Springe zum Hauptinhalt
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Pressemitteilungen
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion 

Pressemitteilung vom 24.01.2001

Das Geld wird nicht im Schlaf verdient

Das Geld wird nicht im Schlaf verdient
Chemnitzer Wissenschaftler zweifeln am Erfolg der "Overnight Order" im Devisenhandel

Sie ist eine des beliebtesten Produkte des Devisenmanagements: die so genannte "Overnight Order". Die Finanzexperten verstehen darunter einen limitierten und befristeten Kauf- oder Verkaufsauftrag für Devisen. Will man etwa Dollar kaufen, dann gibt man abends eine Overnight Order mit einem sehr niedrigen Limit bei seiner Bank auf. Natürlich nur dann, wenn man Hoffnung hat, dass der Kurs über Nacht auch einmal einen kräftigen Ausschlag nach unten macht. Kommt es wirklich dazu, dann führt die Bank die Order aus. Und wenn man am nächsten Morgen ins Büro kommt und der Dollar schon wieder "fester" ist, hat man billig eingekauft, ohne selbst die ganz Nacht wach gewesen sein zu müssen.

"Bei Unternehmen werden Overnight Orders immer beliebter, denn sie wollen damit ihre Ertragslage auf einfache Weise verbessern", weiß der Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Friedrich Thießen. Und auch bei den Banken sei die Overnight Order beliebt. Denn tagsüber sind die Margen im Devisenhandel durch den harten Wettbewerb extrem niedrig geworden. Nachts, wenn keiner aufpasst und der Kunde darüber hinaus den Auftrag schon definitiv gegeben hat, kann man wesentlich größere Spannen nehmen und "richtig" Geld verdienen.

Ein Geschäft, das für alle Seiten vorteilhaft ist - kann es so etwas geben? Da tauchten an der Technischen Universität Chemnitz nicht nur bei den Wirtschaftswissenschaftlern Zweifel auf. Im Rahmen eines fakultätsübergreifenden Forschungsseminars, das von dem Mathematikprofessor Bernd Hofmann initiiert wurde, betrachteten auch Mitarbeiter und Studenten der Fakultät für Mathematik den vermeintlichen Erfolg der Overnight Order eher skeptisch. Mit Hilfe des Instrumentes der stochastischen Prozesse kamen die beiden Mathematiker Hans-Jörg Starkloff und Ralf Wunderlich der Antwort schnell näher: Wechselkursverläufe können empirisch als so genannte "Wiener-Prozesse oder geometrischen Brownsche Bewegungen" beschrieben werden, so Starkloff. Diese stochastischen Prozesse haben die Eigenschaft, dass von einem beliebigen Zeitpunkt aus gesehen, der weitere Verlauf einem Zufallspfad mit Martingal-Eigenschaft entspricht. Im Klartext: Zu welchem Kurs auch immer ein Kaufauftrag ausgeführt wird, die zukünftigen Kurse schwanken symmetrisch um diesen Kurs, und mit gleicher Wahrscheinlichkeit stellt sich der zukünftige Kauf als günstig und ungünstig heraus. In der Konsequenz hat man mit Overnight Orders zwar nichts verloren, aber auch nichts gewonnen, schätzen die beiden Professoren Thießen und Hofmann ein. Die Overnight Order sei ein Geschäft mit einem Erwartungswert von Null. "Sie nützt nichts, schadet aber auch nichts, wenn man von den üppigen Margen der Banken einmal absieht", meint Prof. Thießen.

Warum aber wird die Overnight Order dann so gerne von Devisenhandelsabteilungen vieler Unternehmen aufgegeben? Diese Frage ging jedoch über das Interesse der Zeitreihenexperten hinaus. Eine interessante Hypothese entwickelten die Chemnitzer Wissenschaftler dennoch: Die Erklärung könnte darin liegen, dass die Devisenhandelsabteilungen die Overnight Order benutzen, um ihre Erfolgsbilanz ein wenig aufzubessern. Sie messen den in der Nacht realisierten Kurs der Overnight Order nicht an den Wechselkursen des nächsten Tages, was eigentlich richtig wäre, sondern an einem Vortagsreferenzwert. Sie zählen die in der Nacht erzielten Erfolge also zum Vortag und nicht zum kommenden Tag. Deshalb geben die Forscher den Unternehmensleitungen den Tipp, den Erfolg ihrer Devisenhandelsabteilungen kritisch zu hinterfragen. "Nur dann, wenn der Devisenhändler überdurchschnittliche prognostische Fähigkeiten besitzt, ist die Overnight Order sinnvoll", rät der Bankenexperte Prof. Thießen.

Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Prof. Dr. Friedrich Thießen, Telefon (03 71)5 31-41 74, Fax (03 71)5 31-39 65, E-Mail: f.thiessen@wirtschaft.tu-chemnitz.de , Fakultät für Mathematik, Prof. Dr. Bernd Hofmann, Telefon (03 71)5 31-41 25, Fax (03 71)5 31-21 40, E-Mail: hofmannb@mathematik.tu-chemnitz.de