Noch bevor wir im letzten Teilkapitel den Begriff der Gleichmächtigkeit definiert haben, haben
wir
zwei Beispiele gesehen: . Alle Mengen sind gleichmächtig.
In diesem Teilkapitel werden wir unintuitivere Beispiele sehen: . Dies scheint
absurd! und liegen ja schön der Reihe nach sortiert, sodass sich eine Bijektion
durch eine einfach Umordnung erreichen ließ. Die Elemente der Menge aber liegen
ja nicht säuberlich getrennt, sondern ganz dicht nebeneinander. Aber eins nach dem anderen.
Theorem 3.2.1
Die
Mengen und
sind gleichmächtig.
Mit (oder auch ) bezeichnen wir hier das cartesische Produkt von
mit
sich selbst: die Menge aller Paare von natürlichen Zahlen.
Die Menge bzw. ein Teil davon.
Die Menge bzw. ein Teil davon.
Beweis.
Wir skizzieren eine Bijektion , indem wir für jeden
Punkt angeben, auf welche natürliche Zahl er abgebildet werden
soll:
Wir zerlegen also in fallende Diagonale und gehen jede Diagonale von rechts
unten
nach links oben durch. Dadurch können wir die zweidimensionale Gestalt von
"aufdröseln" und dem eindimensionalen zuordnen.
Übungsaufgabe 3.2.1
Finden Sie eine explizite Formel für die Funktion aus dem obigen Theorem.
Achten Sie erst einmal auf die Werte von :
und beispielsweise. Erkennen Sie die blauen Zahlen auf der
-Achse? Haben Sie eine Formel für sie? Finden Sie eine. Dann erweitern Sie die
Formel, so dass sie für alle Werte von funktioniert!
Übungsaufgabe 3.2.2
Zeigen Sie , indem Sie eine ähnliche Aufdröselung finden, jetzt
aber
mit negativen Zahlen.
Übungsaufgabe 3.2.3
Zeigen Sie ganz allgemein: wenn und , dann gilt auch
.
Übungsaufgabe 3.2.4
Zeigen Sie, dass gilt und ganz allgemein:
.
Übungsaufgabe 3.2.5
Sei die Menge aller endlichen Folgen natürlicher Zahlen, also
wobei die leere Folge (mit 0 Gliedern) bezeichnet.
Zeigen Sie .
Rationale Zahlen
Ich will Sie nun davon überzeugen, dass ist, dass es also "gleich viele
rationale wie
natürliche Zahlen" gibt. Ich beginne mit etwas Einfacherem:
Beobachtung. 3.2.2 Es gibt eine injektive
Funktion .
Beweis.
Falls Sie es vergessen haben: eine Funktion heißt injektiv, wenn
für alle verschiedenen auch gilt. Wenn also
"kollisionsfrei" ist.
Sei eine rationale Zahl. Wir können als gekürzten Bruch schreiben, also
mit und und . Mit bezeichnen wir
den größten gemeinsamen Teiler (greatest common divisor) von und . Wir
definieren nun also . Dies ist injektiv: zwei
verschiedene rationale Zahlen und haben verschiedene Darstellung als
gekürzter Bruch, und somit gilt auch .
Wir haben nun also eine Injektion .
Mit Übungsaufgabe 2.2.3
und Theorem 2.2.1
gilt ,
und somit gibt es eine Bijektion . Die Verknüpfung
ist nun die gewünschte injektive Funktion
von nach .
Dies ist leider keine Bijektion: das Paar beispielsweise wird nie vorkommen,
weil nicht gekürzt ist.
Beobachtung: 3.2.3 Es gibt eine injektive Funktion
.
Beweis.
Dies ist ganz einach: da gilt, können wir jedes einfach bei sich
belassen. Die Funktion
ist die gewünschte Injektion. Man nennt so eine Funktion auch die Einbettung von
in .
Wir sind nun also in der sonderbaren Situation, dass wir eine injektive Funktion haben,
die aber nicht alle ausfüllt, also nicht surjektiv ist.
Gleichzeitig haben wir , die injektiv ist aber auch nicht surjektiv. Bei
bleiben
also manche natürlichen Zahlen ungenutzt, bei bleiben rationale Zahlen ungenutzt.
Können wir und irgendwie kombinieren, um eine bijektive Funktion zu erschaffen?
Die Antwort lautet ja, das geht immer, ist nicht ganz trivial zu beweisen,
heißt Schröder-Bernstein-Theorem,
und wir werden das im Teilkapitel ... beweisen.
Vorerst behelfen wir uns mit ad-hoc-Methoden.
Theorem 3.2.4 Es gilt .
Beweis.
Wir definieren eine Bijektion , indem wir die Beweisidee von
Theorem 2.2.1
wiederholen. Wir zeichnen schematisch, löschen aber die
Paare , die nicht einem gekürzten Bruch entsprechen.
Die Punkte sind die Elemente von . Die schwarzen Punkte sind jene
Punkte mit . Diese stehen nun in Bijektion mit den rationalen
Zahlen. Die entsprechenden rationalen Zahlen habe ich daneben geschrieben -
die negativen habe ich aus Gründen der Übersichtlichkeit weggelassen. Sie befinden
sich spiegelverkehrt auf der linken Seite. Wir müssen nun eine Aufzählung
der schwarzen Punkte finden, also eine Bijektion von in die Menge
der schwarzen Punkte:
Das funktioniert natürlich: wir überspringen einfach die gelöschten Punkte. Wir können
allerdings nicht bequem eine geschlossene Formel dafür angeben. Auf dem "fünften Hütchen",
das
von nach läuft, sind zum Beispiel alle Punkte bis auf
schwarz,
was daran liegt, dass eine Primzahl ist und somit alle mit und
teilerfremd sind.
Streng genommen
müssten wir uns davon überzeugen, dass unendlich viele schwarze Punkte übrigbleiben. Das ist
aber einfach, weil alle Punkte der Form der Zahl entsprechen, und das
ist
ja ein gekürzter Bruch.
Endliche Strings
Erinnern wir uns an , die Menge aller endlichen Bitstrings. Die Menge ist ganz klar
unendlich, weil sie
zum Beispiel enthält. Ist sie abzählbar unendlich?
Theorem 3.2.5 Es gilt .
Beweis. Hier ist eine Idee: wir interpretieren
den Bitstring als -stellige Binärzahl, also
Leider geht das schief, weil , , etc. alle auf abgebildet werden. Ebenso
, , und so weiter. Wir könnten uns behelfen und dem String eine 1 voranstellen,
also
beispielsweise
Formal also
Eine äquivalente Interpretation: wir sortieren erst einmal die Bitstrings nach ihrer Länge.
Dann gehen
wir lexicographisch durch, also von bis . Diese Reihenfolge
durchläuft
ganz und ordnet jedem Bitstring eine natürliche Zahl zu. Also:
Das haut nicht ganz hin, weil die nie drankommt. In der Tat stellt die obige Tabelle
eine Bijektion
dar. Dies ist leicht korrigiert, indem wir 1 abziehen: die
Funktion
ist eine Bijektion von nach .
Geht das auch mit mehr als zwei Symbolen?
Übungsaufgabe 3.2.6
Definieren Sie eine Bijektion von ^* nach .
Weil das "Alphabet" die Größe hat, können Sie sich mit einem kleinen
Taschenspielertrick behelfen. Schwieriger wird es mit .
Zeigen Sie, dass gilt.
Zeigen Sie ganz allgemein: wenn eine endliche Menge ist, dann gilt
.