Ist in unseren Einkäufen wirklich drin, was draufsteht?
Prof. Dr. Marcel Lichters, Inhaber der Professur „BWL – Marketing und Handelsbetriebslehre“ der TU Chemnitz, klärt auf
Von wegen „Made in Germany“: Zahlreiche Marken nehmen es nicht so genau mit der Wahrheit, wenn es heißt, die eigenen Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Wer nicht aufpasst, kauft schnell einen vermeintlich italienischen Lederschuh, der statt im modeaffinen Italien in Asien hergestellt wurde. Der Konsumforscher Prof. Dr. Marcel Lichters, Inhaber der Professur „BWL – Marketing und Handelsbetriebslehre“ der Technischen Universität Chemnitz, kennt die Tricks, mit denen Käuferinnen und Käufer an der Nase herumgeführt werden.
Ein kleiner Aufschrei ging diesen Sommer durch die Medien, als ein delikater Schwindel aufgedeckt wurde: Der „Harzer Käse“ stammt gar nicht aus dem Harz - ja oft sogar gar nicht mal aus Deutschland. Seit einigen Jahren gibt es in dem Mittelgebirge keine größere Käserei mehr. Die Delikatesse wird stattdessen von zahlreichen anderen, weit entfernten Herstellern ins Kühlregal gebracht - und die Konsumentinnen und Konsumenten fallen darauf herein, indem sie auf Grund der Bezeichnung des Käses annehmen, ein Harzer Produkt zu kaufen. Der Grund: Der „Harzer Käse“ unterliegt keiner geschützten Herkunftsbezeichnung der EU – ein großes Versäumnis, weiß Konsumforscher Lichters. „Andere Länder, allen voran Frankreich, waren da cleverer als wir Deutschen“, so der TU-Professor. „Vielleicht liegt es daran, dass Frankreich schon immer ein Land des Genusses war. Denken wir nur an den Champagner.“ Denn Champagner darf sich ein Schaumwein nur nennen, wenn seine Trauben nach streng festgelegten Regeln in dem Weinbaugebiet Champagne in Frankreich gelesen werden. Die geschützte Bezeichnung schwemmt jährlich große Summen ins nordöstliche Frankreich, anders als mit dem Käse in Sachsen-Anhalt. „Dieser Fehler lässt sich leider nicht mehr rückgängig machen“, so Lichters. Cleverer waren da die Nürnberger mit ihren Lebkuchen oder die Schweizer mit ihrer Schokolade oder – die Liste lässt sich lang weiterführen.
Lieber teuer als unbekannt: Der Mensch ist ein „kognitiver Geizkragen“
Warum sich Firmen sowie Käuferinnen und Käufer gleichermaßen auf eine Lüge oder Täuschung einlassen? „Weil der Konsument Tradition liebt”, so Lichters. „Wir greifen gern auf Marken zurück, die bereits unsere engen Vorfahren benutzt haben. Im Englischen nennt man das ‚Nostalgic Attachment’, also eine nostalgische Bindung zu bestimmten Marken.“ Einfach gesagt, heißt das, dass wir bestimmte Produkte einer Episode unseres Lebens zuschreiben, die wir rückblickend als besser wahrnehmen, als sie eigentlich war. „Außerdem ist es aus konsumenten-psychologischer Sicht viel einfacher, zu Altbekanntem zu greifen, als sich mit neuen Produkten auseinanderzusetzen. Wenn man so will, sind wir kognitive Geizkragen“, erklärt Lichters weiter. Markennamen seien somit eine Erleichterung für unseren kognitiven Apparat, da sie für uns Kategorien bilden. Das Resultat: Der Mensch greift lieber zu hochpreisigen Marken, die er kennt. Geldsparend ist das nicht. „Das Paradebeispiel dafür ist der naive Ehemann, der Geschenke für seine Ehefrau sucht“, lacht der Chemnitzer Wissenschaftler. „Der denkt oft: Teuer muss gleich gut sein - das gilt vor allem für Kategorien, in denen man sich selbst nicht so gut auskennt.“
Traditionsreicher Name, neuer Background: Oft mehr Schein als Sein
Eine Kategorie oder eher ein Gütesiegel, auf das viele Menschen vertrauen, ist „Made in Germany“. Doch auch hier werden wir oft in die Irre geführt, warnt Lichters. „Wenn wir von den Lebensmitteln weg und hin zu Industriegütern aus dem Maschinenbaubereich gehen, dann gehört es schon zur Unternehmensstrategie, dass zum Beispiel asiatische Konzerne bekannte deutsche Unternehmen aufkaufen und mit ihren asiatischen Rohstoffen füttern, die wesentlich günstiger sind als die europäischen – nur um am Ende ‚Made in Germany‘ draufzuschreiben.“
Doch warum sind die Konsumentinnen und Konsumenten so verrückt nach dem Gütesiegel „Made in Germany“, dass sie sich so schnell zufriedengeben und nicht weiter nachfragen? „Das hat historische Gründe“, weiß Lichters. „Das ist in der Zeit der Industrialisierung entstanden. Damals hat man signalisiert, dass Produkte aus Deutschland für eine überragende Qualität stehen. Das ist in den Konsumenten-Köpfen bis heute tief verankert.“ Ein anderes Beispiel: “Um den Käufer zufriedenzustellen, muss nicht mal immer ‚Made in Germany‘ auf den Produkten stehen. Es reichen schon deutsch-klingende Namen.“ Dank dieser Strategie avancierte „Anker“ zu einer der wertvollsten Marken in China. Auch der ehemals sehr erfolgreiche deutsche Hersteller „Blaupunkt“ existiert mittlerweile nur noch als Markenlizenz einer luxemburgischen Holding. Das ehemalige Vorzeigebeispiel „Grundig“ im TV-Bereich gehört mittlerweile einer Holding in der Türkei, wo auch die Geräte hergestellt werden. Da verwundert es kaum, dass die bekannte Schokoladenmarke “Milka” ebenfalls kein rein schweizerisches Gut mehr ist, sondern zum US-amerikanischen Nahrungsmittelkonzern “Mondolēz International” gehört. Produziert wird die “echte Schweizer Schokolade” ohnehin schon seit über hundert Jahren im deutschen Lörrach.
Für die Unternehmen gibt es wenige Gründe, sich neue Produktnamen oder Werbestrategien auszudenken: Lieber auf Altbewährtes setzen und mit der Markenhistorie spielen. “Der Konsument mag es, wenn es ihm leicht gemacht wird”, erklärt Lichters. Und damit wären wir wieder bei den “kognitiven Geizkragen”, die mitunter durch unbedachtes Kaufen schnell um ihr Geld gebracht werden.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Marcel Lichters, Telefon 0371 531-38162, E-Mail marcel.lichters@wiwi.tu-chemnitz.de
(Autorin: Isabel Möller)
Mario Steinebach
31.08.2021