Ein paar Tassen Kaffee im Jahr und die Suche nach Antworten
Spannende Einblicke: Physikstudentin Julia Seemann berichtet von einer Exkursion zum Institut Laue-Langevin nach Grenoble, zum CERN nach Genf und zum Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg
Angeblich sind Physiker Menschen, die viel Kaffee trinken und diesen meistens in Experimente und Naturgesetze umwandeln. Was glauben Sie: die Antwort auf welche Fragen kann man von Physikern für einige wenige Tassen Kaffee im Jahr erwarten?
Fangen wir mit den für unseren Bericht wirklich wichtigen Fragen an: Was macht eigentlich ein Elementarteilchenphysiker den ganzen Tag? Welche fundamentalen Ergebnisse erwartet man von den Experimenten am Large Hadron Collider (LHC), der größten Maschine, welche die Menschheit bisher erbaut hat? Was hat man bei den Experimenten am CERN bereits herausgefunden? Welche grundlegenden Fragestellungen erforscht die weltgrößte Physikergemeinschaft? Es waren erst einmal diese Fragen, die den Physikstudenten Julia Seemann und Cristian Wagner im letzten Sommersemester durch den Kopf gingen.
Schnell war der Entschluss gefasst, sich selbst auf den Weg nach Genf zu machen und die Antworten aus erster Hand zu erfahren. Was als vage Idee begann, konnte auch die Kommilitonen überzeugen und nahm bald konkrete Gestalt an. Schritt für Schritt entstand der Plan für eine Rundreise zu einschlägigen Kernforschungseinrichtungen. Neben dem einmaligen Gefühl, sich selbst einen Eindruck von einem der derzeit spannendsten physikalischen Großexperimente zu verschaffen, bot sich so auch die Gelegenheit, sich mit Themengebieten der Physik auseinander zu setzen, die an der Chemnitzer Universität nicht so ausführlich unterrichtet werden können.
Gestartet wurde am Donnerstag, dem 23. September 2010 um 8 Uhr morgens am Mensaparkplatz Richtung Genf. Nach einer 13-stündigen Fahrt war das Ziel endlich erreicht, und die erste von drei Übernachtungen in einem Genfer Hostel wohlverdient. Schließlich galt es, am nächsten Morgen pünktlich 9 Uhr im Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble einzutreffen. 1967 durch eine Initiative von Frankreich und Deutschland für die zivile Grundlagenforschung gegründet, betreibt das ILL die weltweit stärkste kontinuierliche Neutronenquelle. In den letzen Jahren ermöglichte dies jährlich ca. 1.500 Wissenschaftlern, darunter auch Physikern der TU Chemnitz, etwa 750 Experimente auf dem Gebiet der Neutronenstreuung. Nach einem kurzen Einführungsvortrag gab die Laborbesichtigung mit Peter Fouquet interessante Einblicke in den Aufbau der Experimente, da die Neutronenquelle gerade für Wartungsarbeiten außer Betrieb war. So waren auch Bereiche zu besichtigen, die normalerweise nicht zugänglich sind. Trotz angeregter Diskussion blieb anschließend noch genügend Zeit für einen kleinen Rundgang durch die City von Grenoble.
Am nächsten Tag stand dann die Besichtigung des CERN auf dem Programm. Zunächst stellten Baumaßnahmen in der Genfer Innenstadt sicher, dass die größte von Menschen gebaute Maschine gar nicht so einfach zu finden war. Doch Dank Satellitennavigation und gesundem Menschenverstand war die verabredete Stelle dann doch gefunden und die Studenten wurden herzlich empfangen.
Eigens für die Chemnitzer Studenten war Prof. Freudenreich von der ETH Zürich angereist. Leidenschaftlich und unterhaltsam berichtete er von seiner Arbeit am CERN, beantwortete geduldig die vielen Fragen und stellte sich den interessanten Diskussionen mit den Studenten. Deren größtes Interesse galt natürlich dem Large Hadron Collider. Obwohl eine Besichtigung aus Sicherheitsgründen nicht möglich war, konnte Prof. Freudenreich in den verschiedenen Laboratorien einen guten Eindruck von der praktischen Realisierung der Teilchenbeschleuniger vermitteln. Buchstäblich hoch-spannend war die Stelle, an der die Protonen aus einer unscheinbaren, roten Gasflasche mit Wasserstoffgas erzeugt und in den Beschleuniger eingespeist werden.
Aber auch die Einblicke in die Kontrollräume, in denen die Mess- und Steuerdaten der Experimente zusammen laufen, gaben den Studenten die Möglichkeit, zumindest ein paar Stunden vor Ort bei einem spannenden Experiment dabei zu sein. Nebenbei erfuhren sie so auch, dass die Finanzierung der Experimente am CERN zwar in Milliarden EUR angegeben wird, ein jeder Einwohner der teilnehmenden Nationen aber letztlich nur den Gegenwert einiger Tassen Kaffee pro Jahr für die Finanzierung entbehren muss.
Welche Fragen die Physiker dafür beantworten möchten? Eine schlichte graue Wand im Eingangsbereich zu einer der interessanten Ausstellungen am CERN rund um die Physik der Elementarteilchen macht deutlich, dass die Physiker am CERN nach Antworten auf sehr fundamentale Fragen suchen: Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir? Diese Fragen beschäftigen uns Menschen schon seit Jahrtausenden, und der Besuch am CERN machte deutlich, das die Suche nach Antworten auf diese Fragen viel mehr wert ist als einige Tassen Kaffee im Jahr: der erste World-Wide-Web Server und innovative Sensortechnologien waren in den Ausstellungen zu bestaunen, doch Prof. Freudenreich konnte noch mehr Interessantes über neue Anwendungen der Teilchenphysik in der Krebstherapie berichten. Dem Samstagabend schließlich war die Besichtigung der Stadt Genf vorbehalten. Zahlreiche kleine Restaurants und Cafés luden zum Verweilen ein und boten somit nochmals die Möglichkeit, gemeinsam die Erlebnisse des Tages zu diskutieren.
Als nächstes stand Heidelberg auf dem Reiseplan. Allerdings nicht das Universitätsklinikum, in dem die medizinischen Anwendungen, von denen Prof. Freudenreich berichtete, erprobt werden, sondern das Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK). Die Fahrt dauerte unerwartet lang, so dass die Studenten das Heidelberger Altstadtfest leider verpassten und so mancher angehende Physiker doch wieder mit Kaffee statt Wein vorlieb nehmen musste. Doch auch die Innenstadt als solche sorgte mit den zahlreichen kleinen Geschäften, Wirtschaften und Sehenswürdigkeiten für Begeisterung. Nach einer erholsamen Nacht in der Heidelberger Jugendherberge ging es schließlich in das MPIK.
Die Wissenschaftler des MPIK betreiben überwiegend Forschung in den Bereichen Quantendynamik, Kern-, Astro- und Teilchenphysik und arbeiten dabei eng mit internationalen Forschergruppen zusammen. Da die Experimente überwiegend außerhalb des Instituts betrieben werden, konzentrierte man sich bei dem Besuch der Studenten auf die Theorie der Experimente. Diese beleuchtete die beiden Forschungsschwerpunkte und stellte somit einen motivierenden Abschluss der Exkursion dar.
Im Rückblick lässt sich sagen, dass die Exkursion ein sehr gelungenes Unternehmen war, welches sowohl den Einblick in das weite Feld der Physik vertiefte als auch einen Eindruck von der vielfältigen Arbeit eines Physikers vermittelte. Und nicht zuletzt bot diese Exkursion auch die Gelegenheit, dass sich Studenten semester- und studienübergreifend näher kennen lernen konnten, was sicher für das weitere Studium von Vorteil ist.
Ein besonders herzlicher Dank der Studenten gilt der Firma Engelmann für den reibungslosen Reiseablauf, den besuchten Instituten für die unkomplizierte Zusammenarbeit und die interessanten Führungen und nicht zuletzt dem Institut für Physik für die großzügige finanzielle Unterstützung dieser studentischen Initiative.
Mario Steinebach
05.11.2010