Springe zum Hauptinhalt

Humangeographie

Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung 2022

Netzwerk-Banner

Vom 28. bis 30. September 2022 fand an der TU Chemnitz die vierte Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung e.V. statt.

Willkommensgruß im Hörsaal durch Birgit Glorius

Rund 400 Fluchtforscher*innen aus über 30 Ländern kamen zusammen, um den Stand der wissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema zu beleuchten. Gastgeberin der Konferenz war die Professur Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung, geleitet von Prof. Dr. Birgit Glorius. Das Netzwerk Fluchtforschung existiert seit dem Jahr 2013 und wurde gegründet, um das durch die damaligen großen Fluchtbewegungen nach Europa und Deutschland erwachte Interesse deutschsprachiger Forscher*innen am Thema Flucht, Vertreibung und Flüchtlingsaufnahme zu bündeln und einen Knotenpunkt für den wissenschaftlichen Austausch zu bieten. Die zweijährlich stattfindenden Konferenzen sind dabei eine der wichtigsten Plattformen. Nachdem die Konferenz 2020 aufgrund der Coronapandemie online stattfinden musste, wurde die Chemnitzer Konferenz erstmals als vollhybride Veranstaltung geplant, um den wechselnden Phasen der Pandemie entsprechen zu können. Alle 64 Panels der Konferenz, die in bis zu zehn parallelen Räumen durchgeführt wurde, konnten somit sowohl im Hörsaal als auch online besucht werden. Von den insgesamt 400 Gästen nahm die Hälfte online teil. Dank der Unterstützung einer großen Zahl an studentischen Hilfskräften, die für die mobile Kamera- und Tontechnik in den Hörsälen zuständig waren, konnte das hybride Format gut realisiert werden. „Ich hatte das Gefühl, wirklich dabei zu sein, und nicht nur von außen zuzuschauen“, äußerte sich einer der Online-Teilnehmenden in der Evaluation.

Photo Keynote 1 im Hörsaal

Die Konferenz wurde entlang dreier Leitthemen ausgerichtet, die jeweils von einer Keynote gerahmt wurden. Das erste Leitthema befasste sich mit einer Rückschau auf die Entwicklungen des Forschungsfeldes und seine Ausdifferenzierung. Die zugehörige Keynote von Prof. Dr. Elena Fiddian-Qasmiyeh (University College London) kritisierte eine Fixierung der Forschung auf den Globalen Norden, obgleich der Globale Süden die Hauptlast der Flüchtlingsaufnahme weltweit trüge. Sie sah darin eine Ausdrucksform des weiterhin hegemonialen Verhältnisses zwischen Globalem Norden und Globalen Süden, und plädierte an die anwesenden Forscher*innen, dazu beizutragen, dieses Missverhältnis aufzulösen, etwa indem mehr Wissenschaftler*innen des Globalen Südens an Forschungsprojekten verantwortlich beteiligt würden. Verschiedene Tagungspanels vertieften dieses Thema durch Vorträge und Roundtable-Debatten.

Das zweite Leitthema war dem Globalen Osten gewidmet. Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und die massive Fluchtbewegungen innerhalb des Landes und in benachbarte Länder, die bereits nach einigen Wochen als größte Flüchtlingskrise Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingeordnet wurden, nahm die Konferenzleitung diese Thematik kurzfristig in das bereits fertig gestellte Programm auf. Es konnten eine Reihe von Wissenschaftler*innen, unter anderen aus der Ukraine, gewonnen werden, sich mit ihrem Input am wissenschaftlichen Austausch zu beteiligen. Auch die zweite Keynote, vorgetragen von Dr. Viktoria Sereda von der Katholischen Universität der Ukraine und Dr. Franck Düvell von der Universität Osnabrück, war diesem Thema gewidmet. Die beiden Wissenschaftler*innen gaben Einblicke in die Fluchtbewegungen und demographischen Veränderungen in der Ukraine, die dort bereits seit der Krim-Annektion 2014 zu beobachten sind, und leisteten eine historische und geopolitische Rahmung des Themas. Ähnlich wie es Elena Fiddian-Qasmiyeh in Bezug auf den Globalen Süden zuvor getan hatte, kritisierte auch Franck Düvell die Vernachlässigung des Globalen Ostens, also der postsozialistischen Weltregion Europas, in der Fluchtforschung. Eine Dezentrierung des forschenden Blicks ist also notwendig, so das Resümee der zweiten Keynote. Und in der Tat zeigten viele Panels und Diskussionen der Konferenz, dass die Anwendung von raumbezogenen, aber auch postkolonialen und intersektionalen Forschungsperspektiven dabei helfen kann, die Vielschichtigkeit des Themas zu entfalten und auch für die interessierte Öffentlichkeit besser begreifbar zu machen.

Das dritte Leitthema wandte sich selbstkritisch dem Verhältnis zwischen Forschenden und Beforschten zu. In einer sehr eindringlichen Video-Keynote wurden die Reflexionen von vier Vertreter*innen aus dem Bereich der Geflüchtetenorganisationen (R-Seat, Queer Refugees Deutschland, New Women Connectors) gesammelt, die eine Beteiligung von Geflüchteten auf Augenhöhe an Forschungsprojekten einforderten.

Screenshot Video Keynote 3

Mustafa Alio von der Organisation R-Seat forderte die Forscher*innen beispielsweise dazu auf, verschiedene Ergebnisformate und Ziele mit ihren Forschungsprojekten anzusteuern und nicht etwa nur auf ein Projekt- oder Qualifikationsziel hinzuarbeiten. „Sie sollten immer überlegen, wie Geflüchtete oder andere Personen, die in Forschungsprojekten befragt werden, von Ihrer Forschung profitieren können“, appellierte er an die Wissenschaftler*innen. „Planen Sie gleich zu Beginn Ihres Projekts die ‚Nebenprodukte‘ Ihrer Forschung! Und überlegen Sie, wie möglichst viele verschiedene Menschen und Gruppen von Ihrer Forschung profitieren können!“ (aus dem Englischen übersetzt).

Posterpräsentation vor Ort im Neuen Hörsaalgebäude

Eine Posterausstellung und Fachausstellung im Foyer des Neuen Hörsaalgebäudes und ein abendlicher Empfang im Weltecho rundete die Veranstaltung ab. Viele Teilnehmer*innen äußerten sich sehr positiv zu dem Konferenzerlebnis und lobten dezidiert die Räumlichkeiten des Neuen Hörsaalgebäudes, die Freundlichkeit der studentischen Hilfskräfte und die durchdachte Rahmenstruktur der Veranstaltung, die unter anderem auch kostenlose Corona-Selbsttests und FFP2-Masken bereithielt. Auf diese Weise konnte diese wissenschaftliche Veranstaltung trotz der andauernden Pandemie ein Erfolg werden.

Birgit Glorius, 8.11.2022

Zur Website der 4. Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung 2022