"Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit"
Die Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg
Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Boch
Im Rahmen der Reihe "Arbeit, Wirtschaft und Soziales auf dem Prüfstand" fand am Dienstag, den 25. November 2014, 19:00 Uhr im Veranstaltungssaal der Volkshochschule Chemnitz ein Vortag und anschließende Diskussion mit Prof. Dr. Rudolf Boch zum Thema "Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit - Die Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg" statt.
Bis in die frühen 1980er Jahre waren das wissenschaftliche wie öffentlich Interesse in Deutschland am Thema Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ und auch der Kenntnisstand darüber äußerst gering. Heute kann die Geschichte des deutschen Zwangsarbeitereinsatzes während des Zweiten Weltkriegs dagegen als gut erforscht gelten. Es liegen mit den Werken von Ulrich Herbert und Mark Spoerer bedeutende Gesamtdarstellungen vor, die durch zahleiche Lokal- und Regionalstudien sowohl vorbereitet als auch ergänzt wurden. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit wurde jedoch den unternehmensgeschichtlichen Studien zur Zwangsarbeit zu Teil, die in begrenzter Zahl bereits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre entstanden, aber durch die Debatte um Entschädigung von Zwangsarbeitern und die Einrichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) seit den 1990er Jahren einen enormen Zuwachs erfuhren. Bei diesen unternehmensgeschichtlichen Forschungen hatte die deutsche Automobilindustrie eine gewisse Vorreiterrolle. Hans Mommsen und Manfred Grieger in ihrer Studie über das Volkswagen Werk und Neil Gregor über Daimler-Benz in der NS-Zeit haben eindrucksvoll gezeigt, dass den Zwangsarbeitern und – als letzte Arbeitsressource – den KZ-Häftlingen im operativen wie strategischen Kalkül der Unternehmen eine zentrale Funktion zukam. Sie gewährleisteten die Aufrechterhaltung und Steigerung der Rüstungsproduktion sowie die Sicherung von zukünftigen Markchancen oder gar ausgelagerten Maschinenparks über das Kriegsende hinweg. Der gesellschaftliche Druck in Folge der Zwangsarbeiterentschädigungs-Debatte der 1990er Jahre hat nicht nur die Archive namenhafter deutscher Firmen geöffnet und damit dazu beigetragen, Ausmaß sowie Strukturen und Prozesse dieses in der Geschichte bespiellosen Vorgangs zu rekonstruieren. Im Verlauf der zahlreichen Forschungsarbeiten schälte sich viel mehr heraus, dass millionenfache Zwangsarbeit nicht nur ein Bestandteil, sondern das „Signum“ dieser Epoche deutscher Wirtschaftsgeschichte war. Ohne das Millionenheer zur Zwangsarbeit gepresster Frauen und Männer hätte die Mittelmacht Deutsches Reich niemals einen so langen Krieg gegen weit überlegene Gegner mit Zugriff auf die Masse der Ressourcen der Welt führen können. Um Ihnen die Dimensionen zu verdeutlichen: Es geht um 8,4 Millionen ausländische Zivilarbeiter, ca. 4,6 Millionen Kriegsgefangene und ca. 1,7 Millionen KZ-Häftlinge und sogenannte „Arbeitsjuden“, die allein auf dem Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ das sogenannte „Menschenmaterial“ des Arbeitseinsatzes bildeten.
Die im Sommer 2014 veröffentlichte Studie von Martin Kukowski und mir zu Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz reiht sich in diese Forschungen zu den großen, für die motorisierte Kriegsführung enorm wichtigen, Automobilfirmen im Deutschen Reich ein. Unsere Studie bildet in gewisser Weise auch den Abschluß, so dass uns als Autoren auch ein vergleichender Blick auf die Branchenkonkurrenz Daimler-Benz, BMW, Volkswagen, Opel und mit Abstrichen den Adler-Werken in Frankfurt und Borgward in Bremen möglich war.
Den Kernbestand für unsere Untersuchung bildete das Auto- Union-Unternehmensarchiv, das infolge der Sozialisierung des Unternehmens nach 1945 heute im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz aufbewahrt wird. Auf Initiative meiner Professur wurde vor geraumer Zeit ein gemeinsames Erschließungsprojekt mit dem Referat Archivwesen im Sächsischen Staatsministerium des Inneren durchgeführt, das die computergestützte Erstellung von Findbüchern zu diesen Beständen ermöglichte und die Forschungsarbeit wesentlich erleichterte. Finanziell gefördert wurde dieses Vorhaben durch die AUDI AG/Ingolstadt.
Die „Auto Union Aktiengesellschaft Chemnitz“ selber war eigentlich ein von der landeseigenen Sächsischen Staatsbank auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise initiiertes Rettungsprojekt für die existenzbedrohten „Reste“ der vormals sehr zahlreichen sächsischen Automobilhersteller. Mit Millionenkrediten des von der Sächsischen Staatsbank angeführten und vom Freistaat Sachsen mit Landesbürgschaften bedachten Bankenkonsortiums wurden die noch verbliebenen zukunftsträchtigen Teile des sächsischen Automobilbaus entschuldet und zu einem neuen Großunternehmen der deutschen Autobranche vereinigt.
Bald nach der Gründung der Auto Union aus den Firmen DKW, Audi, Horch und der Automobilabteilung der Wanderer-Werke zog bekanntlich über Deutschland das Dritte Reich herauf. Das an die Macht gelangte NS-Regime begünstigte die Automobilwirtschaft, lockerte Steuerrestriktionen, subventionierte den werbeträchtigen Motorsport und gab als Leitbild für die Zukunft Deutschlands eine „Volksmotorisierung“ nach dem Vorbild der USA aus. Im Sog des einsetzenden Konjunkturaufschwungs und dank des ebenso breit gefächerten wie marktgerechten Typenprogramms konsolidierte sich die Auto Union rasch. Der sächsische Auto-Konzern etablierte sich als nach Opel zweitgrößter deutscher Automobilhersteller und wurde zur mit Abstand größten Firma in Sachsen.
Zum Aufschwung der Auto Union trug unzweifelhaft auch die Aufrüstung Deutschlands nach der „NS-Machtergreifung“ bei. Seit 1934 baute die Auto Union in ihren Werken Siegmar und Horch am Standort Zwickau in eigens eingerichteten Abteilungen Wehrmachtskraftfahrzeuge. Ihr Zschopauer DKW-Werk steuerte zum Rüstungsgeschäft noch Motorräder und Einbaumotoren bei. Der Rüstungsanteil am Jahresumsatz belief sich bis zum Zweiten Weltkrieg dennoch zumeist auf deutlich unter zwanzig Prozent. Die Aufrüstung war ein erkleckliches „Zubrot“ zum Zivilfahrzeuggeschäft – aber eben auch nicht mehr. Da die Auto Union in wichtigen Bereichen der Aufrüstung keine oder nur geringe Aktivität entwickelte, nahmen sich ihre Rüstungsumsätze im Konkurrenzvergleich etwa zu Daimler-Benz oder BMW - doch eher bescheiden aus. Bei der „Luftrüstung“ zeigte die Auto Union größeres Interesse, baute mit Anschubfinanzierung durch das Reichsluftfahrtministerium in Taucha bei Leipzig eine Flugmotorenfabrik (MMW) für die Belieferung der nahen Junkers-Werke auf. Die anstehende Privatisierung durch Ablösung des millionenschweren Staatsanteils an den MMW zögerte die Auto Union aber bis weit über den Beginn des Zweiten Weltkrieges hinaus. Bis dahin zog sie als „Zehn-Prozent-Minderheitspartner“ der Bank der deutschen Luftfahrt aus dem Taucha-Projekt wenig Nutzen, hatte im Gegenteil die personellen und organisatorischen Lasten des Werkaufbaus zu tragen. Die Gelegenheit zum Einstieg in den Nutzfahrzeugbau schließlich, die dritte Säule der NS-Kriegsrüstung, ließ die Auto Union 1936/37 verstreichen.
Der Kriegsausbruch im Spätsommer 1939 kam der Auto Union ungelegen. Sie befand sich inmitten eines Umstrukturierungsprozesses, mit dem das Unternehmen auf den anstehenden Markteintritt des vom NS-Regime massiv bevorteilten „KdF“- bzw. „Volkswagen“ zu reagieren trachtete.
In den beiden ersten Kriegsjahren verzeichnete die Auto Union empfindliche Umsatzeinbußen und verlor überdies durch Rekrutierungsaktionen der Wehrmacht und Dienstverpflichtungen zu wichtigeren Rüstungsbetrieben noch rund ein Viertel ihrer Belegschaft, insonderheit kaum ersetzbare Fachkräfte.
In der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende zeigte sich die Auto Union anfänglich nicht um jeden Preis um Kriegsaufträge bemüht. Sie versuchte eine umfassendere Umstellung ihrer Werke auf die Kriegsproduktion im Gegenteil erst einmal zu vermeiden.
Man betrieb obligatorische Projekte wie die Einrichtung frontnaher Kundendienstwerkstätten für die Wehrmacht, investierte aber doch vor allem in potenzielle „Engpaßteile-Lieferanten“ für das Nachkriegsprogramm, in Gießereien oder auch Verkaufs- und Kundendienstniederlassungen und die Filialen Straßburg und Krakau in den eroberten Ost- und Westgebieten. Ab dem Spätfrühjahr 1940 wandte sich die Auto Union umständehalber mehr der Kriegsrüstung zu und „mobilisierte“ unter weitgehender Einstellung des Zivilfahrzeugbaus die eigenen Werke. Ende 1940 übernahm sie auch in einem finanziellen Kraftakt den Flugmotorenbauer MMW, wodurch sich ihre Rüstungsumsätze nahezu verdoppelten. Einschließlich ihrer beiden Tochterfirmen DKK und MMW erzielte sie 1941 dann schon 70 Prozent ihres Umsatzes im Rüstungsgeschäft.
Die nachgeordnete Priorität der Kriegsrüstung bei der Auto Union in der Anfangsphase des Zweiten Weltkrieges ist auch insofern bemerkenswert, als es sich bei ihr nicht um ein herkömmliches Unternehmen der Privatwirtschaft handelte, sondern de facto um ein privatwirtschaftlich geführtes Staatsunternehmen. Die Sächsische Staatsbank hielt immerhin knapp achtzig, später sogar über neunzig Prozent der Gesellschaftsanteile. In den ersten Jahren nach der „NS-Machtergreifung“ und der politischen „Säuberung“ der Sächsischen Staatsbank regierte die Sächsische Staatsregierung in Person des Reichsstatthalters in Sachsen, Martin Mutschmann, und seines Staatsministers für Wirtschaft und Arbeit, Georg Lenk, denn auch recht unverhohlen in die Belange des Unternehmens hinein.
Der Einfluss des Freistaats bildete sich nach Bereinigung von Leitungskonflikten deutlich zurück. Von Seiten der Mutschmann-Regierung wurde der Auto Union jedenfalls kein stärkeres Rüstungsengagement aufgenötigt. Solange sie glaubhaft ihre grundsätzliche Verbundenheit mit der Partei und den Interessen der deutschen Kriegswirtschaft bekundete, hatte ihre Führung in Strategie- und Sachfragen freie Hand. Man gestattete der Auto Union über den Kriegsausbruch hinaus, den Fokus auf den Zivilfahrzeugbau und die Absicherung ihrer Marktstellung in einem von Deutschland dominierten Nachkriegseuropa zu legen.
Wie an den Beispielen der aus der Rüstungshierarchie verordneten Nachbauten des Steyr-LKW statt der Eigenentwicklung „Auto Union 1500“ und des Maybach-Panzer-Motors „HL-42“ deutlich wird, verlagerten sich allerdings beim Fertigungsprogramm seit 1940 die Entscheidungsspielräume des Managements zunehmend zu den vorgesetzten Kriegswirtschaftsinstanzen. Die Spielräume des Managements reduzierten sich im Prinzip auf die Frage, ob man der Luftwaffe, dem Heer oder der Marine zuarbeiten wollte, ansonsten nur auf die Ausgestaltung der Programme. Es gelang dem Auto-Union-Management dabei immerhin, mögliche Verpflichtungen und Bindungen gegenüber anderen Firmen aus Nachbauprogrammen für die Nachkriegszeit abzuwehren.
Die Gestaltungsspielräume der Auto-Union-Führung waren auch im weiteren Programmverlauf des Nachbaus des Steyr-LKW und des Raupenschlepper-Ost (RSO) eng begrenzt. Die anhaltenden Lieferrückstände waren immer sachlicher Natur und konnten mit übergeordnet zu verantwortenden Faktoren – Materialengpässen, Mangel an Maschinen und Arbeitskräften – stichhaltig begründet werden. Sie führten deshalb in keinem Fall zu persönlichen Konsequenzen. Trotz heftiger Konflikte konnten ganz erhebliche Ausstoßsteigerungen erzielt werden – mit fachlich minderqualifizierten Personal durch verschärfte Arbeitsbedingungen und Rationalisierungen. Freiräume eröffneten sich bei diesen Auftragsfertigungen allerdings bei den Bedarfskalkulationen. Man zielte möglichst auf eine gewisse maschinelle Mehrausstattung ab – schließlich waren Maschinen angesichts der erwartbaren Zerrüttung der Reichsmark eine Sachwährung von bleibendem Wert.
In Verlauf des Krieges wurden die Handlungsspielräume aller Unternehmen im Deutschen Reich deutlich geringer, da staatliche Interessen bei betrieblichen Entscheidungen stärker als im Frieden zu gewichten waren, aber Zwangsmaßnahmen spielten zumindest in der rüstungsrelevanten Industrie eine untergeordnete Rolle, da der Staat weiterhin über genügend ökonomische Anreize gebot und ohnehin Zwang kontraproduktiv für die vom Regime verfolgten Ziele sein konnte. Wichtige Entscheidungen wurden daher nicht befohlen, sondern ausgehandelt, und stets beachtete der Staat betriebswirtschaftliche Argumente und akzeptierte das Gewinnmotiv. Damit verblieben den Unternehmen auch im Krieg nicht unerhebliche Handlungsspielräume, die sie nutzen konnten. Die v. a. in der älteren historischen Forschung der Bundesrepublik vertretene These von der nationalsozialistischen „Zwangswirtschaft“, die Unternehmer letztlich zu „entrechteten“, nicht verantwortlich zu machenden „Befehlsempfängern“ degradierte, gilt heute deshalb weiterhin als widerlegt.
Für den erstaunlich raschen Ausbau der Auto Union zum internationalen Rüstungskonzern ließen die Kriegswirtschaftsinstanzen im deutlichen Unterschied zu den Fertigungsprogrammen der Auto Union „freie Hand“. Wehrmacht und NS-Staat traten hier meist nur in Erscheinung, wenn sie von der Auto Union selbst als Verhandlungspartner oder auch Vermittler direkt eingeschaltet wurden. Das Ziel des Managements bei der Unternehmensexpansion war die eigeninitiierte Sicherung von weiteren Rüstungsaufträgen und zukünftigen Marktchancen.
Auch das Bemühen der Auto Union um die Einbindung ausländischer Betriebe in ihre Fertigungsprogramme v. a. in Frankreich und Belgien erfolgte nicht auf Aufforderung staatlicher Stellen hin, sondern eigeninitiativ - und nicht zuletzt in der Absicht, bei der Erschließung eines eroberten großdeutsch-europäischen Marktes mit den einschlägigen Konkurrenzfirmen mithalten zu können. Die grundlegenden Verhaltensmuster waren dabei völlig einseitige Vorteilsorientierung und strikte Kontrollausübung. So folgte man der Maxime deutscher Besatzungspolitik in Westeuropa bewusst oder unbewusst im Kleinen.
Die Eingliederung des Flugmotoren-Großwerkes MMW in den Konzern markierte dann den rasanten Aufstieg der Auto Union in eine höhere Liga der deutschen Rüstungsproduzenten. Im Mai 1941 – die Auto Union war unlängst in die Wirtschaftsgruppe Luftfahrt aufgenommen worden – berief Göring die Vorstände William Bruhn und William Werner in seinen neu gegründeten Industrierat, der die Luftrüstung reorganisieren sollte.
Nun recht nahe am Zentrum der Macht des Rüstungsapparats, erwies sich die Etablierung des „Speer-Systems“ seit 1942, die sogenannte Selbstorganisation der Wirtschaft, weniger als Handlungsspielräume weiter einschränkender Nachteil – wie für zahlreiche kleinere Firmen – sondern vielmehr als große Chance für den Bedeutungsgewinn und die weitere Expansion des Auto-Union-Konzerns.
Rüstungsminister Albert Speer zeigte sich von diversen Ausführungen Werners über die Großserien-Planung bzw. Fließstreckenfertigung bei Luftwaffengerät derart angetan, dass er sie als Denkanstoß für eine Neuordnung auch der deutschen Panzerproduktion an der Jahreswende 1942/43 sah. Auch im Panzerbereich sollte die Großserien-Planung und Fließbandfertigung Einzug halten. Speer forderte eine Ringfertigung des schweren Maybach-Panzermotors HL-230 für die Tiger- und Panther-Panzer in monatlicher Kammlinie von je tausend Stück bei Maybach und der Auto Union sowie von vierhundert Stück bei Nordbau in Berlin. Ende April 1943 erfolgte die endgültige Bestätigung des großen Panzermotoren-Auftrags durch Speer, im Winter 1943/44 begann die Fertigung im Werk Siegmar. Die Auto Union genoss nun die Vorzüge höchster Dringlichkeitseinstufung wie bevorrechteter Maschinen- und Arbeitskräftezuteilung, zumal sie nach der Ausbombung Maybachs in Friedrichshafen am Bodensee die Führungsrolle im Panzermotoren-Programm übernahm. Kaum hatte Speer den Großauftrag erteilt, forderte die Auto Union nachträglich die Verankerung einer „Kriegsrisikoklausel“ bzw. erhöhte Auftragsvergütung, da das Werk Siegmar durch die Übernahme der Panzermotoren-Fertigung mit Sonder- und Einzweckmaschinen für die Nachkriegszeit seine Elastizität verliere. Bei aller Beschwörung patriotischer Pflichterfüllung verlor man mithin die Sicherung des Gewinns nicht aus den Augen.
Das Motorenprogramm für die Panther- und Tiger Panzer beschäftigte anders als die bisherigen Rüstungsprogramme in den Werken der Auto Union permanent höchste Stellen der deutschen Kriegsrüstung. Die spätere Untertageverlagerung nach Leitmeritz erfolgte auf „Führerbefehl“, ihre Realisierung in Regie Speers über den Baustab Kammler bzw. den Reichsführer-SS. Denn der nur wenige Monate anhaltende Höhenflug der Panzermotorenfertigung in Siegmar wurde durch die Bombardierung des Werkes am 11. September 1944 abrupt gestoppt. Bei allen Zweifeln an der Eignung der Kalkwerkstollen im böhmischen Leitmeritz und Sorgen um die hier einzubringenden wertvollen Maschinenbestände setzte man im Panzermotorenbau nun ganz auf die Untertageverlagerung – mit der Folge, dass sich der „Arbeitseinsatz“ bis zum Äußersten radikalisierte und das Unternehmen nach eher zögerlichen Anfängen immer mehr auf die schiefe Bahn in den Abgrund nationalsozialistischer Verbrechen geriet.
Dabei ist hinsichtlich der verbliebenen Handlungsspielräume der Rüstungsbetriebe aufschlußreich, dass sich die Auto Union erst nach langwierigen Verhandlungen dazu bequemte, sich auf einen Kompromissvorschlag des Rüstungsministeriums einzulassen, der ihren Beitrag für die gesamten Erschließungskosten in Leitmeritz auf den sehr geringen Höchstbetrag von 100.000 Mark begrenzte.
Von besonderer Bedeutung für die kriegswirtschaftliche Entwicklung der Auto Union war die Entwicklung ihrer Belegschaft. Durch Einberufungen zur Wehrmacht und Dienstverpflichtung zu kriegswichtigeren Betrieben büßte die Auto Union in den beiden ersten Kriegsjahren wie gesagt rund ein Viertel ihrer Arbeitskräfte ein. Dieser zahlenmäßige Verlust, der mit der Ausdünnung des tragenden Facharbeiterstamms einherging, konnte durch Rationalisierung, Dienstverpflichtung von Textilarbeitern und Propagierung zuvor verfemter Frauenarbeit nicht wirklich kompensiert werden. Für die nach und nach zum Anlauf anstehenden Rüstungsprogramme fehlten der Auto Union zunehmend die Arbeitskräfte, insbesondere die Fachkräfte. Deshalb griff auch die Auto Union ab Sommer 1942 massiert auf eine durch das NS-Regimes neu eröffnete Quelle für die Rekrutierung von Arbeitskräften zurück: den Einsatz ausländischer Zivil- und Zwangsarbeiter. Von März 1942 bis September 1944 nahm die Belegschaft um insgesamt mehr als vierzig Prozent zu. Nachdem die Verluste der ersten beiden Kriegsjahre ausgeglichen waren, kletterte sie im März 1943 konzernweit über die Marke von 40.000 Beschäftigten und reichte Ende 1944 schon an die „50.000“ heran.
Sieht man einmal von der Flugmotorenherstellung bei MMW ab, erfolgte der Einsatz ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter im Auto-Union-Konzern damit recht spät.
Im Laufe des Jahres 1942 glich sich die Entwicklung zumindest des Zivil- und Zwangsarbeitereinsatzes aber zunehmend an die Branchenkonkurrenten an. Ab der zweiten Jahreshälfte 1942 rekrutierte das Unternehmen mehr ausländische als inländische Arbeitskräfte. Im ersten Quartal 1943 erreichte der Anteil ausländischer Arbeitskräfte konzernweit gut 31 Prozent, erhöhte sich dann aber bis Juni 1944 nur noch geringfügig auf knapp 35 Prozent. Die Nationalitätengliederung der ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter zeigt, dass sie in ihrer überwiegenden Mehrheit einschneidenden Einschränkungen ihrer Freizügigkeit und Lebensgestaltung unterworfen, d. h. mehrheitlich als „Zwangsarbeiter“ zu betrachten sind. Auch die größte Gruppe der ausländischen Beschäftigten, die aus Westeuropa und vornehmlich Frankreich stammte, verfügte – wie nicht zuletzt die behördlich zwangsverordnete Überstellung von rund 2.000 Citroen-Facharbeitern aus Paris zur Auto Union nach Chemnitz verdeutlicht – über eine bereits recht eingeschränkte Freizügigkeit und einen sehr begrenzten Einfluss auf die eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Als Gruppe waren sie anders als die bald an Zahl zunehmenden Polen und „Ostarbeiter“ sowie die sogenannten „italienischen Militärinternierten“ freilich nicht unmittelbarer rassistischer Diskriminierung, Verfolgung und Gewaltandrohung ausgesetzt. Gewalt wurde insbesondere den Ostarbeitern und russischen Kriegsgefangenen übrigens nicht nur angedroht, sondern war im Alltag durchaus verbreitet. Sie erreichte in den Werken des Konzerns eine unterschiedliche Intensität, hing in ihren Ausmaßen von den jeweiligen Personenkonstellationen ab. Die Unternehmensleitung missbilligte Gewaltexzesse aus ökonomischen Gründen, wich einer Konfrontation mit NS-Aktivisten aber in aller Regel aus bzw. deckte deren Untaten. Selbst Mord- und Totschlagshandlungen fanatisierter NS-Werkschutzangehöriger blieben so ungesühnt.
Die freiwillige und zwangsweise Rekrutierung von Arbeitskräften im Inland und dem vom Deutschen Reich beherrschten Gebieten Europas vermochte mit den Anforderungen der Auto Union im Kriegsjahr 1944 längst nicht mehr Schritt zu halten. Der Rückgriff auf das in den NS-Konzentrationslagern vorhandene „Menschenpotenzial“ erlaubte es ihr nun abermals, wie bereits der forcierte Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter zwei Jahre zuvor, die drohende Kapazitätsgrenze zu transzendieren. Sie wurde dadurch in die Lage versetzt, im besten Einvernehmen mit dem NS-Regime und den Kriegswirtschaftsorganen den eingeschlagenen Kurs unbedingter betrieblicher Expansion in Verfolgung ehrgeiziger Rüstungsprogramme fortzusetzen und – aus humanitärer Sicht – mit dem Masseneinsatz entrechteter „Sklavenarbeiter“ auf die Spitze zu treiben. Ein direkter Zwang für den Rückgriff auf KZ-Häftlinge bestand für die Auto Union und vergleichbare Unternehmen nach heutigem Forschungsstand wohl nicht. Die Firma Opel verzichtete ohne erkennbare Konsequenzen auf den Einsatz von KZ-Häftlingen. Gerne gesehen war der Einsatz der KZ-Häftlinge von Seiten der Rüstungsbehörden jedoch allemal. Nach vergleichsweise fragmentarischer Quellenlage kann davon ausgegangen werden, dass die interne Initiative zum Produktionseinsatz von KZ-Häftlingen vom Konzernvorstand der Auto Union erfolgte. Offenbar wurde mit der Reichsführung-SS eine Art Rahmenvereinbarung getroffen.
In der neueren Forschung hat sich eine Art Konsens darüber herausgebildet, dass Zwangsarbeiter, aber auch KZ-Häftlinge nicht oder nur unwesentlich billiger oder im Durchschnitt gar produktiver waren als deutsche Arbeitskräfte, mithin kein „Extraprofit“ von den Unternehmen erzielt werden konnte. Einem „Extraprofit“ standen allein schon die hohen fiskalischen Abschöpfungen des Reichsfinanzministeriums entgegen. Doch weisen gerade die neueren Studien und auch unsere Studie zur Auto Union mit Nachdruck darauf hin, das Zwangsarbeit in allen ihren Formen das entscheidende Mittel zur betrieblichen Expansion war und zugleich Chancen zu Fertigungsrationalisierung eröffnete. Nur durch den immer größer werdenden Umfang der Zwangsarbeit war in der heißlaufenden Rüstungskonjunktur eine „Gewinnmitnahme“ im großen Stil möglich, die sonst nicht hätte realisiert werden können. Also war der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen, zivilen Zwangsarbeitern und schließlich KZ-Häftlingen auf jeden Fall profitabel, weitgehend unabhängig von Lohnniveau, geringerer Produktivität oder fiskalischen Abschöpfungen des Staates.
Die Ausgestaltung des Häftlingseinsatzes überließ die Konzernspitze der Auto Union den einzelnen Werken selbst. Diese klärten mit der SS die Details der Unterbringung und Bewachung. Die Bewachung erfolgte in der Regel durch kleinere SS-Wachmannschaften und für die weiblichen KZ-Häftlinge zusätzlich durch dienstverpflichtete Frauen aus den Belegschaften der Auto-Union-Werke bzw. der Auslagerungsbetriebe, die in Kurzlehrgängen durch die SS zumeist im Konzentrationslager Ravensbrück entsprechend ausgebildet wurden.
Die Arbeits- und Lebenssituation der KZ-Häftlinge war in den verschiedenen Werken bzw. Werkteilen des Konzerns auf dem Gebiet des Landes Sachsen durchaus unterschiedlich. Gemeinsam war diesen Standorten jedoch die vielfach nachgewiesene, völlig unzureichende Ernährung der KZ-Häftlinge, die sich seit der Jahreswende 1944/45 offenbar noch einmal drastisch verschlechterte. Für die Versorgung mit Lebensmitteln und den Unterhalt der Kantinen waren die jeweiligen Werke zuständig. Doch liegen kaum aussagekräftige Quellen im Aktenbestand der Auto Union zu diesem prägenden Aspekt des KZ-Häftlingseinsatzes vor.
Anders als in den übrigen KZ-Außenlagern bei der Auto Union in Sachsen kam es im Außenlager beim Horch-Werk in Zwickau zu gezielten Tötungshandlungen durch das SS-Wachpersonal. Zudem war dieses Außenlager durch eine hohe Fluktuation mit ständigen Rücküberstellungen wegen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit in das bayerische Stammlager Flossenbürg sowie durch eine vergleichsweise hohe Sterberate der KZ-Häftlinge gekennzeichnet. Dort wie auch in den Außenlagern bei der Agricola GmbH in Oederan und der DKK in Wilischthal waren Essens- und Kleidungsentzug, Schläge und sonstige Schikanen feste Bestandteile des Alltags der KZ-Häftlinge.
Das größte Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg im böhmischen Leitmeritz hatte nicht nur eine ganz andere Dimension als die Außenlager bei der Auto Union in Sachsen, sondern wies auch wesentliche Unterschiede in Zielsetzung, Organisation und Lageralltag auf. Das Lager diente vor allem zur Unterbringung der Bauhäftlinge, die in unmittelbarer Unterstellung unter den SS-Führungsstab B5 unter unsäglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Ausbau der maroden Leitmeritzer Kalkwerkstollen in eine schlüsselfertige unterirdische Panzermotorenfabrik für die Auto Union eingesetzt wurden. Eine Zurechnung dieser KZ-Bau-Häftlinge in den unmittelbaren personellen Verantwortungsbereich der Auto Union wird den Verhältnissen nicht gerecht. Die Auto Union trug für die KZ-Bau-Häftlinge weder Personalverantwortung noch hatte sie gegenüber der SS und den eingebundenen Bauunternehmen irgendeine Weisungsbefugnis. Eine direkte, justiziable Personalverantwortung kam ihr lediglich beim Kommando Elsabe zu, also den ab Ende 1944 in der anlaufenden Produktion eingesetzten und auf Betreiben der Auto Union zunehmend von den KZ-Bau-Häftlingen separierten Produktions-Häftlingen.
Die Auto Union ließ sich dessen ungeachtet aus kriegswirtschaftlichen Interessen heraus in einem skandalösen Maße in den KZ-Komplex einbinden. Ihre moralische Mitverantwortung für die Zustände in Leitmeritz - wo 1944/45 insgesamt rund 18.000 KZ-Häftlinge eingesetzt wurden, von denen wohl 4.500 den Tod fanden - steht außer Frage.
Angesichts ernüchternder Produktionsergebnisse rückte die Auto Union im Winter 1944/45 allerdings von Leitmeritz ab. Sie bemühte sich in gewissen Rahmen um Separierung und Besserstellung ihrer KZ-Produktions-Häftlinge und stoppte zugleich intern alle Planungen zur weitergehenden Nutzung der Leitmeritzer Stollen. Den Krieg gab ihre Führung zu dieser Zeit längst verloren. Seit dem Sommer 1944 arbeitete man klammheimlich und verbotenerweise im höchsten Managementkreis an Planungen für die Nachkriegszeit und erörterte in diesem Kreis Anfang 1945 wohl auch eine Evakuierung der Unternehmensspitze nebst Verwaltungsstab nach Süddeutschland. Hierhin wurden anscheinend auch bereits wichtige Unterlagenbestände verbracht. Offiziell folgte die Auto Union der Politik des untergehenden NS-Regimes aber bis in die letzten Kriegstage.
In der Konsequenz schloss dies die Aufrechterhaltung des Zwangsarbeitskomplexes und insbesondere einen forcierten KZ-Häftlings-Einsatz ein. Auf dem Höhepunkt im Februar/März 1945 beschäftigte die Auto Union in ihren Werken nach den vorliegenden Stichtagserhebungen rund 3.700 KZ-Häftlinge. Das entsprach einem Anteil von 7,4 Prozent an ihrer zu dieser Zeit fast 50.000-köpfigen Belegschaft – und nur das nahende Kriegsende verhinderte einen noch umfänglicheren KZ-Häftlings-Einsatz.
Mit ihrem KZ-Häftlings-Anteil bewegte sich die Auto Union aber durchaus noch im branchenüblichen Rahmen. Der vergleichbare Wert lag bei BMW bei 4,8 und bei Daimler-Benz bei 7,6 Prozent - in der Forschung weniger beachtete Hersteller wie Adler oder Borgward kamen sogar auf Werte von deutlich über zehn Prozent. Auch der Gesamtumfang des Zwangsarbeitskomplexes bei der Auto Union, der sich durch die Übernahmen tschechischer Firmen und den Einsatz „rückverlagerter“ Justizstrafgefangener im letzten Kriegsjahr noch auf bis zu 45 Prozent erhöhte, blieb im Rahmen der deutschen Kraftfahrzeugbranche.
Die Auto Union war zweifelsohne tief in das NS-Regime eingebunden und zunehmen in seine Verbrechen verstrickt. Sie war dabei aber keineswegs ein „faschistischer Musterbetrieb“, der der Branchenkonkurrenz hier zeitlich oder qualitativ in protagonistischer Weise vorangeschritten wäre. Wie ihre Konkurrenten nutzte sie aus Profitinteresse, nationalistischer Verblendung und vor allem im Hinblick auf die Positionierung in einer „europäisch-großdeutschen“ Nachkriegswirtschaft zu jeder Zeit des Krieges die ihr durch das NS-Regime dargebotenen Expansionschancen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs koppelte sich ihre Entwicklung freilich von der überwiegend in den „Westzonen“ beheimateten Konkurrenz ab. Während diese eher verschmerzbare Demontageverluste erlitt oder im Falle Volkswagen sogar noch Unterstützung durch die britische Besatzungsmacht erfuhr, wurde die Kraftfahrzeugbranche in der Sowjetischen Besatzungszone rigoros zur Rechenschaft gezogen.
Die Spitzenmanager der Auto Union Aktiengesellschaft, die sich bei Kriegsende in die Besatzungszonen der Westalliierten begaben, kamen dagegen – salopp gesagt – mit einem „blauen Auge“ davon. Ohne Schuldbewußtsein empfanden sie es nachgerade als Schikane und Zumutung von den Amerikanern in den sog. „automatischen Arrest“ genommen zu werden, der bis zu einem Jahr dauern konnte. Doch stimmte der beginnende „Kalte Krieg“ die westlichen Siegermächte rasch milde. Dr. Richard Bruhn, der als „Wehrwirtschaftsführer“ die Auto Union fast alleinverantwortlich durch den Weltkrieg geführt und 1949 maßgeblich ihre Ingolstädter Neugründung inspiriert hatte, bekam bereits 1953 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Über die Auto Union zwischen 1939 und 1945 wurde in Ingolstadt eher geschwiegen. Wenn man den Krieg dennoch thematisieren wollte, konnte man in der jungen Bundesrepublik nun seine Ansichten recht ungeschminkt kundtun – so wie Dr. Carl Hahn (bis 1945 stellvertretendes Vorstandsmitglied und ebenfalls Ingolstädter Neugründer) beim Presseempfang der Auto Union zur Internationalen Automobilausstellung 1953. Hahn führte in seiner Rede wörtlich aus: „Ja, während des Krieges, und das sage ich nicht etwa heimlich oder mit einem Entschuldigungsbeiwerk, haben wir selbstverständlich unsere Pflicht getan und uns in die Kriegswirtschaft eingeschaltet und haben im Jahre 1945 noch an die 46.000 Arbeiter in Sachsen beschäftigt. […] Wir waren eine grosse Firma, eine stolze Firma mit eigener Tradition, mit einem eigenen Geist, mit einem grossen Sozialwerk. […] Am 7. Mai 1945, als Herr Dr. Bruhn und ich … die Stätten unserer Tätigkeit verliessen, sagte er: Warum soll ich weg, ich habe doch ein gutes Gewissen, weshalb soll ich mich absetzen? Als wir dann kaum aus Chemnitz heraus waren … dann haben wir kann oben auf der Strasse noch mal gehalten und wir sahen .. .noch einmal auf das unter uns liegende Chemnitz zurück. Eigentlich nicht, um Abschied zu nehmen sondern nur, um zu sagen… jetzt wollen wir das Bild noch mal in uns aufnehmen, wie werden in Glück wiederkommen und werden wieder dort arbeiten können.“