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Kaßberg-Gefängnis: Studierende betreiben Erinnerungsarbeit

Studierende der Europa-Studien und der Europäischen Geschichte stellten bei einem Rundgang durch das Kaßberg-Gefängnis ihre Ergebnisse aus einem forschungsorientierten Geschichtsseminar vor

  • Theresa Kiunke, Amelie Stelzner, Veronica Scholz und Christian Lieberwirth (v.l.) recherchierten im Rahmen ihres Studiums zu Repressionsorten in Chemnitz von 1945 bis 1990. Ihre Ergebnisse stellten sie bei einem Rundgang durch das Kaßberg-Gefängnis vor. Foto: privat
  • Rund 50 Studierende folgten, verteilt auf drei Termine, der Einladung. Der Rundgang begann vor dem eisernen grauen Tor des Kaßberg-Gefängnisses, wo Christian Lieberwirth in die Architektur und Geschichte des Gefängnisses einführte. Foto: privat
  • Im Inneren des Gebäudes ergänzten Zeitzeugen die Informationen der Studierenden. Foto: privat

Vier Studierende der Europa-Studien und der Europäischen Geschichte organisierten vergangene Woche einen zeithistorischen Rundgang in und um das leerstehende Kaßberg-Gefängnis. Vom 27. Februar bis zum 1. März 2014 fanden drei Führungen statt, an denen insgesamt rund 50 Studierende teilnahmen. Thema des Rundgangs war die Unterdrückung von Andersdenkenden, Unangepassten und Regimegegnern in der Zeit von 1945 bis 1990 in Chemnitz/Karl-Marx-Stadt. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Orten im Stadtgebiet, an denen Unrecht geschehen ist. Dabei waren die Organisatoren selbst die Experten für die fünf thematischen Stationen des Rundgangs.

Die Idee für den Rundgang entstand in einem forschungsorientierten Geschichtsseminar an der TU Chemnitz. Das Seminar beschäftigte sich mit Repressionsorten in Chemnitz von 1945 bis 1990. Zu Beginn der Recherche wurde deutlich, dass kaum Literatur zu diesem Thema vorhanden ist. Aus diesem Grund beruhen die meisten Forschungsergebnisse der Studierenden auf Recherchen in Archiven und Gesprächen mit Zeitzeugen. Diese Ergebnisse bildeten die Grundlage des Rundgangs. Motivation für das Projekt war der Wunsch, diese noch kaum bekannten Themen der Chemnitzer Geschichte an Studierende der TU Chemnitz weiterzugeben. Das Kaßberg-Gefängnis als Ort des Rundgangs zu wählen, beruht auf seiner stellvertretenden Funktion für alle Orte von Unterdrückung in Chemnitz. Zur Zeit der sowjetischen Besatzung sowie zur DDR-Zeit wurden hier politische Häftlinge, zum Teil ohne Prozesse, festgehalten.

Der Rundgang begann vor dem eisernen grauen Tor des Kaßberg-Gefängnisses. Christian Lieberwirth führte in die Architektur und Geschichte des 1886 als Königlich-Sächsische Gefangenenanstalt gebauten Gefängnisses ein. Zu Zeiten der DDR war es für 370 Häftlinge ausgerichtet und somit das größte Gefängnis der DDR. Nach der Wiedervereinigung wurde das Gefängnis als Justizvollzugsanstalt weitergenutzt und teilweise umgebaut. Seit 2010 steht es wegen mangelnder Brandschutzvorkehrungen leer.

Veronica Scholz informierte über die Situation während der sowjetischen Besatzungszeit von 1945 bis 1949. Viele Jugendliche wurden damals fälschlicherweise verdächtigt, in der nationalsozialistischen Partisanen-Organisation "Werwolf" tätig gewesen zu sein. Diese Organisation sollte die Besatzungsmacht durch Terrorakte schwächen. Die Jugendlichen wurden oftmals für mehrere Jahre inhaftiert. Im Rahmen ihrer Recherche konnte Veronica Scholz fünf über die Stadt verteilte Haftkeller ausfindig machen. In diesen provisorischen Haftorten in Privathäusern oder Verwaltungsgebäuden wurden Verdächtige meist unter Gewaltanwendung verhört. Weiterhin wurde die Funktion des Kaßberg-Gefängnisses zur Zeit der sowjetischen Besatzung und der Weitertransport der Häftlinge in Speziallager durch die Besatzer erläutert. Ein Zeitzeuge veranschaulichte dies durch Schilderungen der verschiedenen Stationen seiner Gefangenschaft: Haftkeller, Kaßberg-Gefängnis und Arbeitslager in Sibirien.

Die nächste Station des Rundgangs knüpfte an das Thema Unterdrückung von Unangepassten an, verließ thematisch aber das Gefängnis. Amelie Stelzner informierte über die Heimerziehung in der DDR und die politisch motivierte Umerziehung der Heimkinder und -jugendlichen zu staatstreuen Menschen. In den Heimen lebten nicht nur Kinder, deren Eltern nicht für sie sorgen konnten. Auch Kinder, die oppositionelle Eltern hatten oder Jugendliche, die nicht angepasst waren, wie zum Beispiel Punks, lebten hier. Insgesamt haben rund 500.000 Kinder und Jugendliche das Heimsystem der DDR durchlaufen. In Chemnitz konnte Amelie Stelzner 27 Heime ausfindig machen. Es ist davon auszugehen, dass deutlich mehr existierten.

Im nächsten Abschnitt des Rundgangs wurde die besondere Bedeutung des Kaßberg-Gefängnisses für Gesamtdeutschland hervorgehoben. Es ging um den Häftlingsfreikauf, der von 1963 bis 1989 hauptsächlich über das Kaßberg-Gefängnis abgewickelt wurde. Dabei wurden mehr als 33.000 Häftlinge von der DDR an die Bundesrepublik verkauft. Die BRD bezahlte für sie Aufwendungen im Wert von 3,4 Milliarden DM. Auch diese Ausführungen wurden durch die persönliche Geschichte eines Zeitzeugen veranschaulicht.

In der fünften Station des Rundgangs widmete sich Theresa Kiunke der Rezeption dieser Vergangenheit, die für viele Besucher kaum bekannt war. Ebenso unbekannt war die Gedenkstehle, die unweit vom Gefängnis und dem angrenzenden Justizkomplex in der Hohen Straße steht. Sie erinnert an die Opfer der Gewaltherrschaft von 1945 bis 1990. Vor Ort konnte sich die Gruppe ein Bild von der Stehle machen und deren Wirkung anschließend bei Kaffee und Tee in entspannter Runde im Haus Arthur diskutieren. Viele äußerten, dass sie die Stehle als nicht ansprechend empfinden, da der geschichtliche und ortsbezogene Hintergrund kaum bekannt ist und an dem Denkmal auch nicht erklärt wird. Weiter wurde über die Nachnutzung des Kaßberg-Gefängnisses diskutiert. Das Gefängnis hätte per se eine stärkere Wirkungskraft als der Gedenkstein. Es würde sich anbieten hier eine Gedenkstätte einzurichten, um über das stattgefundene Unrecht aufzuklären. Auch die Zeitzeugen bestärkten die jüngeren Generationen, die Erinnerungsarbeit fortzusetzten.

Auf Grund der großen Nachfrage sind weitere Rundgänge in Planung. Zusätzlich soll das Thema auch für andere Zielgruppen, wie Schulkinder und Chemnitzer Bürger, aufbereitet werden.

(Autorinnen: Amelie Stelzner, Theresa Kiunke, Veronica Scholz)

Katharina Thehos
05.03.2014

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