Diversität und Denkfreude als Erfolgsfaktoren
Erste Antrittsvorlesung an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften: Prof. Dr. Anja Strobel und Prof. Dr. Bertolt Meyer stellten am 3. Februar 2015 ihre Forschungsthemen vor
„Diversität und Denkfreude als Erfolgsfaktoren in Schule und Beruf: Betrachtungen auf Gruppen- und Individualebene“ lautete der Titel der gemeinsamen Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Anja Strobel und Prof. Dr. Bertolt Meyer am 3. Februar 2015. Beide wurden im Jahr 2014 auf ihre Professuren am Institut für Psychologie der Technischen Universität Chemnitz berufen. Mit ihrer Antrittsvorlesung bildeten sie eine Premiere an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften. „Wir möchten diese wichtige Tradition der Antrittsvorlesungen an unserer Fakultät künftig weiterführen“, sagte Prof. Dr. Thomas Milani, Dekan der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften, in seinen einleitenden Worten.
Zunehmende Heterogenität in der Gesellschaft
Prof. Meyer, seit Juli 2014 Inhaber der Professur Organisations- und Wirtschaftspsychologie, sprach in seinem Teil der Vorlesung über die zunehmende Heterogenität in der Gesellschaft – von der Schule bis in den Arbeitsmarkt. Hierbei stellte er verschiedene Theorien der Diversitätsforschung vor: Besagt die eine, dass Menschen vor allem solche anderen Menschen mögen, die möglichst gleich sind, so sagt die zweite Theorie, dass das Zusammenbringen unterschiedlicher Erfahrungen, Wissensschätze und Problemlösungen ein Gewinn für alle Beteiligten ist. „Das sind zwei widersprüchliche Vorhersagen – und das macht das Forschungsfeld so spannend“, sagte Meyer, der im Folgenden auch sein präferiertes Modell vorstellte: das der „Faultlines“. „Faultlines sind das erste Konstrukt in über 40 Jahren Diversitätsforschung, das in Meta-Analysen konsistente Ergebnisse zeigt“, so der Psychologe. Faultlines – zu Deutsch „Gruppenbruchlinien“ – sind hypothetische Trennungslinien, die eine heterogene Gruppe in relativ homogene Subgruppen unterteilen. Eine starke Faultline besteht beispielsweise in einem Team, das aus drei jungen männlichen Informatikern und zwei älteren weiblichen Juristinnen besteht. In der Feldforschung waren Faultlines bisher wegen zu komplexer Algorithmen in größeren Gruppen nicht bestimmbar. Meyer hat deshalb gemeinsam mit seinem Team einen Algorithmus entwickelt, der die Rechenzeit bei der Bestimmung von Faultlines so reduziert, dass sie in der Feldforschung anwendbar sind. In seiner Vorlesung berichtete er von zwei darauf aufbauenden, aktuellen Untersuchungen: eine mit Teams aus Finanzberatern und eine mit Grundschulklassen. Schulklassen werden für die Forschung zu Diversität zunehmend relevant, da es nicht nur stets mehr Kinder mit Migrationshintergrund gebe, sondern durch die UNESCO-Leitlinie zur Inklusion auch zunehmend Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in Regelschulen unterrichtet werden. Ein Ergebnis seiner Untersuchung an einer Schweizer Grundschule ist, dass das Verhalten von Schülern stark von der Einstellung ihrer Lehrer abhängt – ist ein Lehrer der Diversität in der Klasse gegenüber aufgeschlossen, sind die Kinder signifikant seltener dazu bereit, Kinder mit erhöhtem Förderbedarf auszuschließen. Aktuell laufen derartige Untersuchungen per Fragebogen – in Zukunft wollen die Chemnitzer Organisationspsychologen um Prof. Meyer zunehmend den Einsatz von tragbaren Sensoren, so genannten Sociometric Badges, untersuchen. Mit ihnen lässt sich das Sozialverhalten von Einzelpersonen innerhalb von Gruppen messen.
Vorhersage schulischer und akademischer Leistungen
Prof. Strobel, die seit April 2014 die Professur Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik inne hat, stellte ihre Forschung zur kognitiven Motivation – der „Freude am Denken“ – vor. Dieses in der Psychologie als „Need for cognition (NFC)“ bekannte Merkmal lässt sich beispielsweise gegenüber der Intelligenz abgrenzen und unter anderem per Fragebogen erheben. „Personen mit hohem NFC erleben intellektuell herausfordernde Aufgaben als interessant und suchen aktiv Informationen, um Probleme zu lösen“, erklärte Strobel. Zum Einsatz kommen könne der NFC-Fragebogen zum Beispiel zur Vorhersage schulischer und akademischer Leistungen. Entsprechende Fragebögen für Erwachsene und Jugendliche sind bereits etabliert – eine Version für Kinder im Grundschulalter entwickelte Strobel in der Vergangenheit gemeinsam mit ihrer Trierer Kollegin Prof. Dr. Franzis Preckel. „Die Reliabilität und Validität dieses Fragebogens ist nachgewiesen, und er liegt inzwischen auf Englisch, Französisch und Finnisch vor. Dadurch kommt er auch in internationalen Kooperationen, zum Beispiel in Luxemburg, zum Einsatz, berichtete Strobel. Zudem setzten Strobel und ihre Kooperationspartner das neue Instrument bei einer Studie in der finnischen Stadt Vantaa ein, wo sie rund 4.000 Schüler aus den Klassenstufen 3, 6 und 9 untersuchten. Hierbei zeigte sich, dass die gemessene Freude am Denken vor allem zwischen der dritten und der sechsten Klasse erheblich abgefallen ist. „Da dies zum Beispiel in Deutschland die Zeitspanne ist, in der der Wechsel von der Grund- auf eine weiterführende Schule stattfindet, ist es wichtig, dieses Ergebnis in Zukunft weiter zu untersuchen und Ursachen aufzuklären“, blickte Strobel auf eine der Forschungsfragen, der sie sich in ihrer Zeit an der TU Chemnitz widmen möchte. Eine weitere Frage für ihre Chemnitzer Arbeit sieht sie darin, ob sich Zusammenhänge zwischen dem NFC und einem erfolgreichen Studienabschluss bzw. einem Studienabbruch feststellen lassen.
Zur Person: Prof. Dr. Anja Strobel und Prof. Dr. Bertolt Meyer
Anja Strobel ist gebürtige Karl-Marx-Städterin. Nach dem Diplomstudium der Psychologie an der TU Dresden wurde sie dort 2004 zur Diagnose von Interviewerkompetenz im Eignungsbereich promoviert. Bis 2010 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig, bevor sie auf die Juniorprofessur Prozessorientierte Diagnostik in Dresden berufen wurde. Im Wintersemester 2011/2012 vertrat sie ihre jetzige Professur an der TU Chemnitz, danach die Professur Diagnostik und Intervention an der TU Dresden. Aktuell beschäftigt sie sich intensiv mit zwei Aspekten und möchte sie in Kontakt mit Partnern der Region in Chemnitz verfolgen: mit dem Persönlichkeitsmerkmal „Freude am Denken“ als Grundlage für schulische und berufliche Leistungen sowie mit „moralischem Handeln“ im Unternehmenskontext und dessen Voraussetzungen auf Seiten der handelnden Personen.
Bertolt Meyer stammt aus Hamburg. Nach dem Diplom-Studium der Psychologie an der Universität Hamburg und an der Humboldt-Universität Berlin promovierte er mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes 2008 an der Humboldt-Universität Berlin. Parallel arbeitete Meyer im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Internetökonomie“. Ab Oktober 2007 bis März 2014 war er Oberassistent in Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Zürich. Ab April 2014 hat er – wie bereits im Wintersemester 2012/2013 – die Professur für Wirtschafts- Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Chemnitz vertreten, bevor er am 1. Juli 2014 auf die neugeschaffene W3-Professur für Organisations- und Wirtschaftspsychologie berufen wurde. Er forscht zu den Auswirkungen von Diversität in Arbeitsteams, zu Determinanten guter Führung und zu Gesundheit am Arbeitsplatz.
Weitere Informationen
zur Professur Organisations- und Wirtschaftspsychologie: https://www.tu-chemnitz.de/hsw/psychologie/professuren/owpsy,
zur Professur Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik: https://www.tu-chemnitz.de/hsw/psychologie/professuren/ppd
Katharina Thehos
05.02.2015