Pressemitteilung vom 07.06.1999
Vortrag über das strahlende Erbe der Wismut AG
Als der Osten noch richtig wild warBis 1990 baute die Wismut AG um Chemnitz Uran ab - und hinterließ ein strahlendes Erbe
Er war zu DDR-Zeiten das größte Unternehmen Sachsens und beschäftigte zeitweise mehr als 210.000 Arbeitskräfte: der Bergbaukonzern Wismut, organisiert als deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft (SDAG Wismut). Geschürft wurde freilich nicht nach dem rötlich-weißen Metall Wismut, das man in elektrischen Sicherungen und in besonders niedrig schmelzenden Lötlegierungen findet - der Name war eine Tarnbezeichnung für den Abbau von Uran. Alles geförderte Uran wurde in die Sowjetunion geliefert, wo es zum Bau von Atombomben, später auch für Kernreaktoren verwendet wurde. Fast ein halbes Jahrhundert lang holten sächsische Bergleute in den Gruben um Aue, Schlema und Ronneburg das Uranerz aus dem Innern der Erde - nicht selten sogar in dem Glauben, dadurch das atomare Gleichgewicht zwischen der Sowjetunion und den USA aufrechtzuerhalten und so zum Frieden in der Welt beizutragen. Die Arbeit war extrem hart und gefährdete wegen der radioaktiven Strahlung zudem die Gesundheit der Kumpel.
Über die Geschichte der Wismut AG spricht der Wirtschaftshistoriker Dr. Rainer Karlsch von der Freien Universität Berlin am Mittwoch, dem 16. Juni 1999 um 16.30 Uhr im Hörsaal 316 der Chemnitzer Uni, Straße der Nationen 62. Titel des öffentlichen Vortrags: "Strahlende Vergangenheit". Der Eintritt ist frei.
Bis zur Wende war die SDAG Wismut, die ihre Zentrale in Chemnitz hatte, ein "Staat im Staate", der Kontrolle mehr oder weniger entzogen, aber wirtschaftlich und politisch bedeutend. Gegründet worden war die Wismut bereits im Mai 1947, damals noch als rein sowjetische Aktiengesellschaft. Doch schon in der Kriegs- und Vorkriegszeit hatten die Nazis in der Gegend nach Uran und auch nach Radium schürfen lassen, das aus dem Uran durch radioaktiven Zerfall entsteht - das erste gedacht für ihre Atombombe, die sie dann zu unser aller Glück nicht in der Lage waren zu bauen, das zweite für Leuchtanzeigen in allerlei Meßinstrumenten. 1954 ging die eine Hälfte der Aktien auf die DDR über, das Uran wanderte weiterhin in Richtung Osten. Nach der Wiedervereinigung wurde der Uranabbau eingestellt, die Sowjetunion übertrug ihren Anteil unentgeltlich auf die Bundesrepublik, die Firma selbst wurde in Wismut GmbH umbenannt. Ein Danaergeschenk: Gleichzeitig mußten sich die Deutschen verpflichten, für die Sanierung der schwer geschädigten Umwelt allein aufzukommen - mindestens 13 Milliarden Mark sind dafür nötig, vor dem Jahr 2010 wird das auch international einmalige Vorhaben nicht abgeschlossen sein. Anfänglich wurden die Wismut-Arbeiter zwangsverpflichtet. Sie lebten zum Teil in Massenunterkünften, wurden von sowjetischen Soldaten bewacht. Ehemalige Nazis waren übrigens nur selten darunter - die wollte die Wismut-Direktion nicht haben, sie fürchtete Sabotage und Verrat. Doch schon bald sahen die russischen Chefs ein, daß ein System von Belohnungen und Vergünstigungen besser war, um Arbeiter anzulocken. So konnten die Wismut-Kumpel etwa in eigenen Geschäften einkaufen, die eine größere Auswahl boten als in der DDR üblich. Bereits Anfang der fünfziger Jahre meldeten sich mehr Freiwillige auf die Arbeitsplätze als nötig, zumeist linientreue SED-Parteigänger. Außer dem regulären Lohn gab es Sachleistungen, etwa in Alkohol, von den Wismutlern "Kumpeltod" genannt.
Doch woran die Kumpel starben, dürfte wohl eher die radioaktive Strahlung gewesen sein. Bis 1990 gab es unter den Bergarbeitern 7163 Tote durch Lungenkrebs, 5237 davon wurden als Strahlenopfer anerkannt - und deren Zahl steigt immer noch an. Bis 1955 wurden die Strahlengefahren einfach geleugnet. Dabei wurden in den Wismut-Minen 1955 im Schnitt 100.000 radioaktive Zerfälle pro Kubikmeter Luft und Sekunde gemessen, Spitzenwerte reichten gar bis 1,5 Millionen. In anderen Ländern mit Uranabbau, etwa den USA, war es damals aber ähnlich, weiß Karlsch: "Die ersten Grenzwerte haben die Nazis festgelegt, die haben bis 1944 regelmäßig die Radioaktivität gemessen. Diese - aus heutiger Sicht viel zu hohen - Werte haben die Amerikaner dann in den 50er Jahren übernommen." In den amerikanischen und kanadischen Uranminen habe es nur deshalb nicht so viele Strahlenkranke gegeben, weil der Abbau stärker mechanisiert war und man deshalb weniger Bergleute benötigte.
Insgesamt 220.000 Tonnen Uran förderten die Kumpel bis zur Auflösung der Wismut zum Jahresende 1991. Damit war die Firma die entscheidende Stütze der sowjetischen Atomindustrie. Zwar gab es auch in der früheren Sowjetunion, so etwa in Leninabad im heutigen Tadschikistan, riesige Abbaugebiete, doch die erreichten nur ein Fünftel der Produktivität von Wismut. Dennoch blieb auch Wismut immer ein Zuschußbetrieb: Bis Ende der 50er Jahre konnte sich ein Marktpreis schon deshalb nicht bilden, weil nahezu alles Uran in den militärischen Bereich ging. Als dann in großem Stil zivile Kernkraftwerke gebaut wurden, wurde das zwar anders. Doch die Produktionskosten bei Wismut lagen 1990 bei rund 400 Mark pro Kilogramm Uran - der Weltmarktpreis betrug damals gerade mal ein Zehntel davon.
Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Professur Wissenschafts,-Technik-und Hochschulgeschichte, Prof. Dr. Friedrich Naumann, Telefon 03 71/5 31-40 61, Fax 03 71/5 31-43 04, E-Mail: friedrich.naumann@phil.tu-chemnitz.de