„Von Kriminalitätsfurcht zu Feindseligkeit“
Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V. veröffentlicht Sammelband mit Beiträgen von Autorinnen und Autoren aus Kriminologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Psychologie mit Bezug zur bislang umfangreichsten Längsschnittstudie zu Ursachen und Folgen der Kriminalitätsfurcht
Kriminalitätsfurcht und ihre Ursachen bzw. Folgen beschäftigen Bürgerinnen und Bürger, Politik sowie Sicherheitsbehörden gleichermaßen. Die Sorge um zunehmende Kriminalität ist ein wiederkehrendes Thema in öffentlichen Diskursen und spielt oft eine zentrale Rolle in Wahlkämpfen. Um in emotionalen Debatten eine fundierte und sachliche Perspektive auf die Hintergründe und Konsequenzen von Kriminalitätsfurcht einzunehmen, ist nun im Nomos Verlag ein Sammelband des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e. V. (ZKFS), einem An-Institut der Technischen Universität Chemnitz, erschienen.
In sieben Beiträgen betrachten die Autorinnen und Autoren in dem von Dr. Deliah Wagner, Jennifer Führer und Prof. Dr. Frank Asbrock herausgegebenen Band die Entwicklung von Kriminalitätsfurcht und ihrer Zusammenhänge mit weiteren Faktoren anhand einer bislang einmaligen Datengrundlage, dem „Panel zur Wahrnehmung von Kriminalität und Straftäter:innen“ (PaWaKS). Für diese deutschlandweite Längsschnittstudie wurden Personen von März 2022 bis März 2024 zu insgesamt fünf Zeitpunkten befragt. „So ist es möglich, Entwicklungen der Kriminalitätsfurcht über die Zeit zu betrachten und ihre Entwicklung mit Einstellungen, Wahrnehmungen und objektiven Faktoren in Zusammenhang zu bringen“, erläutert Prof. Dr. Frank Asbrock, Direktor des ZKFS und Inhaber der Professur Sozialpsychologie an der TU Chemnitz.
Der Herausgeber und die beiden Herausgeberinnen konnten renommierte Forscherinnen und Forscher aus der Kriminologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Psychologie sowohl von der TU Chemnitz als auch von anderen Standorten für das Projekt gewinnen. Allen Beteiligten wurden die Daten des PaWaKS-Projekts für ihre Analysen zur Verfügung gestellt.
„Die Beiträge des Bandes stützen sich auf die schon lange vorliegende Erkenntnis, dass die Wahrnehmung von Kriminalität und der gesellschaftliche Umgang mit ihr nicht ausschließlich auf objektiven Fakten basieren. Stattdessen stellt die Kriminalitätswahrnehmung vielmehr ein komplexes Zusammenspiel von psychologischen und soziologischen Faktoren dar. Obwohl die subjektive Kriminalitätswahrnehmung zuweilen erheblich von den tatsächlichen Kriminalitätsraten abweichen kann, zieht sie politische und gesellschaftliche Konsequenzen nach sich“, sagt Asbrock. Daher betonen die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes die Bedeutung und Notwendigkeit differenzierter Analysen der Kriminalitätswahrnehmung und ihrer Determinanten, um so die Diskrepanzen zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Realität verstehen und erklären zu können. Sie heben dabei vor allem die Relevanz dieser Erkenntnisse für die Entwicklung effektiver Präventionsstrategien und politischer Maßnahmen hervor, die auf eine Verbesserung der öffentlichen Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts abzielen.
Insbesondere die Rolle von Ideologie, politischen oder menschenfeindlichen Einstellungen wird in den Beiträgen immer wieder deutlich. In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und zunehmender politischer Polarisierung kann so ein empirisch fundierter Beitrag zur Wahrnehmung von Kriminalität und Sicherheit sowie zum Umgang mit wahrgenommenen Bedrohungen in den Fokus gerückt werden. „Die Beiträge des Sammelbands verdeutlichen, wie entscheidend das Verständnis der sozialen Dynamiken ist, die autoritäre und rechtspopulistische Einstellungen fördern und den Boden für eine auf Angst basierende Wahrnehmung von Kriminalität bereiten“, so Asbrock.
Der Sammelband ist als Printversion und als kostenlose Open-Access-Publikation (https://doi.org/10.5771/9783748948445) verfügbar.
Bibliografische Angaben: Wagner, D., Führer, J. L. & Asbrock, F. (Hrsg.) (2024). Von Kriminalitätsfurcht zu Feindseligkeit: Dynamiken der Kriminalitätswahrnehmung im politischen Kontext. Nomos Verlag. https://doi.org/10.5771/9783748948445
Weitere Informationen erteilt Dr. Deliah Wagner, Leiterin der PaWaKS-Studie am Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V., Tel. +49 (0)371 335638-32, E-Mail deliah.wagner@zkfs.de.
Hintergrund: „Panel zur Wahrnehmung von Kriminalität und Straftäter:innen“ (PaWaKS)
In der PaWaKS-Studie wurde eine für die deutsche Erwachsenenbevölkerung repräsentative Stichprobe (N = 5.174) mehrfach über einen Zeitraum von drei Jahren zu ihrer Kriminalitätswahrnehmung und verschiedenen anderen Themen befragt. Von alle fünf Erhebungszeiträumen liegen Daten für N = 581 Personen vor. Damit ist es laut Aussage des ZKFS nun erstmals möglich, Ursachen und Folgen der Kriminalitätswahrnehmung und Kriminalitätsfurcht in einer so großen Stichprobe in Deutschland kontrolliert zu analysieren.
Hintergrund: Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V. (ZKFS)
Das Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V. (ZKFS) ist seit Dezember 2021 An-Institut der Technischen Universität Chemnitz und somit die erste sozialwissenschaftliche Einrichtung, die diesen Status erhalten hat. Das ZKFS ist die erste selbstständige Forschungseinrichtung zur Kriminologie in Ostdeutschland und führt grundlagen- und praxisorientierte kriminologische Forschung mit einem sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt durch. Hierfür ist unter anderem eine fortlaufende Erhebung von Daten zur Kriminalitätsentwicklung und zur Wahrnehmung dieser in der Allgemeinbevölkerung sowie in öffentlichen Diskursen essentiell.
Mario Steinebach
10.10.2024