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„Größere Maschinen sind eine Option für fast alle Airlines“

Ein Forscherteam unter Leitung von Prof. Dr. Friedrich Thießen untersuchte die 140 meistgeflogenen europäischen Strecken - Ihr Fazit: Bis zu zwei Drittel der Flüge könnten abgeschafft werden

Der Luftverkehr sieht sich zunehmender Kritik ausgesetzt. Menschen fangen an, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie fliegen. An der Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre der Technischen Universität Chemnitz wurde 2019 eine Studie veröffentlicht, die aufzeigt, wie die Zahl der Flüge reduziert werden kann. Dazu sprach Mario Steinebach, Leiter der Pressestelle und Crossmedia-Redaktion der TU Chemnitz, mit dem Leiter der Studie, Prof. Dr. Friedrich Thießen.

Was war Gegenstand Ihrer Studie?

Zusammen mit dem Arbeitskreis Luftverkehr unserer Universität und Herrn Alexander Nollau, einem Studierenden des Masterstudienganges Finance, haben wir untersucht, ob man die Zahl der Flugbewegungen in Europa reduzieren könnte, ohne die Transportleistung, also die Zahl beförderter Passagiere, zu reduzieren. Dies haben wir für ein europäisches Flugnetz der 140 meistbeflogenen Strecken von den Kanaren bis Istanbul ermittelt.

Was haben Sie herausgefunden, kann man bei unveränderter Transportleistung tatsächlich Flüge streichen?

Ja, durchaus. Das Ergebnis hat uns selbst überrascht: Bei der gleichen Anzahl transportierter Passagiere kann man die Zahl der Flugbewegungen um bis zu zwei Drittel mindern – von 2.040 Flügen an einem Stichtag auf 738. Das löst auf einen Schlag gewaltige Umweltprobleme, die der Luftverkehr hervorruft.

Wie sind Sie bei Ihren Berechnungen und Überlegungen vorgegangen?

Wir nutzten das aus der Logistik bekannte „Hub and Spoke System“, haben Flüge zusammengefasst und größere Flugzeuge eingesetzt. Heute kann man zum Beispiel von Zürich nach Berlin zwölfmal pro Tag fliegen – und das in kleinen Maschinen. Hier kann man locker auf 7 reduzieren, ohne den Passagieren weh zu tun. Ein anderes Beispiel: zwischen 5:50 Uhr und 6:00 Uhr, also innerhalb von zehn Minuten, fliegen vier Maschinen von Düsseldorf nach Mallorca ab. Das muss nicht sein. Um 19:10 Uhr und 19:15 Uhr starten zwei kleine Maschinen von Düsseldorf nach Madrid. Auch das ist unnötig. Von Frankfurt nach London-Heathrow fliegt British Airways um 10:55 Uhr, Lufthansa folgt um 11:00 Uhr. Es gibt unzählige weitere Beispiele, da kann man viel zusammenfassen.

Zusammenfassen kling gut, aber warum gelingt dies nicht in der Praxis?

Der Luftverkehr hast sich seit der Liberalisierung in den 1990er Jahren in das heutige System hineinentwickelt, aus dem einzelne Airlines nicht ausbrechen können. Hier ist die Politik gefragt. Problematisch ist beispielsweise, dass jede Airline jede Strecke selbst fliegen will. Das verdoppelt und verdreifacht die Zahl der Flugbewegungen unnötig, der Flugverkehr wird so immer dichter. Wenn man den Airlines keine einzelnen Slots, sondern eine ganze Stunde oder zwei Stunden zuteilte, würden sie sich anders verhalten. Die Bahnen verfolgen im Vergleich dazu eine vernünftigere Strategie. Dort werden Strecken ausgeschrieben und dann in einer regelmäßigen Taktung in größeren Abständen von jeweils einer Bahngesellschaft bedient. Die Deutsche Bahn setzt jetzt Züge mit fast 400 Metern Länge ein, die bis zu 900 Passagieren transportieren können. Die Airlines fliegen im Schnitt nur mit 140 Passagieren.

Die Deutsche Bahn setzt größere Züge ein, könnten Fluggesellschaften auch größere Flugzeuge einsetzen?

Ja, durchaus. Als Air Berlin insolvent wurde, kam plötzlich ein größerer Bedarf auf der Strecke Frankfurt-Berlin auf die verbliebenen Airlines zu, sodass Lufthansa letztendlich einen Jumbojet einsetzte. Von Peking aus fliegen im Kurzstreckenverkehr Jumbojets. Die großen Maschinen sind jedoch nicht für den Dauereinsatz auf kurzen Strecken geeignet, weil sie auf Langstreckenflüge optimiert sind. Hier muss es Weiterentwicklungen geben. Auf einigen kleineren Flughäfen können große Maschinen auch nicht starten und landen, weil die Infrastruktur der Airports erst noch angepasst werden muss. Dennoch gilt: Größere Maschinen sind eine Option für fast alle Airlines.

Wird Ihre Studie außerhalb der Universität zur Kenntnis genommen?

Wir sind mit unserer Analyse und unseren Vorschlägen in der Politik unterwegs. Wir sprechen mit Verkehrsexperten. Außerdem diskutieren wir mit Non-Governmental Organizations. Auch in Österreich und der Schweiz wird über den Vorschlag debattiert. Es geht jetzt darum, den konkreten Weg hin zu einem Verkehrssystem zu finden, das mit weniger Flugbewegungen auskommt. Bisherige Vorschläge liefen oft auf eine Reduktion der Flugreisen insgesamt hinaus, durch Preiserhöhungen soll das Reisen per Flugzeug unattraktiv gemacht werden. Das hat die Politiker geärgert. Unser Vorschlag arbeitet mit einem ganz anderen Mechanismus. Wir nehmen niemandem etwas weg und trotzdem werden die Belastungen durch Fluglärm, Feinstaub und CO2 sowie die Überfüllung im Luftraum genauso wie Flugverspätungen abgebaut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Studie „Optimierung der Flugbewegungszahlen in Europa. Möglichkeiten zur Reduktion der Zahl der Flugbewegungen in Europa unter Berücksichtigung der Verbindungsgüte“ kann hier heruntergeladen werden: https://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/bwl4/pub/Nollau_Thiessen_DE.pdf

Mario Steinebach
20.06.2019

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