Das Vogtland, die Vögte und die Literatur des Mittelalters
Eine Bestandsaufnahme
Tagung in Cheb, 5./6. April 2018
Das Territorium, über das die Vögte von Weida, Gera und Plauen gut ein halbes Jahrtausend herrschten, gilt in der Literaturgeschichtsschreibung des Mittelalters gemeinhin als „tabula rasa“, und das mit einem gewissen Recht: die Wellen der Zerstörung, die über die Durchgangslandschaft ‚Vogtland‘ hinweggezogen sind, begannen nicht mit den Hussiten und endeten nicht mit dem Zweiten Weltkrieg. Die Ausmaße der Vernichtung historischer Überlieferung werden uns in zeitgenössischen Bibliotheksverzeichnissen greifbar (Weida, Mildenfurth), in urkundlichen Vermerken über fromme Bücherstiftungen (Cronschwitz, Eger) ebenso wie in frühneuzeitlichen Notizen über die planvolle Zerstörung ganzer Sammlungen (Plauen, Hof) – und immer wieder in den Nachrichten über verheerende Brände (Weida, Schleiz, Plauen, Hof, Asch). Die Reste der einst bedeutenden Mildenfurther Klosterbibliothek, die es im 16. Jahrhundert nach Jena geschafft haben, zitieren den verlorenen Reichtum allenfalls metonymisch.
Der schwache Anhalt, den die Überlieferung uns heute noch gibt, steht in einem auffälligen Kontrast zur Fama der Vögte, wie sie sich in der zeitgenössischen Literatur spiegelt. Bereits Cäsarius von Heisterbach erzählt im ‚Dialogus miraculorum‘ (vor 1240) das Exempel von der ungehorsamen Frau Heinrichs von Weida, das er auch in seinen Homilien noch einmal verwendete. Der ins ausgehende 14. Jahrhundert datierbare ‚Pestbrief an die Frau von Plauen‘ war, so insuffizient er auch in der Bekämpfung der Pest gewesen sein mag, mit über siebzig erhaltenen Handschriften ein Bestseller. Und wie immer man die Überschrift über der mittelhochdeutschen Novelle ‚Die Vögte von Weida‘ aus der Leipziger Handschrift (um 1420), die auf eine lateinische Vorlage zurückgeht, auch deutet: mit dem Namen und der Fama der Vögte erweckte man offenbar noch im Spätmittelalter Aufsehen. Politische Publizistik feierte den Feldhauptmann Heinrich Reuss von Greiz, der an der Seite Kunz‘ von Kauffungen erfolgreich für die Nürnberger (1449/50) gegen den Markgrafen von Brandenburg focht, und weit bis ins 20. Jahrhundert erscholl der literarische Nachruhm, den sich der nachmalige Hochmeister des Deutschen Ordens Heinrich von Plauen 1410 nach der Schlacht von Tannenberg mit der Verteidigung der Marienburg erwarb.
Zwischen überlieferungshistorischen Fakten also und der Fama der Vögte, zwischen Manuskripten und politischen Liedern wäre, um der mittelalterlichen Literaturlandschaft Vogtland näher zu kommen, anzusetzen. Das EFRE-Projekt ‚Kulturweg der Vögte‘ bietet hier eine willkommene Gelegenheit. In seinen größeren Rahmen fügt sich unsere Tagung ein. Sie versucht, sich ihren Gegenständen von den Institutionen her zu nähern, zu denen sie sich in Beziehung setzen lassen:
1. Den vogtländischen Residenzen, etwa der Weidaer Osterburg, wo im ausgehenden 15. Jahrhundert nicht nur die Göttinger Heinrich von Mügeln-Handschrift und der ‚Österreichische Bibelübersetzer‘ der Sondershäuser Handschrift entstanden und ein Rechtscodex angelegt wurde, sondern auch Claus Narr vor seinem Tode sein närrisches Wesen trieb; dem Plauener Schloss, auf das der ‚Pestbrief an die Frau von Plauen‘ zielte, der Curia Regnitz (Hof) der Weidaer oder der Residenz der Vögte von Gera; hierher gehört auch die gesamte Mythenbildung um die Vögte, die Sagen ebenso wie die Erzählungen und politischen Lieder;
2. Den vogtländischen Klöstern: ihren Bibliotheken, wie sie für die Prämonstratenser in Mildenfurth, die Dominikanerinnen in Weida und die Franziskaner in Hof und Weida mindestens bezeugt und für die Franziskaner und Klarissen in Eger resthaft erhalten sind; den Gründungslegenden und Chroniken, wie sie für Cronschwitz, Mildenfurth und Waldsassen vorliegen; ebenso aber auch dem geistlichen Leben in den Niederlassungen, den Predigten der Dominikaner Hermann Rab (Leipzig) und Johannes Weltz (Jena) in vogtländischen Klöstern, der ‚Beichte‘ des Conrad Merbot von Weida oder den ‚Wirsberger-Prophezeiungen‘ in Eger;
3. Den vogtländischen Städten: ihren Statuten und Stadtrechten (Gera, Schmölln, Crimmitschau, Weida) ebenso wie ihren Stadtbüchern (Plauen, Gefell) und ihrem übrigen Verwaltungs- und Rechtsschrifttum (Innungsartikel, Zunftordnungen); den Prozessionen und geistlichen Spielen, die in den Städten veranstaltet wurden (Eger, Hof), aber auch den städtischen Schulen und dem mit ihnen verbundenen Schulschrifttum, wie es insbesondere für Plauen (Johannes von Plauen, Paul Schneevogel), Eger und Schleiz (Schulordnung von 1492) vorliegt; der stadtbürgerlichen Handschriftenproduktion, etwa dem ‚Österreichischen Bibelübersetzer‘ des Egerer Bürgers Ludwig oder dem ‚Sigmundsbuch‘ eines Egerer Stadtbüttels; der städtischen Chronistik schließlich, wie sie mustergültig in den Chroniken des Hofer Schulmannes Enoch Widmann vorliegt.
Mit Blick auf den gegenwärtigen Forschungsstand versteht sich, dass die Ergebnisse der Tagung allenfalls einen ersten Schritt auf das hier ausgegebene Ziel hin bedeuten können. Weitere Vorschläge zu Themenfeldern, die uns helfen, insbesondere die disparate Überlieferungslage etwas besser kennen zu lernen, sind daher willkommen.
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Die Tagung wird im Rahmen des EFRE-Projekts ‚Kulturweg der Vögte‘ durchgeführt. Die anfallenden Kosten (Reise, Übernachtung) werden weitestgehend übernommen. Eine zeitnahe Drucklegung der Beiträge bzw. ein Erscheinen des Bandes im Frühjahr 2019 sind vorgesehen.
Professor Dr. Christoph Fasbender
PD Dr. Gesine Schochow-Mierke
Institut für Germanistik und Kommunikation
Technische Universität Chemnitz
Thüringer Weg 11
09126 Chemnitz
Kontakt: gesine.mierke@phil.tu-chemnitz.de
Antrittsvorlesung: Gemeinschaft und Gottesstaat. Die religiösen Ursprünge des modernen Staates in der Spätantike
Am 27. Juni findet um 19 Uhr die Antrittsvorlesung von Jun.-Prof. Dr. Marian Nebelin (Professur Antike und Europa) im SMAC statt.
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.