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Das perfekte Wahlrecht gibt es nicht

Neues Bundeswahlgesetz ist verabschiedet - TU-Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Strohmeier war als Sachverständiger beteiligt und befürwortet das Gesetz als "guten Kompromiss"

  • 620 Abgeordnete sitzen derzeit im Deutschen Bundestag. Ob es in Zukunft wesentlich mehr sind, entscheidet sich bei der Wahl am 22. September 2013. Foto: Deutscher Bundestag / Marc-Steffen Unger

Am 22. September 2013 findet die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag statt. Dann wird sich zeigen, wie es in der Praxis funktioniert: das neue Bundeswahlgesetz, an dem alle politischen Fraktionen seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes am 3. Juli 2008 gearbeitet haben. In diesem neuen Gesetz, das der Bundestag am 21. Februar 2013 angenommen hat, steckt auch ein kleines Stück Chemnitzer Expertise.

Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der TU Chemnitz, hat die Reform des Wahlrechtes seit 2011 als Sachverständiger begleitet. Insgesamt dreimal war er in Sachen Wahlrecht Gast im Deutschen Bundestag, einmal in der interfraktionellen Arbeitsgruppe zur Wahlrechtsreform und zweimal im Innenausschuss, zuletzt am 14. Januar 2013. "Es gibt kein `perfektes Sitzzuteilungsverfahren´ - ein Sitzzuteilungsverfahren, das die Grundarchitektur der personalisierten Verhältniswahl bewahrt, den Effekt des negativen Stimmgewichtes vollständig verhindert, Überhangmandate komplett vermeidet, den bundesweiten Parteienproporz umfassend garantiert, den föderalen Proporz (den Proporz zwischen den Ländern sowie zwischen den Landeslisten einer Partei) restlos wahrt, Reststimmen von Landeslisten verwertet, die Bundestagsgröße nicht anwachsen lässt und obendrein noch leicht verständlich ist", schrieb Strohmeier in seiner Stellungnahme für diese Anhörung. Ihr vorausgegangen war ein erneutes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene "Neunzehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes" als verfassungswidrig beurteilte. Kann das auch mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz passieren? "Dazu müsste sich das Bundesverfassungsgericht selbst widersprechen", sagt Strohmeier, der sich schwerpunktmäßig mit Wahlrecht und Wahlsystemen beschäftigt.

Der gestrige Beschluss des Bundestages beruht auf einem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Vor allem um zwei Themen ging es bei der Reform des Wahlrechtes: um das negative Stimmgewicht und die Überhangmandate. "Das im Gesetzentwurf vorgeschlagene Sitzzuteilungsverfahren führt dazu, dass der Effekt des negativen Stimmgewichts, soweit ihn das Bundesverfassungsgericht beanstandet hat, vermieden wird", urteilte Strohmeier in seiner schriftlichen Stellungnahme. Auch die Überhangmandate würden vollständig ausgeglichen bzw. vermieden, der als verfassungswidrig beurteilte Zustand also behoben. Dieser Gesetzentwurf "bildet in vielerlei Hinsicht einen `guten Kompromiss´ und kann empfohlen werden", so Strohmeier weiter.

Kritiker des neuen Gesetzes befürchten eine gravierende Vergrößerung des Bundestages - und damit einhergehend erheblich steigende Kosten. "Letztlich ist ein vollständiger Ausgleich bzw. eine vollständige Vermeidung von Überhangmandaten - wenn man an der bisherigen Grundstruktur der personalisierten Verhältniswahl festhält - nur zum Preis einer unter bestimmten Voraussetzungen nicht unerheblichen Vergrößerung des Bundestages möglich", schrieb Strohmeier und ergänzte: "Darin kann man durchaus den Hauptnachteil des vorgeschlagenen Sitzzuteilungsverfahrens sehen." Allerdings müsse dieser in zweierlei Hinsicht relativiert werden: Wertet man die vergangenen fünf Bundestagswahlen nach dem neuen Wahlrecht aus, so hätte der durchschnittliche Zuwachs an Sitzen bei 5,9 Prozent gelegen, rechnete Strohmeier in seiner Stellungnahme vor und fasste zusammen: "Natürlich ist ein signifikantes Anwachsen der Bundestagsgröße über die Gesamtzahl von 671 Mandaten [so die Berechnung für die Bundestagswahl 2009] nicht auszuschließen, aber bei einer an der politischen Wirklichkeit orientierten Betrachtung unwahrscheinlich." Zweitens verfüge die Bundesrepublik Deutschland derzeit im internationalen Vergleich über eines der kleinsten Parlamente. Im EU-Vergleich habe Deutschland - gemessen an der Bevölkerungszahl - gegenwärtig sogar das kleinste Parlament.

"Uni aktuell" hat die Tätigkeit Prof. Strohmeiers als Sachverständiger zum Thema Wahlrechtsreform begleitet:
6. September 2011: http://www.tu-chemnitz.de/tu/presse/aktuell/2/3864
1. Juni 2012: http://www.tu-chemnitz.de/tu/presse/aktuell/2/4356
26. Juli 2012: http://www.tu-chemnitz.de/tu/presse/aktuell/3/4477

Katharina Thehos
22.02.2013

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