere Ostern als wichtiger. In der Antike galt hingegen die Feier der Taufe Jesu als bedeutsamer, weil in diesem Augenblick seine göttliche Natur und sein göttlicher Auftrag enthüllt worden seien; die Taufe wurde meistens Anfang Januar gefeiert. Den Geburtstag Jesu hingegen hielten die antiken Christen nicht für feiernswert.
Und selbst wenn sie Jesu Geburtstag hätten feiern wollen, wäre das gar nicht so einfach gewesen. Zwar ist die historische Existenz Jesu verbürgt, doch lässt sich aus den überlieferten Informationen nicht einmal sein Geburtsjahr eindeutig identifizieren. Sein Geburtstag wird in den wichtigsten Quellen für sein Leben gar nicht näher bestimmt. Bei diesen Quellen handelt es sich vor allem um die vier Evangelien, die Teile des Neuen Testaments sind und damit zu jenem Teil der biblischen Schriften gehören, die von Christen, jedoch nicht von Juden anerkannt werden. Diese mehrere Jahrzehnte nach Jesu Tod abgefassten Bücher bieten unterschiedliche Jesus-Biografien, die zwar in vielen Punkten – zum Teil wortwörtlich – übereinstimmen, sich jedoch auch in wesentlichen Aspekten unterscheiden oder sogar Widersprüche aufweisen. Das ist nur für moderne Leserinnen und Leser irritierend. Die Evangelien gehören zum literarischen Genre der antiken Biografie, die darauf ausgerichtet war, dem Leser einen Eindruck vom Charakter des Portraitierten zu verschaffen. Deshalb konnten auch Geschichten erzählt werden, die aufgrund des Charakters der Person so hätten geschehen sein können, obwohl sie nicht wirklich in der berichteten Form passiert sind. Unter diesem Gesichtspunkt wird verständlich, warum es vier unterschiedliche Jesus-Biografien im Neuen Testament problemlos geben konnte: Sie alle porträtieren Jesus auf ihre ganz bestimmte und eben durchaus unterschiedliche Art und Weise.
Die Differenz der Evangelien wird anhand der Weihnachtsgeschichten klar ersichtlich: Das älteste Evangelium, das Markus-Evangelium, schreibt überhaupt nichts über Jesu Geburt. Das jüngste, das Johannes-Evangelium, beschränkt sich auf eine knappe Formulierung. Ausführlicher und bildhafter sind hingegen die Geburtserzählungen bei Lukas und Matthäus. Zusammen bilden ihre Schilderungen bis heute die Grundlage jeder Weihnachtserzählung.
Die dort verwendeten Bilder prägen bis heute die Bildkunst, von antiken Fresken bis hin zu erzgebirgischen Weihnachtsbergen. Besonders nachhaltig wirkte das Lukas-Evangelium: Es schildert die Reise von Maria und Josef nach Bethlehem, beschreibt, wie Maria ihr Kind in eine Krippe legt, und erzählt vom Chor der Engel, welche die in der Nähe lagernden Hirten über die Geburt des Heilands informieren und sie zu einem Besuch animieren.
Im Gegensatz zu der Erzählung bei Lukas wird im Evangelium des Matthäus eine äußerst politische Geschichte erzählt: Drei persische Sterndeuter – die später die drei Weisen oder die drei Heiligen Könige genannt wurden – machen sich auf, um dem Neugeborenen als neuem König der Juden zu huldigen. Sie erkundigen sich nach dem Kind ausgerechnet bei dem amtierenden König in Jerusalem, der in dem Kind einen Konkurrenten wittert und infolgedessen alle Neugeborenen in Bethlehem ermorden lässt. Jesus und seine Familie werden jedoch zuvor gewarnt und entfliehen nach Ägypten.
Keine dieser Geschichten schien aus sich heraus dafür prädestiniert, Jesu Geburtstag immer wieder zu feiern. Noch im 3. Jahrhundert hat der Theologe Origines über den Versuch gespottet, den Geburtstag Jesu zu begehen; für die antiken Christen war der jeweilige Todestag wichtiger, weil dies den Beginn ihres ewigen Lebens im Himmel markieren sollte. Das früheste Zeugnis, das demgegenüber den Tag der Geburt Christi auf den 25. Dezember datiert, findet sich in einer kalendarischen Sammlung aus Rom, deren Quellenmaterial sich auf das Jahr 336 zurückführen lässt. Bereits zehn Jahre vorher findet sich auf einem Sarkophagdeckel in Rom die älteste erhaltene Darstellung von Christi Geburt. 335 wurde in Bethlehem die Geburtskirche eingeweiht. Die Wertschätzung und Feier der Geburt Christi setzte sich also offenbar im Römischen Reich seit dieser Zeit durch. Und in der Tat finden sich kurze Zeit später in zeitgenössischen Predigten Belege, dass der Geburtstag Jesu am 25. Dezember auch als Festtag begangen wurde. Doch warum feierte man nun, mehr als drei Jahrhunderte nach der Geburt Jesu, auf einmal dessen Geburtstag?
Die genauen Gründe dafür sind in der Forschung bis heute umstritten. Es lassen sich auf Grundlage der verfügbaren Quellen zwei mögliche Begründungen formulieren: Die sogenannte apologetisch-religionsgeschichtliche Hypothese besagt, dass das Weihnachtsfest auf den 25. Dezember gelegt wurde, um ein Gegengewicht zu paganen Festen zu bilden, vor allem zu dem am gleichen Tag gefeierten Geburtsfest des Sol invictus, des Sonnengottes. Die Christen sollten damit nicht nur ein eigenes Gegenfest bekommen, sondern wohl auch von der Teilnahme an den paganen Feiern abgehalten werden. Die sogenannte Kalkulations- oder Berechnungshypothese wiederum besagt, dass der Geburtstag Jesu auf Grundlage zahlenmystischer Erwägungen berechnet wurde. Beide Entwicklungen schließen sich nicht aus, sondern können miteinander einhergegangen sein.
Doch die Geschichte des Weihnachtsfests ist nicht in der Antike stehen geblieben; es hat sich weiterentwickelt, neue Bedeutungen gewonnen und alte verloren. Auch heute befindet es sich in einer Übergangsphase: In Deutschland tritt der christliche Ursprung des Weihnachtsfestes vielfach in den Hintergrund, selbst wenn die Kirchen an diesem Tag mehr Gelegenheitsgläubige anziehen als zu jedem anderen Festtag. Die Säkularisierung des Weihnachtsfestes bedeutet aber nicht einfach dessen hemmungslose Kommerzialisierung, denn das Weihnachtsfest war immer eine Zeit intensiven Konsums: Bereits die paganen Götterfeste waren regelrechte Schlemmfeste; wenn das Weihnachtsfest zu ihnen eine Alternative darstellen sollte, musste es bereits in der Antike Vergleichbares bieten. Die moderne Entchristlichung des Weihnachtsfestes bedeutet vielmehr die Hervorhebung gesellschaftlich allgemein anerkannter Werte wie der Familie als vertrauensvolle Kerngemeinschaft. Zugleich geht jedoch die für die christliche Deutung essenzielle Heilserwartung und mit ihr auch die im Weihnachtsfest ursprünglich eingelagerte Hoffnung auf eine bessere Welt verloren.
Was ist dran an angeblichen Geheimgeschichten von Jesu Geburt?
Als gegen 200 nach Christus der Textkanon des Neuen Testaments zusammengestellt wurde, gab es eine große Menge an frühchristlichen Schriften, die in die Bibel hätten aufgenommen werden können. Doch entschied man sich dafür, nur einen Teil von ihnen zum Kernbestand der eigenen Lehre zu machen.
Das bedeutete weder, dass diese Auswahl unumstritten war, noch, dass alle anderen Schriften grundsätzlich abgelehnt wurden. Schon gar nicht ging es darum, irgendwelche Wahrheiten zu verheimlichen, denn die besagten Texte waren ja weiterhin verfügbar – und sind es zum Teil bis heute. Unter den damals verdrängten Texten finden sich zwei um 160 nach Christus entstandene, die Geburtsgeschichten enthalten.
Im Prot-Evangelium des Jakobus steht Maria im Zentrum des Geschehens. Erzählt wird beispielsweise, wie Josef Maria auf einem Esel nach Bethlehem führt, sie in einer Höhle – angeblich die berühmte Geburtshöhle, über der in Bethlehem die Geburtskirche errichtet wurde – unterbrachte und dann eine Hebamme suchen ging. Doch die Hebamme bekam nichts zu tun: Als sie die Höhle betrat, wurde das Kind gleichsam aus Marias Bauch in die Arme seiner Mutter teleportiert. Als die Hebamme dies einer Freundin erzählte, wollte diese bei Maria eine Vaginaluntersuchung vornehmen, um festzustellen, ob die Erzählung stimmte. Wegen dieses Unglaubens verdorrte ihre Hand beim Einführen; erst die öffentliche Bekundung der Jungfräulichkeit Marias rettete sie. Das Prot-Evangelium des Jakobus ist ein Zeugnis der sich damals ausbildenden Marienverehrung; deshalb schildert es die Annahme von der jungfräulichen Geburt sehr plastisch.
Anders ist die Ausrichtung des Kindheitsevangeliums des Thomas, das Erzählungen über das Leben Jesu vor dessen 12. Lebensjahr versammelt. Es enthält einige Spekulationen über die göttliche Natur Jesu, die einem überforderten Lehrer in den Mund gelegt werden; außerdem beinhaltet die lateinische Fassung dieses Evangeliums Geschichten, die sich um das Geschehen im ägyptischen Exil der Familie drehen. Berichte wie diese dienten dazu, Lücken in der Biografie Jesu zu schließen.
Dennoch sind aus dem Textbestand solcher christlichen Texte der Antike einzelne Elemente bis in die modernen Weihnachtsvorstellungen eingesickert. Andere Vorstellungen, wie die der Anwesenheit von Ochs und Esel bei Jesu Geburt, basieren sogar nur auf christlichen Interpretationen von Texten des Alten Testaments. Das belegt, wie stark antike Literatur bis in die Gegenwart hinein nachwirkt – auch, wenn einem das nicht immer bewusst ist.
Hinweis: Dieser Gastbeitrag von Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelin erschien am 23. Dezember 2016 in der Freien Presse. Angehörige der TU Chemnitz, die sich hier auch gern einmal fundiert äußern möchten, sind dazu eingeladen. Kontakt: chefredaktion@freiepresse.de und/oder mario.steinebach@verwaltung.tu-chemnitz.de.
Mario Steinebach
23.12.2016