Wildbienen auf dem Weg ins Klassenzimmer
Ein Forschungsteam aus Chemnitz und Stuttgart entwickelt die interaktive App „BeeLife“ für Schülerinnen und Schüler, um ein Bewusstsein für die ökologische Bedeutung der Wildbienen zu schaffen - Ein Blick in die Werkstatt
Stellen Sie sich einen ganz normalen Morgen vor: Sie starten mit einer Tasse Kaffee in den Tag, schlüpfen in das bequeme Baumwollshirt und machen sich ein leckeres Müsli mit viel frischem Obst und Nüssen. Auf all das müssten Sie verzichten, gäbe es unsere Wildbienen nicht. Über 550 verschiedene Wildbienenarten sind in Deutschland bekannt, von denen inzwischen mehr als die Hälfte auf der Roten Liste bestandsgefährdeter Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, Pflanzengesellschaften sowie Biotoptypen stehen oder bereits ausgestorben sind. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind allerdings weitaus verheerender als eine beschränkte Auswahl von Lebensmitteln am morgendlichen Frühstückstisch: Wildbienen zeichnen sich durch eine enorme Bestäubungsleistung aus, daher hängt die Vielfalt unseres Ökosystems maßgeblich von ihrer Arbeit ab.
Dennoch fehlt es bislang am nötigen gesellschaftlichen Bewusstsein für die bestehende Problematik. Denn die „wilden Schwestern“ der bekannten Honigbienen sind in ihrer Vielfalt und Bedeutung oft noch eher unbekannte und unterschätzte Geschöpfe. Das möchte ein Forschungsteam der Technischen Universität Chemnitz und der Universität Stuttgart ändern – und entwickelt dazu die App „BeeLife“. Das Projekt wird durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert. Für die breite Öffentlichkeit wird die App voraussichtlich ab 2023 zur Verfügung stehen.
Idee zur App entstand im Rahmen eines Master-Seminars an der TU Chemnitz
„BeeLife“ lädt zu einer Reise in die Welt der Wildbienen ein, die reales Umwelthandeln mit virtuellen Spielelementen verbindet. Ziel des Projekts ist es, die Schülerinnen und Schüler bereits in einem jungen Alter durch die entstehende App dafür zu sensibilisieren, welche dramatischen Konsequenzen das Aussterben der Wildbienen mit sich bringt und was jede und jeder Einzelne selbst dazu beitragen kann, um die Situation zu ändern. „Die Initialzündung des Projekts entstand in einem Master-Seminar am Institut für Medienforschung im Sommer 2018“, berichtet Jun.-Prof. Dr. Maria Wirzberger, Projektleiterin von „BeeLife“. Wirzberger forschte und lehrte von 2015 bis 2018 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philosophischen Fakultät der TU Chemnitz. In Chemnitz promovierte sie auch im Fach Psychologie. Seit März 2020 leitet sie als Professorin die Abteilung „Lehren und Lernen mit intelligenten Systemen“ am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart.
„Im Seminar entwickelten Studierende der Medien- und Instruktionspsychologie kreative Ideen zur Förderung des Umweltbewusstseins mit digitalen Medien“, führt Wirzberger weiter aus. Unter den Teilnehmenden des Seminars waren Julian Bornemeier, Sonia Kampel, Maria Goretti Alvarez Serrano und Lisa Ullmann. Bornemeier und Kampel promovieren aktuell an der Professur Medienpsychologie (Leitung: Prof. Dr. Peter Ohler) der TU Chemnitz. Damit war ein innovatives Projekt an den Start gebracht, das digitale Lernwelten ins Klassenzimmer bringen soll.
Das standortübergreifende Projektteam von „BeeLife“ ist sowohl an der TU Chemnitz als auch der Universität Stuttgart angesiedelt. Prof. Dr. Günter Daniel Rey, Leiter der Professur „Psychologie digitaler Lernmedien“ am Institut für Medienforschung der TU Chemnitz, unterstützt das gemeinsame Projekt mit seiner langjährigen Expertise in der Forschung zu digitalen Lernmedien. Ganz besonders liegt ihm die wissenschaftliche Nachwuchsförderung am Herzen: „Ich freue mich sehr, durch das gemeinsame Projekt „BeeLife“ viele neue Gesichter zu sehen und den wissenschaftlichen Nachwuchs bei der Qualifizierung zu unterstützen.“ Das interdisziplinäre Projektteam, das neben Wirzberger und Rey ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ankita Ghorpade, Judith Baatz, Julia Mönch (alle Universität Stuttgart) und Felix Krieglstein (TU Chemnitz) umfasst, bündelt eine Vielfalt an Kompetenzen, die das Projekt multiperspektivisch bereichern und Psychologie, Informationstechnologie, Software-Design, Medienforschung, Künstliche Intelligenz, Kognitionsforschung, Biologie und Lehramt an einen gemeinsamen Tisch bringen.
„BeeLife“ verbindet reales Umwelthandeln mit virtuellen Spielelementen
Für das Projektteam spielt es eine wichtige Rolle, dass die App die Motivation der Kinder fördert und durch den Aufbau von Empathie eine persönliche Betroffenheit schafft.
Zu diesem Zweck fließen Erkenntnisse aus der multimedialen Lernforschung umfassend in das Projekt ein, beispielsweise zu pädagogischen Agenten, die das Lernen begleiten und Feedback und Hinweise geben. Darüber hinaus soll die App die Neugier der Kinder wecken und sie durch die Gestaltung dazu animieren die Geheimnisse der enthaltenen Charaktere zu entdecken – ganz nach dem Credo: „Lernen soll Spaß machen!“
Die App, die in der 5. und 6. Klassenstufe zum Einsatz kommen wird, steht bei der Anwendung im Klassenzimmer jedoch nicht für sich allein, sondern ist in umweltbezogene Aktivitäten in der realen Umwelt eingebunden – die sogenannten Projektwerkstätten. In der App gibt es damit verbundene kleine Spiele, die beispielsweise die Auswahl (un)geeigneter Materialien für den Bau von Nistplätzen, das Säen bienenfreundlicher Blumen oder den Wettbewerb mit Kuckucksbienen zum Gegenstand haben.
Die Anforderungen an die App wurden in einem Workshop mit Lehrkräften und Expertinnen sowie Experten für Wildbienenkunde gesammelt. Basierend darauf verarbeitet das Projektteam aktuell als Teil eines Storytelling-Ansatzes eine Geschichte mit vielfältigen, biologisch fundierten Charakteren wie der Gartenwollbiene Mani oder der Mauerbiene Mia, die Schülerinnen und Schüler bald schon mit auf ihre Entdeckungsreise nehmen können.
Unter der Regie der Mitarbeiterin Ankita Ghorpade liegt der Fokus aktuell auf der technischen Umsetzung des ersten Prototyps. Dieser soll bis Jahresende fertiggestellt sein und Anfang 2022 in einer ersten Testphase den Weg ins Klassenzimmer der teilnehmenden Modellschulen finden.
Es ist eine Win-Win-Situation. Denn mit dieser App wird der didaktische Baukasten der Schulen um eine innovative digitale Lehrmethode nah an der Erlebniswelt der Kinder erweitert und die ökologisch sehr bedeutsamen Wildbienen erfahren mehr Beachtung.
Weitere Informationen erteilt Jun.-Prof. Dr. Maria Wirzberger, Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart, Tel.: +49 711 685-81176, E-Mail: maria.wirzberger@ife.uni-stuttgart.de
Matthias Fejes
18.05.2021