Nachbar Polen im Kampfmodus
Osteuropa-Experte Prof. Dr. Stefan Garsztecki hält Ausgang der Präsidenten-Stichwahl am 12. Juli 2020 für völlig offen
Am kommenden Sonntag gilt es: Stichwahl in Polen um das Amt des Präsidenten. Amtsinhaber Andrzej Duda und sein Herausforderer Rafal Trzaskowski, seit 2018 Oberbürgermeister von Warschau, liegen Umfragen zufolge gleichauf. Für Prof. Dr. Stefan Garsztecki, Prodekan für Lehre, wissenschaftlichen Nachwuchs und Gleichstellung der Philosophischen Fakultät und Inhaber der Professur für Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas der TU Chemnitz, ist es die wichtigste Wahl in unserem Nachbarland seit 1990. Mit ihm sprach Stephan Lorenz (Freie Presse).
Die Stimmung in Polen ist aufgeladen, wenn am kommenden Sonntag, 12. Juli, die Stichwahl darüber entscheidet, wer in Polen neuer Präsident wird: Andrzej Duda, der die Unterstützung der nationalkonservativen Regierungspartei PiS hat. Oder Warschaus Stadtoberhaupt Rafal Trzaskowski von der liberalkonservative Bürgerkoalition (KO). Wie ist die Lage?
Zunächst einmal ist es für mich die wichtigste Präsidentschaftswahl in Polen seit 1990. Das Land ist stark polarisiert, was man auch an der relativ hohen Wahlbeteiligung beim ersten Wahlgang festmachen kann. Die lag mit 64,5 Prozent deutlich höher als beim letzten Mal 2015. Es hat nicht einmal ein direktes Duell der Kandidaten im polnischen TV gegeben.
Kann die regierende PiS-Partei schalten und walten, wie sie möchte, falls Duda gewinnt?
Der amtierende Präsident Duda kommt ja von der regierenden PiS-Partei - und er hat bisher den von PiS initiierten Umbau des Staates mitgemacht. Er hätte zum Beispiel die Veränderungen im Justiz- und Gerichtswesen verhindern können. Sein Veto war aber nur taktischer Natur, es hatte nur marginale Änderungen zur Folge. Die Aushebelung des Rechtsstaatsprinzips wurde nicht zurückgedreht. Zudem will PiS die Medien dekonzentrieren: Es ist schon länger ein Angriff gegen die privaten Medien geplant, die noch nicht auf Linie sind. PiS steht auch für das Normative: die patriotische Erziehung in der Schule oder die Betonung der nationalen Souveränität. Das ist ein anderes Programm als das der Opposition.
Wer gewinnt die Wahl?
Nach allen seriösen Umfragen der letzten Wochen läuft es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinaus. Während Trzaskowski in den Städten wohl klar gewinnen wird, hat Duda das Land hinter sich. Dort ist die Bevölkerung im Schnitt älter, katholisch und konservativ. Duda tritt für den Wert der Familie ein. 2016 wurde das Kindergeld eingeführt, ein Feriengeld ist geplant Dabei wendet sich Duda strikt gegen das LBGT-Mileu, also gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuell/Transgender. Das wurde von Duda und seinen Beratern zum Wahlkampfthema gemacht, weil Herausforderer Rafal Trzaskowski als Warschaus Bürgermeister 2019 die sogenannte "LGBT+ Charta" unterschrieben hatte - ein Dokument, das diese Gruppen in Polen unterstützen soll. Übrigens haben sich vier von 16 Wojewodschaften (Verwaltungsbezirke) und etliche Kreise und Gemeinden per Beschluss für LGBTI-frei erklärt. Vor allem im Südwesten, dem PiS-Stammland.
Wer von den im ersten Wahlgang ausgeschiedenen Kandidaten unterstützt wen?
Duda zielt auf die Wähler von Krzysztof Bosak von der Partei Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit, die ich für noch rechter als die AfD halte. Trzaskowski hofft unter anderem auf die Wähler von Szymon Hołownia, einem liberalen Journalisten, der als unabhängiger Kandidat angetreten war.
Wofür steht Herausforderer Trzaskowski?
Er steht für ein liberales Polen, würde sein Veto gegen eine geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts einlegen und sich für die Stärkung der Regionen einsetzen. Der 48-Jährige ist zudem ein Europäer durch und durch. Er hatte in der Tusk-Regierung mehrere Ministerämter inne und war dann nach Tusks Weggang in Richtung Brüssel der heimliche Star der Bürgerplattform.
Welche Bedeutung hat das Präsidentenamt in Polen?
Es hat mehr Kompetenzen als das des Bundespräsidenten in Deutschland. Der polnische Präsident wird direkt gewählt, was ihm ein starkes Mandat verleiht. Er ist zwar nicht die Exekutive, aber er kann sein Veto bei Gesetzen einlegen. Um das Veto zu überstimmen, braucht man eine Dreifünftel-Mehrheit im Parlament. Die würde die PiS derzeit nicht bekommen. Der Senat, die zweite Kammer, ging bei der letzten Wahl knapp an die Opposition. Wenn Rafal Trzaskowski am Sonntag gewinnt, wird das Umbauprogramm der PiS gestoppt. Dann muss die Partei von Jaroslaw Kaczynski Kompromisse eingehen.
Wie wird sich die Wahl auf das Verhältnis Polens zu Europa auswirken?
Ein Ausstieg aus der EU, ein Polexit, ist kein Thema im Land. Auch die PiS will nicht wirklich raus aus der EU. Brüssel bringt schließlich viel Geld. Zudem hat Europa eine sehr hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Über 80 Prozent akzeptieren die EU-Mitgliedschaft. Dennoch wird PiS weiter die nationale Souveränität betonen. Trzaskowski ist klar pro-europäisch und tritt für mehr Integration ein. Die will PiS auch, aber vor allem in der Energie- und Verteidigungspolitik.
Und wie geht es mit Deutschland weiter? Immerhin hat Duda zuletzt einen Streit mit deutschen Medien vom Zaun gebrauchen. Er wirft einer polnischen Zeitung des Springer-Konzerns vor, Deutschland mische sich in den Wahlkampf ein.
Deutschland ist Polens wichtigster Handelspartner. Wir sind für unsere Nachbarn zu wichtig. Das wird sich nicht verändern - egal, wer die Wahl gewinnt.
Hatte die Coronakrise Einfluss auf den Wahlkampf gehabt?
Sie war kein Thema, nur indirekt: Duda hat immer wieder betont, dass Polen bisher ganz gut durch die Krise gekommen sei. Die Opposition hingegen warnt, dass das dicke Ende noch kommen wird. Corona wird nur dann noch ein Thema werden, wenn zu viele Menschen aus Angst vor einer Ansteckung lieber zu Hause bleiben - vor allem ältere auf dem Land. Das könnte tatsächlich wahlentscheidend sein. Zum Nachteil für Duda.
Zur Person: Prof. Dr. Stefan Garsztecki
Stefan Garsztecki – geboren 1962 in Bergheim/Erft – studierte bis 1989 an der Universität Bonn Politikwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte und Kulturgeographie. Von 1987 bis 1989 arbeitete er am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bevor er in das Bundesinstitut für Gesamtdeutsche Aufgaben wechselte. Ab 1992 war er freier Mitarbeiter der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte in Dortmund und zugleich, gefördert mit einem Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung, Promotionsstudent an der Universität Trier, wo er 1995 seine Dissertation abschloss. Während der Promotionsphase war er von 1993 bis 1994 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznan, Polen, tätig. Ab 1996 arbeitete er an der Universität Bremen als wissenschaftlicher Assistent bzw. Mitarbeiter, später als Geschäftsführer des Seminars für ost- und mitteleuropäische Studien. Ab September 2009 hat er die Professur Kultur- und Länderstudien an der TU Chemnitz vertreten, auf die er ein Jahr später berufen wurde. Im Mittelpunkt der Professur steht die vergleichende Analyse aktueller Entwicklungen in den Ländern Ostmitteleuropas mit Fokus auf Transformation, Europäisierung und Erinnerungsorte. 2016 wurde er zum Dekan der Philosophischen Fakultät gewählt, an der er zuvor bereits als Prodekan tätig war. Seit 2019 ist er wieder Prodekan für das Ressort Lehre, wissenschaftlichen Nachwuchs und Gleichstellung.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Stefan Garsztecki, E-Mail stefan.garsztecki@phil.tu-chemnitz.de, https://www.tu-chemnitz.de/phil/europastudien/eskultur/
Hinweis: Unter der Rubrik "Hintergrund" veröffentlichte die "Freie Presse" in der Ausgabe vom 10. Juli 2020 dieses Interview mit Prof. Garsztecki. Unter dieser Rubrik oder unter dem Motto "Einspruch - Standpunkte zum Streiten" sollen auch weiterhin verstärkt kontroverse Meinungen aus Wissenschaft und Gesellschaft öffentlich gemacht werden und die Diskussion anregen. Angehörige der TU Chemnitz, die sich hier auch gern einmal fundiert äußern möchten, sind dazu eingeladen. Kontakt: chefredaktion@freiepresse.de und/oder mario.steinebach@verwaltung.tu-chemnitz.de.
Mario Steinebach
10.07.2020