Gedächtnisort zwischen Himmel und Erde
Zur Finissage der Ausstellung "Imi Knoebel. Fenster für die Kathedrale von Reims" spricht am 9. Februar 2014 Prof. Ulrike Brummert von der Professur Romanische Kulturwissenschaft
Imi Knoebel erhielt 2008 durch das französische Ministerium für Kultur und Kommunikation den Auftrag, sechs Fenster für die nördliche und südliche Apsis der Kathedrale von Reims zu gestalten. Anlässlich der 800-Jahr-Feier der Kathedrale von Reims wurden die fertigen Fenster aus mundgeblasenem Echt-Antikglas 2011 installiert. Die Entwürfe für die Fenster werden in der Ausstellung "Imi Knoebel. Fenster für die Kathedrale von Reims" in den Kunstsammlungen Chemnitz präsentiert. Die Kathedrale von Reims erlangte in Frankreich als Krönungsstätte französischer Herrscher große historische Bedeutung. Im Ersten Weltkrieg beschädigte die deutsche Artillerie die Kathedrale von Reims schwer. Seither galt sie als Symbol der französischen Gegnerschaft gegenüber Deutschland. Am 8. Juli 1962 trafen sich Konrad Adenauer, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, und Charles de Gaulle, Staatspräsident der Republik Frankreich, versöhnlich in der Kathedrale. Zum 50. Jahrestag der Aussöhnung 2012 wiederholten Kanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande diese freundschaftliche Geste. Als neu gewonnenes Wahrzeichen der deutschfranzösischen Freundschaft erhielt die Kathedrale 2011 mit der Gestaltung der Fenster durch einen deutschen Künstler nicht nur politisch, sondern auch künstlerisch enorme Symbolkraft.
Um die europäische Dimension des Kulturtransfers durch das Gesamtkunstwerk der Kathedrale Notre-Dame von Reims über die Jahrhunderte nachzuvollziehen, zu analysieren und zu würdigen, haben die Kunstsammlungen Chemnitz in Kooperation mit der Professur Romanische Kulturwissenschaft der TU Chemnitz einen Vortragszyklus erarbeitet. Am kommenden Sonntag, dem 9. Februar 2014, um 17.15 Uhr findet der letzte Vortrag dieser Reihe statt, der abschließend Stein und Glas verbindet und hinterfragt, was der Geist daraus macht. Im Museum am Theaterplatz spricht die Inhaberin der Professur Romanische Kulturwissenschaft, Prof. Dr. Ulrike Brummert, zum Thema "Chlodwig, Chirac & Cie. Die Kathedrale von Reims - Gedächtnisort zwischen Himmel und Erde". Alle Interessenten sind zum Vortrag eingeladen. Der Eintritt ist frei.
Chlodwig, eingesponnen in fränkische Traditionen, katapultiert in das versinkende Weströmische Reich, legt mit seiner Taufe die Basis sowohl für die Christianisierung Westeuropas als auch für das französische Königtum. Mit dieser aufstrebenden Großmacht steigen die gotischen Kathedralen des Kronlandes gen Himmel, materialisieren Weltentwürfe und Vorstellungen von Spiritualität. Die Kathedrale Notre-Dame von Reims setzt sich als Krönungskirche durch, aktualisiert so in ihren Zeremonien bis ins 19. Jahrhundert das Zusammenspiel von geistlicher und weltlicher Macht. Hat sie ihre Rolle ausgespielt? Die Verzahnung von Gründungsmythen der französischen Nation und der Kühnheit der "freien" Baumeister des Mittelalters befriedigen im sich entchristlichenden Europa den Wunsch nach historischer Kontinuität. So kann mit Fug und Recht auch gefragt werden, ob nach den Verwerfungen der zwei Weltkriege und der deutsch-französischen Aussöhnung im Kirchenschiff, die Kathedrale von Reims das Material für einen europäischen Gedächtnisort birgt. Die Fenster von Imi Knoebel öffnen die Überlegungen ins 21. Jahrhundert.
Prof. Ulrike Brummert, docteur d’Etat, studierte Germanistik, Romanistik, Pädagogik und Politologie in Münster, Löwen und Toulouse und lehrte an den Universitäten von Berlin, Halle-Wittenberg, Limoges und Mannheim. Seit 1999 ist sie Professorin für Romanische Kulturwissenschaft an der TU Chemnitz. Im Rahmen des Langzeitprojektes "Das transkulturelle visuelle Gedächtnis" ist sie Initiatorin des Forschungsunternehmens "14-18 WAR WAS. Geteilte Erinnerungen". Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bildwissenschaften, Ideengeschichte, Mentalitätsforschung, Kulturkontakte und Interkulturelle Kommunikation (18. bis 20. Jahrhundert), Alltagskultur (zeitgenössisches Europa), Gender Studies und Wissenschaftsgeschichte.
Weitere Informationen erteilen Anja Richter, Kunstsammlungen Chemnitz, Telefon 0371 488-4402, E-Mail anja.richter@stadt-chemnitz.de, Prof. Dr. Ulrike Brummert, TU Chemnitz, 0371 531-34902, E-Mail ulrike.brummert@phil.tu-chemnitz.de.
(Quelle: Pressemitteilung der Kunstsammlungen Chemnitz)
Katharina Thehos
06.02.2014