Das gesamte Spektrum des Lebens mit Worten bedienen
US-Bestsellerautor Scott Nicholson ließ drei junge Frauen, die einst an der TU Chemnitz tief in die Anglistik/Amerikanistik eintauchten, zwei seiner aktuellen Bestseller übersetzen
Drei Absolventinnen der Technischen Universität Chemnitz machten zum Jahreswechsel auf sich aufmerksam - nämlich mit der Übersetzung zweier Bücher des US-Erfolgsautoren Scott Nicholson. Der in North Carolina im Osten der USA lebende Bestseller-Autor eroberte in seiner Heimat bereits ein Millionenpublikum. Zu den erfolgreichen Romanen gehören auch "Die Tunnel der Seele" und "Entzweiung". Beide wurden von den TU-Absolventinnen der Anglistik/Amerikanistik Anja Rücknagel und Anne Wagner sowie von Dr. Sylva-Michèle Sternkopf, die an der TU promovierte, ins Deutsche übertragen. Nun sind die Bestseller ausschließlich bei amazon als E-Book erhältlich. Die beiden Bücher kletterten hier innerhalb weniger Wochen in die Top 100 der deutschen E-Books, "Entzweiung" hielt sich fast drei Wochen in den Top 20, Spitzenposition war Platz 8. In der "Horror"-Rubrik rangiert er sogar auf dem höchsten Rang.
Den Auftrag zur Übersetzung erhielten die drei Frauen, die gemeinsam für die Flöhaer Agentur Sternkopf Communications arbeiten, eher zufällig. Geschäftsführerin Sylva-Michèle Sternkopf hatte im Internet auf einer Übersetzerplattform von der Suche des amerikanischen Autors nach einem deutschen Übersetzer gelesen. "Kurz entschlossen schrieb ich Scott Nicholson, hängte eine Referenzliste an und erhielt den Auftrag. Dann hieß es für Anja, Anne und mich, jede freie Minute vor oder nach der Arbeit in dieses Projekt zu stecken", berichtet Sylva-Michèle Sternkopf.
Die drei sprachbegabten Frauen habe vor allem gereizt, sich erstmals der Übersetzung von Literatur zu widmen. Normalerweise sei es der Job der Sternkopf-Agentur, für Firmen internationale Marketingstrategien auszuarbeiten und Werbetexte von einer in die andere Sprache zu übertragen. "Dieser Job erweiterte durchaus unseren Sprachschatz, denn bei der Übersetzung eines Thrillers ist die Wortliste wesentlich länger als bei einer Imagebroschüre", sagt Anja Rücknagel. Und stressig sei die Arbeit auch gewesen, sollten die E-Books doch noch vor dem Weihnachtsabend auf der virtuellen Ladentheke landen. Selbst das Korrekturlesen habe viel Zeit gekostet. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Scott Nicholson will mit den drei Übersetzerinnen weiter kooperieren.
Anne Wagner hatte übrigens von 1997 bis 2003 Anglistik/Amerikanistik und Betriebswirtschaftslehre an der TU Chemnitz studiert. "Schon in der Schule war Englisch mein Lieblingsfach und ich habe die Klassiker der englischsprachigen Literatur verschlungen", erzählt sie und ergänzt: "Durch mein Studium bin ich noch weiter in die englische Sprache abgetaucht. Seit dieser Zeit stehen bei mir nur Bücher in der englischen Originalausgabe im Regal." Allerdings weiß sie, dass nicht jeder so ein Faible für diese Sprache hat wie sie. "Manch einer traut sich einfach nicht an einen mehrere hundert Seiten dicken Wälzer heran und ist dankbar, dass die Werke seines Lieblingsautors auch ins Deutsche übersetzt werden." Deshalb war Anne Wagner sofort Feuer und Flamme, als sie die Chance bekam, einen englischen Bestseller in ihre Muttersprache zu übertragen.
Ebenso viel Spaß am Übersetzen hat auch Anja Rücknagel, die von 2000 bis 2007 Anglistik/Amerikanistik, Interkulturelle Kommunikation und Erwachsenenbildung an der TU Chemnitz studierte: "Alle Informationen eines Textes richtig zu übertragen und dabei nicht nur Wort für Wort vorzugehen - das erfordert Kreativität und ist manchmal ganz schön kniffelig. Die Uni hat mir da ein paar gute Grundlagen vermittelt." Bei der Übersetzung von "Die Tunnel der Seele" habe sie viel Gelerntes nutzen können. Das Schwerste an diesem Projekt sei die Suche nach einem Titel gewesen, der alles sagt, aber nichts verrät.
Sylva-Michèle Sternkopf hatte nach ihrem Studium an der TU Dresden von 2000 bis 2004 in Chemnitz im Bereich "Englische Sprachwissenschaft" promoviert. "Ein Buch zu übersetzen war schon immer mein Traum", verrät sie. "Zwar haben wir in unserer Agentur Tag für Tag mit Übersetzungen zu tun, aber eine literarische Übersetzung ist schon etwas ganz anderes. Man muss halt das gesamte Spektrum des Lebens mit Worten bedienen können - von grenzenloser Trauer über Wut und Begeisterung bis hin zu unbändiger Freude", fügt sie hinzu. Dabei dürfe man auch mal fluchen oder Dialekt sprechen - sprachlich sei dies eine tolle Herausforderung. "Bei der Übersetzung kamen mir tatsächlich viele Erkenntnisse zugute, die wir in den Literaturwissenschaftskursen an der Uni hatten - von der Verwendung von Metaphern und Vergleichen bis hin zum Charakteraufbau. Außerdem war das Hintergrundwissen über die Tradition der amerikanischen Ghost-Storys hilfreich für die Übersetzung dieses manchmal doch ziemlich gruseligen Thrillers", berichtet Sylva-Michèle Sternkopf. Beim Übertragen der "Entzweiung"-Lektüre vom Amerikanischen ins Deutsche sei sie kapitelweise vorwärtsgegangen: "Ich habe mich jeden Tag auf die Fortsetzung gefreut."
Mario Steinebach
04.02.2013