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Wie profitieren sächsische Zulieferer vom Mobilitätswandel?

Analyse des Transformationsprozesses Elektromobilität zeigt Chancen und Risiken auf – Projekt begleitet Automobilzulieferer beim Strukturwandel in der Branche

Ab 2025 sollen ca. 30 Prozent der in Deutschland produzierten Autos einen vollelektrischen Antrieb haben. Mit VW Zwickau als zukünftig reinem E-Mobilitäts-Werk sowie den Aktivitäten von BMW und Porsche in Leipzig wird der Freistaat zum E-Autoland Sachsen. Welche Auswirkungen damit für die sächsische Automobilzulieferindustrie verbunden sind, untersuchte die Sächsische Energieagentur SAENA GmbH in Kooperation mit dem Automobilzuliefernetzwerk AMZ und dem Chemnitz Automotive Institute CATI, einem Geschäftsbereich der TUCed – An-Institut für Transfer und Weiterbildung GmbH an der TU Chemnitz, in einem vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr beauftragten Projekt. Erste Ergebnisse und Handlungsempfehlungen werden im Mai und Juni auf der „Roadshow Transformationsprozess Elektromobilität“ vorgestellt. Der Auftakt erfolgte am 8. Mai 2019 bei der UKM Fahrzeugteile GmbH in Reinsberg bei Freiberg.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig  misst der Trendwende zur Elektromobilität eine immense Bedeutung bei. Neben den rund 20.000 Mitarbeitern bei den Fahrzeugherstellern sind etwa 75.000 Menschen bei Zulieferern, Dienstleistern und Ausrüstern in Sachsen beschäftigt. „Der Standort Sachsen besitzt eine Pilotfunktion für die Produktion von Elektrofahrzeugen in Europa und sendet ein Signal in die Welt aus“, betont Dulig. „Die Transformation des Antriebs geht einher mit neuen Produktionsmethoden und einem neuen Mobilitätsverständnis. Der Freistaat ist dabei, diese Herausforderungen für sich als Chance zu nutzen.“

Einige Zulieferunternehmen werden sich nachhaltig verändern. Dulig weiter: „Wer es versteht, dass die Wertschöpfung eines Automobils nicht mit der Produktion endet und beispielsweise durch datengetriebene Geschäftsmodelle dem Nutzer einen Mehrwert bietet, wird dazu beitragen, das hohe Beschäftigungsniveau in der sächsischen Mobilitätsindustrie sogar noch zu steigern. Der Freistaat Sachsen, der schon jetzt eine Spitzenposition bei der Produktion von Elektrofahrzeugen in Deutschland und Europa einnimmt, erweist sich wieder als Innovationsschmiede für moderne Mobilität. Von Halbleitertechnik für Leistungselektronik und Sensorik über Software für Algorithmen für vernetztes und automatisiertes Fahren bis hin zu Leichtbau, Batterie und Brennstoffzelle – in Forschung und Entwicklung sowie Industrie stehen exzellente Partner zum Aufbau neuer Wertschöpfungsketten bereit. Dieser Transformationsprozess wird enorme Anstrengungen bei Ausbildung und Qualifizierung für Unternehmen, aber auch für den Einzelnen erfordern.“

Vorausschauende Strategie für Umstrukturierung

Die UKM Fahrzeugteile GmbH produziert als Entwicklungspartner von Automobilherstellern und Systemlieferanten Komponenten für Motor, Getriebe, Lenkung und Karosserie. „Wir sind derzeit noch zu etwa 50 Prozent vom klassischen Antrieb abhängig, dem Bereich, in dem die einschneidendsten Veränderungen passieren. Nochmals verschärfte Umweltanforderungen sorgen hier für weitere Dynamik. Bereits seit drei Jahren arbeiten wir an einer Strategie für die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens. Wir stellen uns zum einen im Bereich Automotive breiter auf und wollen neben dem Pkw verstärkt die Segmente Nutzfahrzeuge und Zweirad bedienen, letzteres u. a. mit Anbau- und Verkleidungsbauteilen. Zum anderen erschließen wir weitere Branchen wie Aircraft, allgemeine Industrie sowie Sport- und Freizeitindustrie“, beschreibt Geschäftsführer Thorsten Vogt den eingeschlagenen Diversifizierungskurs. Hier spielen u. a. Leichtbau-Themen eine Rolle. Die notwendige Expertise, beispielsweise für Aluminium-Komponenten, hat UKM mit dem Zukauf der Umformtechnik Radebeul GmbH ausgebaut. Auch für neue Mobilitätslösungen ist das Unternehmen gerüstet, das mit den drei deutschen und einem französischen Standort rund 650 Mitarbeiter zählt. „Hybridantriebe stellen hohe Anforderungen an die Maßhaltigkeit und Oberflächengüte der Bauteile. Auf diesem Feld sind wir zu Hause. Das technologische Know-how bringen wir aus unseren angestammten Produktionsprozessen mit“, so der Geschäftsführer. Dazu gehört die Fertigung von Turboladerwellen und Nockenwellen sowie weiteren Komponenten für den Verbrennungsmotor. „Diese Produktion wird uns noch Jahre begleiten. Wir werden sinnbildlich gesprochen eine ganze Weile auf vielen Straßen fahren. Um die damit verbundenen Aufgaben zu meistern, sind wir natürlich zuallererst als Unternehmen gefordert. Doch gerade als Mittelständler brauchen wir hier auch verlässliche Aussagen unserer Partner in der Wirtschaft und in der Politik und ebenso Unterstützung, zum Beispiel durch Bürgschaften oder Fördermaßnahmen für den kapitalintensiven Umstrukturierungsprozess“, benennt Thorsten Vogt eine Forderung.

Veränderungen bei rund 250 Auto-Komponenten

UKM steht exemplarisch für die sächsischen Automobilzulieferunternehmen, von denen gemessen am Umsatz und an den Beschäftigten ca.  40 Prozent für den Antriebsstrang arbeiten. „Dieser Bereich ist am gravierendsten vom Strukturwandel hin zur Elektromobilität betroffen. Etwa 60 Teile werden hier zukünftig nicht mehr gebraucht, beispielsweise die gesamte Abgasanlage. Dem stehen rund 20 Neuteile, z. B. für die Batterie, gegenüber. Doch auch bei Fahrwerk, Interieur, Karosserie und Elektrik/Elektronik gibt es Veränderungen in der Teilestruktur. Insgesamt haben wir über 250 Komponenten identifiziert, die im E-Fahrzeug entfallen, modifiziert werden oder neu hinzukommen. Neben dem batterieelektrischen Antrieb haben wir dabei auch die Hybrid- und Brennstoffzellen-Technologie einbezogen“, erklärt Dirk Vogel, Manager des Automobilzuliefernetzwerks AMZ.

Wie sächsische Zulieferer von den Veränderungen in der Teilestruktur sowie daraus resultierenden Umgestaltungen in der automobilen Wertschöpfungskette betroffen sind, hat das Netzwerk AMZ in Zusammenarbeit mit dem Chemnitz Automotive Institute CATI, einem Geschäftsbereich der TUCed – An-Institut für Transfer und Weiterbildung GmbH an der TU Chemnitz, untersucht. Dafür wurden ca. 200 Unternehmen analysiert, die mit insgesamt 50.000 Beschäftigten rund 65 Prozent der sächsischen Automobilzulieferindustrie repräsentieren und ebenso die automobile Wertschöpfungsverteilung in den Bereichen Antrieb, Elektrik/Elektronik, Fahrwerk, Interieur und Karosserie abbilden. Auf Basis der Unternehmensdaten und dem Abgleich mit den zu erwartenden Veränderungen beim Übergang zur E-Mobilität erfolgte eine Einteilung in fünf Risikoklassen. Die Analysten von AMZ und CATI erstellten für einen Zeithorizont bis 2030 drei Szenarien, wie sich die Beschäftigung bei einem Anteil vollelektrischer Fahrzeuge von 15, 30 bzw. 40 Prozent an der gesamten Inlandsproduktion verändert. „Wir haben bei unserer Analyse ausdrücklich nicht nur die unmittelbar antriebsrelevanten Komponenten betrachtet, sondern das gesamte Umfeld im Fahrzeug, das bei der neuen Generation von E-Fahrzeugen Veränderungen unterworfen ist“, betont Prof. Dr. Werner Olle, Direktoriumsmitglied des Chemnitz Automotive Institute CATI, den ganzheitlichen Ansatz, der deutlich über vorliegende Studien hinaus geht, in denen überwiegend die negativen Effekte im Produktbereich Antrieb herausgestellt werden.

Tiefgreifende Umwälzungen in der Branche und der Region

Im Antriebsbereich ist auch in Sachsen das Beschäftigungsrisiko am größten. Bei einem Szenario von 40 Prozent, das die Autoren für 2030 als realistisch ansehen, gerät ein Drittel der Unternehmen dieses Produktbereichs unter Anpassungsdruck und steht jeder fünfte Arbeitsplatz zur Disposition.

Dem gegenüber stehen kompensatorische Effekte, die aus neuen Komponenten für den Antriebsstrang wie Elektromotoren, Batteriesystemen oder Leistungselektronik resultieren, sowie generell durch neue Produkte, Technologien und Applikationen in den neuen Elektro-Fahrzeuggenerationen. Dieser weitergehende Ansatz betrifft alle Produktbereiche und wird laut Analyse vor allem bei Elektrik/Elektronik und Interieur zu überdurchschnittlichen Zuwachsraten führen. „Unter Berücksichtigung aller Aspekte ergibt sich für das progressive Szenario von 40 Prozent E-Fahrzeugen ein Beschäftigungsrückgang von maximal zwei Prozent. Diese gute Nachricht darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Strukturwandel mit massiven brancheninternen Umwälzungen verbunden sein wird: Der Antriebsbereich verliert 20 Prozent seiner Beschäftigung, der Elektronik-Bereich wächst um 17 Prozent. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Da die antriebsrelevanten Unternehmen, die Beschäftigungsreduzierungen zu erwarten haben, in hohem Maße im Raum Zwickau/Chemnitz/Erzgebirge  angesiedelt sind und die vor weiteren Beschäftigungszuwächsen stehenden Elektronik-Unternehmen vor allem im Raum Dresden, werden zusätzlich auch regionale  Umgewichtungen erzeugt“, erläutert Olle.

Unternehmen unterschätzen vielfach Umfang und Tempo des Wandels

Gespeist werden diese Prognosen auch aus rund 60 Expertengesprächen mit Verantwortlichen in Zulieferunternehmen als einem weiteren Bestandteil der Analyse, welche die AMZ- und CATI-Akteure vor allem in Betrieben aus dem Bereich Antriebsstrang geführt haben.  „Die Unternehmen verfolgen zur Bewältigung des Transformationsprozesses eine ganze Reihe von Strategien: von wertschöpfungserhöhenden Produkt- und Prozessentwicklungen, einer stärkeren Diversifikation ihres Produkt- und Kundenportfolios bis zu einer Forcierung ihrer Automatisierungsanstrengungen und einer stärkeren Internationalisierung. Eine Erkenntnis ist allerdings auch, dass die Zulieferunternehmen überwiegend den Umfang und das Tempo des bevorstehenden Transformationsprozesses unterschätzen“, fasst AMZ-Netzwerkmanager Dirk Vogel wesentliche Punkte der Gespräche zusammen.

Den Transformationsprozess begleiten

„Sachsen verfügt über hervorragende Akteure in Industrie und Forschung, welche in vorderster Reihe an den Mobilitätslösungen der Zukunft arbeiten wie Elektromobilität, autonomes Fahren und intelligente Verkehrssysteme“, betont Christian Micksch, Geschäftsführer der Sächsischen Energieagentur – SAENA GmbH. Mit der vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr beauftragten Kompetenzstelle Effiziente Mobilität Sachsen bei der SAENA tragen wir zur Vernetzung dieser Akteure auch mit der traditionellen Automobilzulieferindustrie bei und zeigen Perspektiven für zukünftige Wertschöpfung auf. Ebenso unterstützen wir als SAENA die Unternehmen, ihre Produktion noch energieeffizienter zu gestalten und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.“

Bestandteil des von der SAENA beauftragten Projektes „Konzept, Analysen und Prognosen zur Begleitung des Transformationsprozesses in der sächsischen Automobilzulieferindustrie aufgrund der Umstellung auf die Produktion von Elektrofahrzeugen sowie Sensibilisierung und Information von Akteuren“ ist die am 8. Mai 2019 bei UKM gestartete Roadshow. Sie macht bis Ende Juni 2019 noch bei den Unternehmen Aweba Werkzeugbau GmbH Aue, ESKA Automotive GmbH Chemnitz, Pierburg Pump Technology GmbH Hartha, DGH Heidenau GmbH & Co. KG Heidenau sowie GKN Driveline Deutschland GmbH Zwickau Station. Vertreter der automobilen Produktionskette sind eingeladen zum Informationsaustausch und Wissenstransfer.

Die Gemeinschaftsstudie „Elektromobilitätsstrategien der Automobilhersteller“ des Automobilzuliefernetzwerks AMZ und des Chemnitz Automotive Institute CATI kann beim Netzwerk AMZ erworben werden. Mehr unter: https://www.amz-sachsen.de/amz-studie-elektromobilitaetsstrategien-der-automobilhersteller/.

Kontakt: Prof. Dr. Werner Olle, Direktoriumsmitglied CATI, Telefon 0151 64303476, E-Mail werner.olle@cati.institute                                          

Stichwort: Chemnitz Automotive Institute CATI

Das 2015 gegründete Chemnitz Automotive Institute (CATI) ist ein Geschäftsbereich eines An-Instituts der Technischen Universität Chemnitz, der TUCed – An-Institut für Transfer und Weiterbildung GmbH. Der automobile Strukturwandel in seiner Gesamtheit ist ein Forschungsschwerpunkt von CATI. Im Fokus stehen insbesondere ganzheitliche Querschnitts- und Wirkungsanalysen. CATI kooperiert mit Automobil-Netzwerken sowie Praxispartnern aus Industrie, Forschung und Weiterbildung. Über die TUCed, die u. a. einer der Konsortialpartner des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Chemnitz ist, besteht zudem eine enge Verzahnung mit anderen Instituten der TU Chemnitz wie dem Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme.

(Quelle: u. a. gemeinsame Pressemitteilung von AMZ, CATI und SAENA)

Mario Steinebach
09.05.2019

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