Diebe wollen Gewinn, Autofahrer fürchten Gewalt
Psychologe Dr. Sven Tuchscheerer untersuchte in seiner Dissertation an der TU Chemnitz das Thema Autodiebstahl aus Sicht der Opfer und der Täter - Vorschlag für den Schutz für Fahrzeuge und Fahrer
"Neben Wegfahrsperre und Lenkradschloss als Diebstahlschutz wünschen sich Autofahrer vermehrt Sicherheit für sich selbst", sagt Dr. Sven Tuchscheerer, der an der Technischen Universität Chemnitz im Fach Psychologie promoviert wurde. Er hat in seiner Dissertation zum Thema "Human Factors in Automotive Crime and Security" die Beziehungen zwischen Autofahrern und -dieben untersucht und festgestellt, welche Wünsche die Fahrer beim Schutz vor Kriminalität haben. Die Promotion entstand während seiner Tätigkeit bei der Volkswagen AG Konzernforschung / UA Security in Wolfsburg. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Josef Krems, Inhaber der Professur Allgemeine und Arbeitspsychologie. Krems nennt einige Zahlen: "Im Jahr 2007 wurden in Deutschland rund 40.000 Fahrzeuge geklaut. Ungefähr alle zwei Minuten ereignet sich ein Diebstahl in oder aus einem Kfz. Dazu kommen Unterschlagung, Hehlerei, Raub und Sachbeschädigung. Es ist deshalb verständlich, dass die Fahrzeugkriminalität inzwischen ein wichtiger Gegenstand der Kriminologie einerseits und der Angewandten Psychologie andererseits geworden ist. Ziel der Arbeit von Sven Tuchscheerer ist die genaue und systematische Beschreibung unterschiedlicher Formen von Fahrzeugkriminalität und deren Ursachen."
In einer ersten Studie befragte der TU-Absolvent 40 Besitzer von Oberklassefahrzeugen nach ihrer subjektiven Kriminalitätsfurcht. Denn Oberklassefahrzeuge sind bei Autodieben besonders begehrt. Mithilfe der Anschlussstudie - einer Online-Befragung von mehr als 2.000 deutschen Autofahrern - entwickelte er ein Modell. Dieses bildet die Zusammenhänge zwischen unter anderem Fahrzeug, Nutzung, Schutzsystem, Versicherung, Furcht vor Fahrzeugkriminalität und eingeschätzten Kosten ab.
"Die Täter wollen vor allem finanziellen Gewinn erzielen. Dazu passen die Befürchtungen der Fahrzeugbesitzer nur bedingt", berichtet Tuchscheerer. Die Fahrer haben demnach hauptsächlich Angst vor tätlichen Angriffen. Der finanzielle Schaden durch einen Autodiebstahl ist für sie zweitrangig. "Interessanterweise vermeiden jedoch Täter eigentlich den Kontakt mit den Fahrzeugbesitzern, weil diese einen unkalkulierbaren Faktor darstellen. Auch möchten sie keine Gewalt anwenden, da sie Angst vor der deutlich härteren Bestrafung in solchen Fällen haben", erklärt Tuchscheerer.
Auch bei der Bewertung von Sicherheitssystemen zeigen sich Widersprüche. "Autofahrer wünschen sich präventive Systeme: vor allem eine Möglichkeit der präventiven Navigation oder eine automatische Verriegelung des Fahrzeuges, um ein Aufreißen der Tür verhindern", so Tuchscheerer. Auf der Wunschliste folgen Schutzsysteme wie die Kameraüberwachung des Fahrzeuginnenraums, eine automatische Notruffunktion oder die Fahrzeugortung mittels GPS. Nur wenig versprechen sich die Fahrer von so genannten repressiven Systemen - also jenen, die die Tat nicht verhindern, sondern zur Ergreifung des Täters beitragen.
Viele Täter hingegen bewerten die präventiven Systeme als "wenig wirksam" und "schlimmstenfalls lästig". Zu diesem Ergebnis kommt Tuchscheerer durch die Befragung von elf Tätern, die mehrfach wegen Fahrzeugdelikten vorbestraft sind und zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Gefängnisstrafe verbüßten. Wegfahrsperre, Lenkradschloss, Alarmanlagen oder Sicherheitsverglasung stellen für sie selten bis nie Probleme dar. Systeme, die den Täter identifizieren helfen, schätzen die Kriminellen wesentlich häufiger als "problematisch" ein. Vor allem, wenn diese nachträglich eingebaut wurden und im Auto gut versteckt sind.
Geminderter Gewinn schreckt ab
Tuchscheerer empfiehlt auf Grundlage seiner Forschungsergebnisse einen bisher kaum verfolgten Ansatz: die Minderung des Gewinns, der durch Fahrzeugkriminalität erzielt werden kann. "Ein Lahmlegen eines Fahrzeuges nach erkanntem Diebstahl ist in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht zulässig. Es lassen sich aber viele nicht primär fahrrelevante Fahrzeugkomponenten außer Gefecht setzen oder stören", so Tuchscheerer. Beispiel: Bei warmen Außentemperaturen wird die Klimaanlage automatisch deaktiviert und die Heizung eingeschaltet. Die Fenster werden geschlossen und gegen das Öffnen gesperrt. Zusätzlich wird die Sitzheizung auf die höchste Stufe gestellt. Bei kalten Temperaturen hingegen schaltet sich die Klimaanlage ein, die Heizung wird deaktiviert. Bei einer Geschwindigkeit bis 40 Kilometer pro Stunde öffnen sich automatisch die Fenster und können manuell nicht wieder geschlossen werden. Das gestohlene Auto verliert so deutlich an Wert.
"Durch solche Maßnahmen würde die Kosten-Nutzen-Abschätzung seitens der Täter beeinflusst. Das könnte abschreckender wirken als die Erhöhung der Kosten, die zum Beispiel für die Überwindung einer Wegfahrsperre anfallen", so Tuchscheerer. Härtere Strafen seien hingegen wenig wirksam; Strafmaß und Risiko wurden von allen elf befragten Verurteilten unterschätzt. Auch eine verstärkte Polizeipräsenz nutze voraussichtlich wenig. Zwar wünschen sich Fahrzeugbesitzer diese, Täter jedoch werden dadurch kaum abgeschreckt. Vor allem Profis stellen lediglich ihre Strategien um und kommen auf anderen Wegen zum Erfolg.
Tuchscheerer arbeitet derzeit am Institut für Technische und Betriebliche Informationssysteme der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg in der Arbeitsgruppe Multimedia and Security (AMSL), wo sein Schwerpunkt auf IT-Systemen im Fahrzeug und ihrer Angreifbarkeit liegt.
Weitere Informationen erteilt Dr. Sven Tuchscheerer, Telefon 0391-67-11876, E-Mail sven.tuchscheerer@iti.cs.uni-magdeburg.de.
Hinweis: Die Dissertation von Dr. Sven Tuchscheerer zum Thema "Human Factors in Automotive Crime and Security" finden Interessenten im Online-Archiv MONARCH der TU Chemnitz: http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/7058/Dissertationsschrift__Tuchscheerer_Veroeffentlichung_ncp.pdf
Katharina Thehos
29.07.2011