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500 Familien: Migration in Europa

Soziologen der TU Chemnitz erforschen Stammbäume türkischer Migranten und ziehen Vergleiche zu Menschen ohne Migrationshintergrund

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Das Forschungsteam um Projektleiterin Dr. Ayse Guveli (hinten Mitte): Dr. Lucinda Platt, Prof. Dr. Bernhard Nauck, Prof. Dr. Ahmet Icduygu (vorne v.l.) sowie Dr. Helen Baykara-Krumme (hinten l.) und Prof. Dr. Harry Ganzeboom. Foto: privat

In Westeuropa leben etwa drei Millionen türkische Staatsangehörige; in Deutschland stellen sie mit 1,7 Millionen die größte Migrantengruppe. Das Institut für Soziologie der TU Chemnitz beteiligt sich ab September 2009 an einem internationalen Forschungsprojekt, das erstmalig generationsübergreifend die Angehörigen einer Familie mit Migrationshintergrund in verschiedenen Ländern Europas untersucht. Insgesamt interviewen die Wissenschaftler 500 aus der Türkei stammende und heute über ganz Europa verteilt lebende Familien. "Migration ist ein Thema von großer Nachhaltigkeit. Die Ergebnisse, die von diesem Projekt zu erwarten sind, sind daher auch für die Politik von großem Wert", schätzt Projektmitarbeiterin Dr. Helen Baykara-Krumme ein und ergänzt: "Fragen der Migration und Integration sind im Fall der Türkei nicht zuletzt in den Debatten um einen möglichen EU-Beitritt virulent. Man darf gespannt sein."

Das Projekt trägt den Titel "500 Families. Migration Histories of Turks in Europe". "Die Grundidee ist faszinierend", sagt Baykara-Krumme. Im Mittelpunkt stehen zunächst 400 Personen, die zwischen 1930 und 1940 in der Türkei geboren wurden und in der Anwerbephase zwischen 1961 und 1974 als Arbeitsmigranten nach Europa kamen. Sie werden im Rahmen der Studie zuerst interviewt, anschließend dann ihre Kinder, ihre Enkel und - wenn möglich - auch ihre Urenkel. Diese leben heute in verschiedenen Staaten Europas: zum größten Teil in Deutschland, aber auch in Frankreich, den Niederlanden oder Österreich. Insgesamt berücksichtigt die Studie acht europäische Länder. Als Vergleichsgruppe wählen die Soziologen 100 Personen aus, die ebenfalls in den 1930-er Jahren in der Türkei geboren wurden, aber nicht in ein anderes Land emigrierten. Auch für sie rekonstruieren die Wissenschaftler Stammbäume und sammeln Daten über die Nachkommen.

"Dieses Forschungsdesign, das in seiner Komplexität bisher ohnegleichen ist, erlaubt uns Antworten auf viele offene Fragen der Migrationsforschung", so Baykara-Krumme. Unterstützt eine Migration soziale Aufstiegsprozesse? Unter welchen Bedingungen sind Migranten ökonomisch erfolgreich und können sich gut integrieren? Vermitteln Migranten ihren Kindern kulturelle Werte und Verhaltensweisen anders als Nichtmigranten dies tun? Wie entwickeln sich religiöse Einstellungen über die Generationen hinweg und in verschiedenen Aufnahmegesellschaften?

Das Team um Prof. Dr. Bernhard Nauck vom Institut für Soziologie der TU Chemnitz ist vor allem für die Befragung der Nachkommen in den deutschsprachigen Ländern Europas zuständig. Nauck kennt die Türkei selbst sehr gut und beschäftigt sich in seiner Forschung schon lange mit Migranten, die aus der Türkei stammen. Inhaltlich liegt sein Interesse vor allem in der Weitergabe von Werten und Verhaltensweisen zwischen den Generationen. Er konnte beispielsweise zeigen, dass die Vermittlung von Einstellungen an die eigenen Kinder für Migranten viel wichtiger ist als für Personen ohne Migrationshintergrund. "Das neue Forschungsprojekt erlaubt unter anderem, dieses Ergebnis für verschiedene Generationen und verschiedene Einwanderungsländer nachzuprüfen", so Nauck.

Das Projekt ist Teil eines groß angelegten transnationalen Forschungsprogramms im Rahmen von NORFACE ERA-NET, für das Forschungsförderungseinrichtungen aus 14 europäischen Ländern 23 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben. Ziel dieser Initiative der Europäischen Union ist es, die europaweite Zusammenarbeit in der Forschung zu fördern. Zu dem Thema "Migration in Europe: Social, Economic, Cultural and Policy Dynamics" werden ab September 2009 bis 2013 Forscher aus verschiedenen europäischen Ländern in insgesamt etwa einem Dutzend Projekten zusammenarbeiten. Unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Nauck, Inhaber der Professur Allgemeine Soziologie I, beteiligt sich die TU Chemnitz an dem Projekt der in Essex/Großbritannien tätigen Soziologin Ayse Güveli. Im Team sind des Weiteren Prof. Harry Ganzeboom von der Freien Universität Amsterdam, Dr. Lucinda Platt von der University Essex und Prof. Dr. Ahmet Icduygu von der Koc Universität Istanbul.

Weitere Informationen erteilt Dr. Helen Baykara-Krumme unter Telefon 0371 531-37461, E-Mail helen.baykara@phil.tu-chemnitz.de.

Katharina Thehos
24.09.2009

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